Lukas Mihr, Gastautor / 23.10.2023 / 06:15 / Foto: DIE LINKE / 168 / Seite ausdrucken

Genossin Sahra: Von der Stalinistin zur Hoffnungsträgerin?

Sahra Wagenknecht macht nun ernst mit ihrer neuen Partei und viele Deutsche, die sich von den Altparteien abwenden, können sich vorstellen sie zu wählen. Ist ihre Nähe zu kommunistischen Diktatoren, ihre Leugnung kommunistischer Verbrechen, ihre Relativierung islamistischer Mordtaten schon vergessen? Ein kleiner Ausflug in die Gedankenwelten der Genossin Sahra.

Sie traut sich. Nachdem es etwa eineinhalb Jahre lang Spekulationen gab, das bekannteste Gesicht der Linkspartei würde sich selbstständig machen, herrscht nun Klarheit. Unter dem vorläufigen Namen BSW – Bündnis Sahra Wagenknecht – soll eine neue Partei links der Mitte entstehen. Schon seit einigen Jahren kritisiert Wagenknecht die Linken dafür, ihre klassischen Positionen und die Sorgen der Arbeiterklasse vernachlässigt zu haben und mittlerweile ganz auf die woke Identitätspolitik zu setzen. Wer wird Wagenknecht unterstützten? Folgen der Parteigründung auch Wahlerfolge? Wird die Linkspartei untergehen? Schadet die neue Partei der AfD oder wird sie gar deren Koalitionspartner? Das alles sind spannende Fragen, die sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten lassen und um die es an dieser Stelle auch nicht gehen soll.

1992 hatte Wagenknecht noch die Gewaltherrschaft Stalins beschönigt. Dies spielt in der aktuellen Debatte aber nur selten eine Rolle und wird meist als Jugendsünde abgetan. Doch hat Wagenknecht diesen Fehler wirklich hinter sich gelassen? In den „Weißenseer Blättern“ hatte sie unter dem Titel „Marxismus und Opportunismus – Kämpfe in der Sozialistischen Bewegung gestern und heute“ geschrieben:

„Was immer man – berechtigt oder unberechtigt – gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums; damit die Überwindung von Elend, Hunger, Analphabetismus, halbfeudalen Abhängigkeiten und schärfster kapitalistischer Ausbeutung; schließlich der über Hitlers Heere, die Zerschlagung des deutschen und europäischen Faschismus sowie die Ausweitung sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse über den halben europäischen Kontinent. Dagegen entstellt keines von jenen Krisensymptomen, an denen der Sozialismus in seiner Endphase krankte, bereits in den zwanziger bis fünfziger Jahren das Bild der sowjetischen Gesellschaft. Wir finden keine wirtschaftliche Stagnation, keine zunehmende Differenz gegenüber dem vom Kapitalismus erreichten technischen Stand, keine produktionshemmenden Leitungsstrukturen, keine Außerkraftsetzung des Leistungsprinzips, keine Vernachlässigung der Wissenschaften und der Kultur; erst recht keine Konzeptions- und Ziellosigkeit des Handelns, kein hilfloses Schwanken und auf allernächste Zwecke beschränktes Lavieren. Auch ein Verschwinden sozialistischer Ziele und Ideen aus dem öffentlichen Bewußtsein oder eine zunehmende Entfremdung der Bevölkerung gegenüber ihrem Staat sind nicht wahrnehmbar. Eher das Gegenteil. Die beeindruckenden Leistungen bei der Industrialisierung des Landes wären ohne Stützung und Bejahung dieser Politik seitens größerer Teile des Volkes nie erreichbar gewesen. (Es ist lächerlich und dumm, diese im Nachhinein als bloße Auswirkungen der Diktatur, der Angst und der Arbeitslager darstellen zu wollen.)“

Wie unkritisch Wagenknecht der Herrschaft Stalins gegenüberstand, ist mehr als erschreckend. Aber hatte sie nicht wenigstens die Existenz der Arbeitslager anerkannt?

Tatsächlich lässt die letzte Passage zwei Interpretationen zu:

1. Es ist lächerlich und dumm, die Zustimmung zu Stalin mit der Existenz von Arbeitslagern zu erklären – weil ihnen eine Vielzahl an sozialistischen Wohltaten entgegenstanden.

