Ellen Daniel / 16.12.2014 / 14:49 / 5 / Seite ausdrucken

Essen mit Ellen (Nr. 38): Milch

Ist es pervers, die Muttermilch von anderen Säugetieren zu trinken? Manche Menschen bejahen diese Frage. Ein Vegan-Forum listet die angeblichen Gefahren auf, die der Genuss von Kuhmilch für unsere Gesundheit mit sich bringt. Demzufolge macht Milch nicht nur dick und krank, sondern auch hässlich (Akne). Ich versuche mir vorzustellen wie ich aussehen würde, wenn ich nicht seit meinem ersten Lebensjahr mit Begeisterung Milch, Butter, Quark, Joghurt und Käse zu mir nähme.

Die Lakto-Skeptiker weisen darauf hin, dass die Milch von Kühen, Ziegen, Schafen oder Kamelen dem menschlichen Organismus „biologisch fremd“ sei. Das stimmt. Wir sind keine Huftiere. Aber was genau wollen die Milchgegner damit sagen? Empfehlen sie uns den Kannibalismus? Dann wäre uns unsere Nahrung biologisch nicht fremd. Gemüse und Früchte sind uns übrigens noch fremder als tierische Produkte. Und wir essen bevorzugt solche Pflanzenteile, die der Fortpflanzung dienen. Die Geschlechtsorgane, quasi. Das ist pervers, wenn man lange und weltfremd genug darüber nachdenkt.

„Kein Säugetier säugt seine Nachkommenschaft mit der Muttermilch anderer Tiere“, ist das Hauptargument gegen Kuhmilchkonsum. „Ja“, möchte man ausrufen, „Tiere häkeln auch keine Strampelhosen, sie lesen keine Märchen vor und beantragen keine Kostenbeihilfe für die nächste Klassenfahrt!“ Der Mensch ist eben ein Unikum, das „kochende Tier“, wie der Ethnologe Claude Lévi-Strauss schrieb. Kein zweites Lebewesen verarbeitet und variiert sein Essen so hingebungsvoll, um es nahrhafter und meist auch bekömmlicher zu machen. Bisher habe ich das für einen evolutionären Vorsprung gehalten. Dass es von Übel sei, lese ich in einem anderen Internet-Forum: Weil der Körper eines Erwachsenen zu 70 Prozent aus Wasser besteht, sollte auch die Nahrung zu zwei Dritteln „wässrig“ sein und aus Rohkost bestehen. Da halte ich mich lieber an vierlagige Torten, denn ich lebe in einem Haus mit vier Etagen und fühle mich dort artgerecht wohl.

Leider geht es unseren Milchkühen nicht so gut, wie es in einer hochentwickelten Agrarwirtschaft sein könnte. In modernen „Laufställen“ können sich die Tiere frei bewegen, bei Bedarf stellen sie sich einfach in eine vollautomatische Melkmaschine, was sie ausgesprochen gern tun, weil dort leckeres Futter wartet. Von einem Auslauf ins Freie, von einer Weide gar können die meisten aber nur träumen. Sie bekommen Silage und Kraftfutter statt Gras oder Heu, oft auch im Sommer. Das dient der Milchproduktion. Bis zu 12000 Liter Milch gibt eine Hochleistungskuh pro Jahr. Diese Rassen sind auf den landwirtschaftlichen Leistungsschauen zu sehen: Fleischarme Klappergestelle mit grotesk großen Eutern.

Die meisten Rinderrassen haben Hörner, auch die Weibchen. Damit es im Stall nicht zu Verletzungen kommt, werden den Tieren in den ersten Lebenswochen die Hornansätze ausgebrannt. Meist ohne Betäubung. Eine „kuhfreundliche Milch“, wie sie die Welttierschutzgesellschaft mit ihrer Kampagne „Kuh&Du“ fordert, sieht anders aus. Sie setzt sich dafür ein, dass das Ausbrennen nur unter Betäubung oder gar nicht praktiziert wird. Züchtungen ohne Hörner sind eine Alternative.

Es gibt konventionelle Molkerei-Label, die sich eine artgerechtere Milchtierhaltung vorgenommen haben und Laufställe und ein Mindestmaß an Grünfutter garantieren. Seit 2014 ist die Anbinde-Haltung verboten, wenn Milchbauern ihre Ware unter dem EU-Bio-Siegel verkaufen wollen. Das Nähere regelt das Kleingedruckte. So konnte u.a. Bayern eine Ausnahme für kleinbäuerliche Betriebe durchsetzen. Erstaunlicherweise dürfen Milchbauern, die die Firma Demeter beliefern, noch immer Anbinde-Haltung praktizieren. Sie müssen dann geeigneten Auslauf als Ausgleich gewähren, was aber nicht näher definiert ist. Am Strick gehaltene Kühe waren in der guten alten Zeit übrigens die Regel.

