Kurz vor der Sommerpause des Deutschen Bundestages werden gern noch eilig brisante Beschlüsse durchgewunken. Auch ein gemeinsamer Antrag von CDU/ CSU, SPD, FDP und den Grünen, der für 17.55 Uhr auf der Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung des Parlaments steht, gehört in diese Reihe. Dabei geht es um das seinerzeit aufsehenerregende Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Gericht hatte geurteilt, dass die EZB dem Bundestag offenzulegen habe, wie sie die Auswirkungen des Programms abgewogen hätte, damit der Bundestag dazu ein Votum abgeben könne. Andernfalls müsste die EZB auf den deutschen Anteil für das Kaufprogramm verzichten.
Die EZB zeigte sich erst etwas unwillig, sich einem nationalen Verfassungsgericht zu beugen. Und eine parlamentarische Debatte zu den umstrittenen Anleihekäufen hätte inhaltlich durchaus das Zeug zu einem veritablen Dauerstreit gehabt. Doch den will die antragstellende Vielparteien-Koalition nun offenbar gern umschiffen. Die Lösung des Problems: Eine schwarzrotgelbgrüne Bundestagsmehrheit stellt der EZB einfach einen Freibrief aus, indem sie per Beschluss feststellt, dass die Notenbank die von den Karlsruher Richtern geforderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit ihrer Anleihekäufe umgesetzt hätte.
„Der Deutsche Bundestag kommt auf Grundlage des Beschlusses des EZB-Rates und der erhaltenen Dokumente der EZB zu dem Ergebnis, dass den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 enthaltenen Anforderungen an das Durchführen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Zusammenhang mit dem PSPP entsprochen wird“, heißt es in dem gemeinsamen Antrag.
Mit großen Debatten, die man eigentlich angesichts der allgemeinen Aufregung um das Verfassungsgerichtsurteil hätte erwarten dürfen, ist nun nicht mehr zu rechnen. Die Welt berichtet verwundert:
„Irritierend ist allerdings das Tempo, mit dem das hochkomplexe Thema noch rechtzeitig vor der Sommerpause durch den Bundestag gebracht werden soll. Erst seit Montag konnten die Abgeordneten in der Geheimschutzstelle des Bundestags die Dokumente einsehen, die die EZB den Parlamentariern zur Verfügung gestellt hatte.
Darunter ein Fragenkatalog zum Anleihekaufprogramm EAPP und Präsentationen in englischer Sprache. Zwar werden in den Unterlagen Kosten und Nutzen durchaus genannt, doch allein schon wegen der kryptischen Abkürzungen wie ABSPP, CBPP-3, Option 2-type dürfte sich der Inhalt nur den wenigsten erschließen. Auch die in den Dokumenten genannte „Hybrid stock-flow formulation“ dürfte nur den wenigsten Abgeordneten ein Begriff sein.“
Immerhin könnte dieser Antrag dann wiederum zu einem Fall für das Bundesverfassungsgericht werden, denn dieses will der fraktionslose Abgeordnete Uwe Kamann anrufen, falls die Abstimmungen wie geplant ablaufen. „Gerade auch als fraktionsloser Bundestagsabgeordneter ist es nicht möglich, bei einem so komplexen Finanzthema, bei dem ich weder Spezialist bin noch die Unterstützung einer Fraktion hinter mir habe, mich in so kurzer Zeit inhaltlich ohne Fachexpertise von außen in die Thematik einzuarbeiten und sie so profunde zu prüfen, wie es meiner parlamentarischen Kontrollpflicht zukommt“, zitiert ihn die Welt.