2. Es ist lächerlich und dumm, die Zustimmung zu Stalin mit der Existenz von Arbeitslagern zu erklären – weil es diese Arbeitslager schlicht nicht gab.

Mit derartig schwammigen Formulierungen ist es möglich, je nach Publikum eine der beiden Interpretationen aufrechtzuerhalten. Das eigene Lager weiß genau, wie die Aussage zu verstehen ist, während dem gegnerischen Lager keine Angriffsfläche geboten wird. 

Selbst wenn die erste Interpretation die zutreffende sein sollte: Dies würde die Verbrechen Stalins genauso wenig schmälern, wie Hitlers Eindämmung der Arbeitslosigkeit den Holocaust schmälert.

Sahra und die Opfer des Stalinismus

Auf dem Berliner „Sozialistenfriedhof“ in Friedrichsfelde wird zum einen vieler sozialdemokratischer und kommunistischer Politiker gedacht, allerdings gibt es mittlerweile auch einen „Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus“. Hierin sah Wagenknecht jedoch im Jahr 2006 in einer gemeinsamen Stellungnahme der Kommunistischen Plattform einen „Kampfbegriff“ und eine „Provokation für viele Sozialisten und Kommunisten.“

Diese Kritik führte sie 2008 weiter aus:

„Uns schmerzen die unter Stalin unschuldig Umgekommenen und Repressierten zutiefst. Wir ehren besonders die Sozialisten und Kommunisten, welche in der Stalinära Willkür und Verbrechen zum Opfer fielen. Doch wir sagen in aller Offenheit und dies nicht zum ersten Mal: Ein Stein, der pauschal an alle erinnert, die unter Stalin zu Tode kamen oder Haftstrafen verbüßten, ist für uns inakzeptabel. Denn dazu zählen nicht zuletzt und nicht zu knapp Faschisten. Ebenso ist es für uns inakzeptabel, dass jede in der DDR begangene reale oder vermeintliche Ungerechtigkeit zu einem stalinistischen Verbrechen hochstilisiert wird. Der Gedenkstein 'Den Opfern des Stalinismus' ehrt jeden Nazimörder und auch jeden, der als Gegner der DDR mit deren Gesetzen in Konflikt geriet.“

Diese Stellungnahme ist in sich widersprüchlich. Denn wer allein der Unschuldigen gedenkt, sagt im Umkehrschluss, dass die Verfolgung „schuldiger“ politischer Gegner gerechtfertigt war. Und zum anderen erscheint Stalin nur noch als Bösewicht, weil er viele Kommunisten umbringen ließ, ganz als ob die anderen Opfergruppen weniger wert waren. Aber waren diese Kommunisten nun unschuldig oder nicht? Auch Genrich Jagoda und Nikolai Jeschow, die die stalinistischen Säuberungen maßgeblich vorantrieben, fielen ihr letztlich selbst zum Opfer. Und Leo Trotzki, der im mexikanischen Exil von Stalins Agenten ermordet wurde, hatte während der Russischen Revolution und im nachfolgenden Bürgerkrieg Hunderttausende umgebracht.

Außerdem seien viele der stalinistischen Opfer selbst Faschisten gewesen. Dies trifft natürlich auf Rudolf Höß zu, den Kommandanten von Auschwitz, der 1947 im kommunistischen Polen hingerichtet wurde. Aber gilt es auch für die Krimtataren? Nach dem deutschen Einmarsch 1941 wurde eine krimtatarische SS-Division aus Freiwilligen gebildet, die an der Seite der Wehrmacht kämpfte. Als die Krim 1944 von der Roten Armee zurückerobert wurde, erklärte Stalin das gesamte Volk pauschal zu Faschisten und ließ 190.000 Tataren nach Zentralasien deportieren, wo viele von ihnen qualvoll verendeten – selbst Frauen und Kinder. Auch der Holodomor, die große Hungersnot in der Ukraine 1932/33 mit ca. 3 Millionen Toten, taucht in Wagenknechts Stellungnahmen nicht auf.

Ebenso erfahren wir, dass es in der DDR „vermeintliche“ Verbrechen gab und nicht jedes dieser Verbrechen zwangsläufig einen stalinistischen Charakter hatte. Natürlich mussten in der DDR auch gewöhnliche Kriminelle Haftstrafen antreten. Das versteht sich von selbst – rechtfertigt aber die unerträglichen Zustände in den Gefängnissen nicht.

Spiel mit der Opferkarte

Auf einer marxistischen Tagung im Jahr 2009 kam Wagenknecht erneut auf ihre Äußerungen aus dem Jahr 1992 zu sprechen. Nach der Veröffentlichung des Artikels „stand ich plötzlich am Pranger, als hätte ich die Stalinschen Schauprozesse und Gulags höchstpersönlich befehligt“. Zwar spielt Wagenknecht mit einer solchen Relativierung die Opferkarte, aber immerhin hatte sie die Existenz der Gulags anerkannt, oder etwa nicht? Doch auch von dieser Einlassung ist wenig zu halten. Selbst Holocaustleugner geben zu, dass es Konzentrationslager gab, wollen jedoch nur Tote durch Zwangsarbeit, Seuchen oder Hunger anerkennen und verleugnen die planmäßigen Morde oder spielen die Opferzahlen herunter. Dass Wagenknecht sich nie auf eine konkrete Zahl für die Opfer Stalins festnageln ließ, spricht Bände. Diese wird von der modernen Geschichtswissenschaft mit etwa 10 bis 15 Millionen Toten beziffert.

Leider habe sie „drei in Trotz und Wut über rechte Geschichtsverfälschung hingeworfene Sätze zu Stalin“ verfasst. Erneut zeigt Wagenknecht, dass sie den historischen Forschungsstand nicht anerkennt, ja geradezu als rechte Verschwörungstheorie verwirft und dass sie ihre eigenen ausführlichen Ausarbeitungen irgendwie als unbedeutenden Ausrutscher abtun will.

Auch gegenüber der DDR äußerte sie sich im oben genannten Artikel zustimmend, allenfalls mit der Einschränkung, dass in den Honecker-Jahren eine Stagnation einsetzte:

„Ähnliches gilt von der DDR-Geschichte, die ebenfalls bereits auf der Erscheinungsebene in zwei deutlich unterscheidbare Phasen zerfällt. Die sozialistische Planwirtschaft erwies sich zunächst als außerordentlich produktiv. Vergleichen wir die entsetzlichen Anfangsbedingungen (Kriegsfolgen, Reparationen, Teilung des deutschen Wirtschaftsraumes und westliche Blockade, offene westliche Einwirkungsmöglichkeiten usw.) mit dem bis zum Ende der sechziger Jahre Erreichten, dann ist die Legende von der ineffizienten, unbeholfenen und unbeweglichen Gesellschaft nicht zu halten.

Die DDR der sechziger Jahre bot das Bild eines hoffnungsvollen Staates von enormer Produktivität und Stabilität, von wachsender Ausstrahlungskraft, ungebrochener Zukunftsgewißheit und scheinbar grenzenloser Entwicklungsmöglichkeit. Es läßt sich nicht leugnen, daß die DDR der späten achtziger Jahre einen minder ermutigenden Anblick bot.“

1994 hatte Wagenknecht die DDR erneut in einem Nachruf auf Erich Honecker verteidigt:

„Die DDR war das friedfertigste und menschenfreundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen im Gesamt ihrer bisherigen Geschichte geschaffen haben, und es war die DDR, die den westzonal wiedererstandenen Imperialismus über vierzig Jahre daran gehindert hat, im Innern und in der Welt zu tun und zu lassen, wonach ihm gelüstete.“

2001 äußerte sie sich gegenüber der Welt zum Mauerbau:

„Der Bau der Mauer war nicht nur eine Entscheidung der DDR, sondern eine, an der vor allem die UdSSR und die USA beteiligt waren. Es war eine Maßnahme, die in der konkreten Situation friedenssichernd war.“

Zudem betonte sie, dass die DDR nicht undemokratischer als die BRD gewesen sei. Denn im Osten gab es mehr betriebliche Selbstbestimmung der Arbeiter, während im Westen eher die Kapitalisten als die Wähler über die politischen Geschicke bestimmten.

Die PDS hatte damals in einer Resolution betont, dass es keine „Rechtfertigung“ für die Mauertoten gebe. Nur Wagenknecht stimmte als einziges Mitglied des Bundesvorstands dagegen, da ihre Partei sich nicht von der SPD den Umgang mit der eigenen Geschichte vorschreiben lassen solle.

„Schauermärchen über die DDR“

2010 gestand Wagenknecht im Gespräch mit der taz immerhin ein, dass es Menschen gab, die „Schlimmes erlebt“ hatten und für die „die DDR wirklich die Hölle war.“ Jedoch würden auch diese Menschen die „heutigen Verhältnisse ebenfalls unerträglich finden.“ Ebenso wenig könne sie „ungeschehen machen, was ein Bautzen-Häftling erlitten hat. Ich bedaure, dass es diese Repression gab, sie steht in völligem Kontrast zu den sozialistischen Idealen.“ Zwar habe sie in den 90er Jahren die Herrschaft der SED gerechtfertigt, aber dies war eben eine bedauerliche „Trotzreaktion auf dieses gesellschaftliche Klima, in dem ein Schauermärchen über die DDR das nächste jagte.“

Das ist die übliche Leier, laut der die kommunistischen Verbrechen eben nicht den „wahren“ Kommunismus verkörpern. Aber der Kommunismus scheiterte bislang nicht nur in der DDR, sondern auch in jedem anderen Land, in dem er implementiert wurde. Solche Verbrechen sind niemals nur ein Beiprodukt, sondern eine logische Konsequenz.

Noch 2008 lehnte sie den Begriff „Diktatur“ für die DDR ab. Zwar habe die DDR „in erheblichem Maße Demokratie- und Freiheitsrechte eingeschränkt“, dennoch könne man sie „nicht mit der mörderischen Nazi-Diktatur in einen Topf werfen.“ 2015 exerzierte sie die Bezeichnung „Unrechtstaat“ analog durch. Zwar habe es in der DDR Unrecht gegeben, der Begriff „Unrechtsstaat“ müsse jedoch für die Verbrechen des Nationalsozialismus reserviert bleiben.

Zumindest bis 2010 war Wagenknecht noch Kommunistin, denn erst dann ließ sie ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform, einer parteiinternen Strömung, als deren maßgebliche Sprecherin sie galt, ruhen. Allerdings geschah dieser Schritt wohl kaum aus Überzeugung, sondern eher aus politischem Kalkül. Wagenknecht war damals zur stellvertretenden Vorsitzenden der Linkspartei gewählt worden und musste die verschiedenen Lager integrierend zusammenführen.

Dass sie ihre Vorliebe für autoritäre Herrscher nicht verloren hat, stellte Wagenknecht erneut im vergangenen Jahr unter Beweis. Wenige Tage vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine konnte sie keine Kriegsgefahr erkennen

„Russland hat faktisch kein Interesse, einzumarschieren. Wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter Nationalist, der sich berauscht, Grenzen zu verschieben. […] Die Aggressivität mit der – vor allem von amerikanischer Seite – ein russischer Einmarsch geradezu herbeigeredet wird, also die ist ja schon bemerkenswert.“

Zwar musste sie bald darauf eingestehen, falsch gelegen zu haben und verurteilte die Invasion als völkerrechtswidrig, doch schaffte sie es nicht, Täter und Opfer klar zu benennen. Immer noch glaubt sie, die eigentlichen Urheber des Krieges säßen im Westen, will keine Sanktionen gegen Russland verhängen und betrachtet Waffenlieferungen an die Ukraine skeptisch. Nichtmal zu einer klaren Verurteilung der Vergewaltigungen durch russische Soldaten konnte sie sich durchringen.

Castro und Chávez

Auch in Lateinamerika setzt Wagenknecht auf starke Männer. So verehrte sie den kubanischen Staatspräsidenten Fidel Castro, der politische Gegner verfolgen ließ. 2005 kritisierte sie, dass die EU, die auf die Einhaltung der Menschenrechte pochte, „anti-kommunistischen Bestrebungen gegenüber Kuba ausleben“ würde. Preisverleihungen an Dissidenten bewiesen, dass es „massive Tendenzen im Europäischen Parlament gibt, Kuba an den Pranger zu stellen.“ Ende 2016 schrieb Wagenknecht gemeinsam mit Dietmar Bartsch anlässlich Castros Tod, dieser habe eine „bessere Welt“ ermöglicht, sich gegen Rassismus und Imperialismus eingesetzt, Bildung und Gesundheit angehoben und sei „durch und durch ein Demokrat.“

2013 würdigte Wagenknecht den verstorbenen venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez für seinen erfolgreichen wirtschaftlichen Kurs. Tatsächlich hatte seine Politik der Verstaatlichung zu mehr Gleichheit in der Einkommensverteilung geführt – alle Bürger wurden gleich arm. Er habe sich gegen Rassismus und Imperialismus eingesetzt, Bildung und Gesundheit angehoben und sei laut der Frau des französischen Präsidenten „durch und durch ein Demokrat.“

Infolge der Flüchtlingskrise brach Wagenknecht mehrfach linke Tabus. 2017 hatte sie klar die Grenzöffnung kritisiert und Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitschuld an der steigenden Terrorgefahr in Deutschland gegeben. Insbesondere ihre Stellungnahme zu den massiven sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015 wurden im linken Spektrum scharf kritisiert:

„Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.“

Die Forderung nach offenen Grenzen hatte sie zurückgewiesen. Diese dienten im Wesentlichen dem Lohndumping. Durch Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt könnten Konzerne die Gehälter ihrer Mitarbeiter immer weiter drücken. Auch gebe es eine Grenze in der Aufnahmebereitschaft:

„Dass es Grenzen der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung gibt, ist eine Tatsache, und dass Kapazitäten nicht unbegrenzt sind, auch. Das festzustellen, ist weder links noch rechts, sondern eine Banalität.“

Das klingt, als sei Wagenknecht bereit, offen über die Gefahren des Islam zu sprechen. Und auch wenn sie in dieser Frage aufgeschlossener ist als fast alle Vertreter des linken Lagers, zeigt sich, dass sie weiterhin ideologische Scheuklappen trägt.

2010 forderte sie die Abberufung des „Hobbygenetikers“ Thilo Sarrazins aus dem Vorstand der Bundesbank und warnte vor dessen „rassistischen Thesen zum maßgeblichen Einfluss der Gene auf die Vererbung der Intelligenz“ – die allerdings in den darauffolgenden dreizehn Jahren von der Wissenschaft immer wieder aufs Neue bestätigt wurden. 2011 gab sie Sarrazin eine Mitschuld am Terroranschlag des norwegischen Rechtsextremisten Anders Behring Breivik mit 77 Toten.

Relativierung islamistischer Angriffe

Auch sah sie die Ursache für das Erstarken des Islamischen Staats vorrangig im Westen:

„Ohne den Irak-Krieg gäbe es den IS nicht. Ohne die Bombardierung Libyens und die Destabilisierung Syriens wäre er längst nicht so stark. Der Westen, vor allem die USA, haben dieses Monster mit ihren Kriegen großgemacht.“

Natürlich stimmt, dass der Islamische Staat im Irak leichtes Spiel hatte, nachdem die amerikanische Invasion 2003 die grausame, aber immerhin stabile Diktatur Saddam Husseins hinweggefegt hatte. Jedoch konnte sich die Terrormiliz infolge des Arabischen Frühlings 2011 auch im Nachbarland Syrien etablieren – ganz ohne vorherige US-Intervention. Ob der Arabische Frühling auch den Irak Saddam Husseins erfasst hätte, ist denkbar, kann aber nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Und auch, wenn es eine tatsächliche Mitverantwortung der USA gibt: Schuld an den Verbrechen des Islamischen Staats ist natürlich der Islamische Staat selbst!

Nach den Terroranschlägen von Paris im Jahr 2015 mit 130 Todesopfern beteiligte sich auch Frankreich an den Militärschlägen gegen den Islamischen Staat. Für Wagenknecht war dies schlicht Terror:

„Jetzt müssen Frauen und Kinder in Rakka im Bombenhagel sterben, werden Schulen und Krankenhäuser zerstört. Das ist natürlich Terror, der schon jetzt viel mehr unschuldige Opfer gefordert hat als die barbarischen Anschläge von Paris.“

Natürlich starben bei den westlichen Luftangriffen gegen den Islamischen Staat auch irakische und syrische Zivilisten. Aber bei den Anschlägen in Paris waren explizit Zivilisten das Ziel, während der Westen vorrangig die Terrormiliz ins Visier nahm. Zudem lässt sich mit genug zeitlichem Abstand sagen: Die westliche Intervention und die Unterstützung der kurdischen Volksbefreiungseinheiten haben ihr Ziel erreicht. Der Islamische Staat ist zerschlagen und die Zahl der zivilen Todesopfer auf einen Tiefstand gefallen. Ohne die Intervention wären weit mehr Syrer und Iraker gestorben.

2017 war Wagenknecht sich sehr sicher, dass die Radikalisierung zu großen Teilen mit der wirtschaftlichen Situation vieler Muslime im Westen zusammenhänge. Sie seien von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen und erlebten Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Der afghanische Axtmörder von Würzburg habe sich wahrscheinlich als Reaktion auf einen getöteten Freund in der Heimat radikalisiert.

Wagenknecht und der Gaza-Streifen

Solche Theorien vernachlässigen, dass der Islam ein inhärentes Gewaltproblem hat. Denn die gleichen Erklärungsmodelle würden auch vorhersagen, dass sich deutsche Hartz-IV-Empfänger radikalisieren und können nicht erklären, warum die Attentäter des 11. September 2001 zumeist hochgebildet waren, warum Frauen gesteinigt werden oder warum beim innerislamischen Kampf der Sunniten gegen die Schiiten weit mehr Menschen sterben. Auch passt nicht ganz ins Schema, dass es sich bei den Opfern des Würzburger Axt-Attentäters um Chinesen handelte.

Die israelische Militäroperation im Gazastreifen zum Jahreswechsel 2008/09 kommentierte sie als durch „nichts zu rechtfertigende Aggression der israelischen Armee“, obwohl diese eine Reaktion auf palästinensischen Raketenbeschuss darstellte. Im Gaza-Streifen herrschten „Tod, Qual und Angst“ und „unvorstellbares Grauen“. Letztlich sei Israel selbst schuld an der Eskalation, da es die Hamas als Gegengewicht zur PLO hochgezüchtet habe. Auch nehme die Armee „Tod und die Verkrüpplung von Kindern billigend in Kauf“. Tatsächlich sind die israelischen Streitkräfte darum bemüht, zivile Tote zu vermeiden. So werden Gebäude, in denen militärische Ziele vermutet werden, seit 2008 zuerst mit Täuschkörpern beworfen, um den Bewohnern etwa 10 Minuten Zeit zu geben, sich in Sicherheit zu bringen, bevor der eigentliche Bombenangriff stattfindet.

2010 weigerte sich Wagenknecht, sich zu Ehren der Bundestagsrede des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres zu erheben. Und 2017 sah sie als Verantwortlichen für den Anstieg der Gewalt an der Grenze zum Gazastreifen Donald Trump, der die Palästinenser mit der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem „provoziert“ habe.

Fazit: Ihre unkritische Bejubelung Stalins aus dem Jahr 1992 hat Wagenknecht nicht wiederholt. Ihre gerade einmal halbherzigen Rechtfertigungsversuche zeigten jedoch, dass sie sich nicht wirklich von ihm losgesagt hatte. Spätestens ab 2010 war Wagenknecht klug genug, das Thema nicht mehr anzusprechen. Doch die eine Stellungnahme, in der sie 1. die Verbrechen des Diktators und 2. ihre eigenen Verfehlungen klar eingesteht, gibt es nicht. Vielleicht ist Wagenknecht noch immer Stalinistin, wenn auch auf Tauchstation. Vielleicht hat sie ihren Fehler sogar eingesehen und schämt sich nun, dies auch öffentlich zu bekennen. Doch letztlich ist das unwichtig. Die Sowjetunion ist untergegangen und kehrt nicht mehr zurück. Die weit größere Bedrohung ist mittlerweile der islamische Terrorismus – den Wagenknecht ebenfalls nicht klar verurteilen kann!

 

Lukas Mihr, geb. 1985, ist Historiker und Journalist. Er ist Mitglied der kritischen Islamkonferenz.

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Leserpost

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Jörg Plath / 23.10.2023

Die gute Nachricht ist, die Linkspartei wird als Fraktion und perspektivisch ganz aus dem Bundestag verschwinden. Die schlechte, Wagenknecht wird weit mehr Genossen ihrer neuen Partei in den Nundestag mitbringen. Schaut man sich ihr Programm für die neue Partei an, ist sehr viel Kommunismus darin enthalten. Letztlich ist sie eine linke Bauernfängerin. Mit ihren populistischen Themen nimmt sie viele von sich ein, ist jedoch nach wie vor die alte Kommunistin.

Patrick Meiser / 23.10.2023

Auf jeden einzelnen Aspekt des Artikel einzugehen, würde hier ja den Rahmen sprengen, dennoch kann man konstatieren, daß eine S. Wagenknecht viel Richtiges und Vernünftiges von sich gegeben hat. Ihre Haltung zu Stalin ist natürlich völliger Humbug wie ein jeder weiß, der etwas belesen ist ( “Archipel Gulag” v. A. Solschenizyn, “Erzählungen aus Kolyma” v. W. Schalamow). Bemerkenswert auch ihre verstörende Haltung zur “Covid-Impfung” vor Jahren in einem Fernsehinterview, als sie einerseits diese Gentherapie kritisierte andererseits aber dann auch froh war, als O. Lafontaine mit dem Zeug “geimpft” wurde. S. Wagenknecht kann zwar recht gut reden und mitunter auch gut argumentieren, hat aber eines gemein mit vielen Politdarstellern - sie hat noch nie gearbeitet.  Ob so jemand tatsächlich das Wohl der arbeitenden Bevölkerung im Blick hat, das mag jeder für sich selbst entscheiden. Eine Hoffungsträgerin ist eine S. Wagenknecht m.E. mit Sicherheit nicht.

Werner Ginzky / 23.10.2023

Gratuliere, die Diffamierung einer Politikerin ist Achgut gut gelungen. Weil der Author strammer AMI-Fan ist, sind alle Gegner der Amis schlechte Menschen. Nicht, dass jemand auf die Idee kommt, ich würde Wagenknecht uneingeschränkt unterstützen. Sie sagt nur ca. hälftig vernünftige Sachen.

Rupert Drachtmann / 23.10.2023

Also erst mal finde ich es persönlich absolut respektabel dass Frau Wagenknecht die „Eier“ und den Willen hat sich auf diesen Weg zu begeben. Politiker aus diesen Holz lassen sich in dieser Truppe nicht viele finden. Was der Einzelne von der politischen Prägung und Ausrichtung dieser zukünftigen Partei hält bleibt jedem selbst überlassen. Auch ist es sicher spannend zu sehen wer darunter Federn lassen wird. Die LINKE allemal.

Heiko Stadler / 23.10.2023

Es gibt in Deutschland drei Gruppen von Wählern: Die Leistungsträger, die Lowperformer (überwiegend Hartz4-Empfänger) und die Steuergeld-Schmarotzer. Die Leistungsträger, die unser Land noch am Laufen halten,  wählen überwiegend die AfD. Die Steuergeld-Schmarotzer, zu denen die vielen “Beauftragten”, die “Experten”, die Stasi-Spitzel, die Propagandisten der Zwangsfinanzierten und die mit deutschen Pass ausgestatteten Eingeschleppten zählen, sind militante Altparteienwähler. Politisch weitgehend heimatlos sind die Lowperformer. Denen dürfte es egal sein, ob Sarah Wagenknecht Stalinistin ist oder nicht. Die wollen einfach nur möglichst viel Geld.

Peter Wagner / 23.10.2023

Mann, oh Mann! Ich kann und will es nicht lesen. Mein Urteil ist längst gefällt: unmögliche, sich selbst vergötternde Person. So sind eben Kommunisten.

Tobias Kramer / 23.10.2023

Wer noch im Wendejahr 1989 in die SED eintritt und dieser mehrfachen umbenannten Mauermörderpartei bis heute die Stange hält, halt rein gar nichts gelernt. Wagenknecht ist und bleibt im Herzen Kommunistin. Da täuschen auch manch kluge Worte in jüngster Vergangenheit nicht hinweg. Und noch eine linke totalitäre Partei braucht es nicht. Die Derzeitigen richten bereits genug Übel an.

Wolf Hagen / 23.10.2023

Sahra Wagenknecht ist und bleibt eine Kommunistin und damit eine Verräterin an der Bundesrepublik Deutschland, an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dem gesellschaftlichen Frieden. Wagenknecht ist und bleibt eine Feindin der Aufklärung, der Freiheit und des gesunden Menschenverstandes. Wagenknecht ist für jeden klar denkenden Menschen unwählbar.

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