Augenscheinlich glückliche Kühe habe ich im Engadin gesehen. Auf der Weide, wo sie vor spektakulärer Kulisse grasten. Und in der Lobby des kinderfreundlichen Sport- und Wellness-Hotels „Nira Alpina“ in Silvaplana bei Sankt Moritz. Dort steht eine ganze Schweizer Milchvieh-Armee, handliche „Themen-Kühe“ aus Pappmaché. Da gibt es die Elvis-Kuh mit Tolle und Schlaghose, die Schweizer Kuh mit weißem Kreuz auf rotem Grund, die Hippie-Kuh mit Stirnband und Fransenpulli, die Tussi-Kuh mit High Heels, die Wellness-Kuh mit Gurkenmaske und so weiter. Die kleine Menagerie verweist auf einen indischen Investor, der nicht nur viel Geld, sondern offenbar auch viel Hindu-Humor hat.

Als Dessert serviert man im „Nira Alpina“ eine interessante Alternative zur Crème brulée: Gebackenen Joghurt. Die Engadiner Süßspeise ist leichter, aber mindestens so köstlich wie der Klassiker aus Sahne und Ei. Sehr gut passen Waldbeeren oder Mangos dazu, ob als Fruchtsalat oder püriert als Fruchtspiegel.

Gebackener Joghurt nach Engadiner Art:

400 ml Kondensmilch, 500 g Naturjoghurt, 400 ml Vollmilch und das Mark einer Vanilleschote mit dem Schneebesen vermischen und in feuerfeste Förmchen gießen. Die Förmchen in eine flache Auflaufform stellen, zwei Finger hoch heißes Wasser eingießen. Die Auflaufform mit Frischhaltefolie gut verschließen. Darüber nochmal Alufolie decken. Bei 130 Grad 25 Minuten im Backofen backen. Folien entfernen, im Kühlschrank erkalten lassen.

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netiquette:

Rolf Gassmann / 17.12.2014

Werter Herr Urbanski (das ist doch ein Künstlername, oder?), ließe man die Kühe artgerecht mit dem Bullen um die Häuser ziehen, würde sie auch “permanent zwangsgeschwängert”, und zwar vom Bullen. Ich wage die Prognose, dass ein Besamungstechniker eine Kuh weitaus zärtlicher befruchtet, als ein “artgerecht” in sexuelle Ekstase geratener Bulle es je könnte. Belegen kann ich diese meine These allerdings nicht. Und Tierschutzgründe gegen die (heutige) Tierhaltung anzuführen, ist generell Nonsens. Warum? Weil die Nicht-Haltung von Tieren für diese erheblich grausamer ist, als deren Haltung. Nur ein banales Beispiel: Bricht sich eine Milchkuh ein Bein, kommt der Tierarzt oder der Schlachter mit dem Bolzenschussgerät, und das Tier ist innerhalb kürzester Zeit erlöst. Bricht sich hingegen ein Wildrind ein Bein… Ist es eigentlich Veganern, Vergetariern, Tierschützern oder sonstigen Weltverbesseren verboten, sich mal ein wenig mit der Grausamkeit der Natur vertraut zu machen, auch auf die Gefahr hin, dass dann das ganze schöne Ponyhof-Weltbild zusammenbricht? Beste Grüße Rolf Gassmann

Jochen Böhrer / 17.12.2014

Fängt gut an, die Ellen Daniel. Und driftet dann auch ins polemisch-ideologische ab. Und merkt offensichtlich ihren Widerspruch nicht. Zuerst lobt sie die Nahrungsmittelzubereitung der Menschen (Zitat: “Kein zweites Lebewesen verarbeitet und variiert sein Essen so hingebungsvoll, um es nahrhafter und meist auch bekömmlicher zu machen. Bisher habe ich das für einen evolutionären Vorsprung gehalten.”) Wenn Mensch aber die Futtermittel für die Kühe nahrhafter und bekömmlicher macht, ist das kritikwürdig (Zitat : “Von einem Auslauf ins Freie, von einer Weide gar können die meisten aber nur träumen. Sie bekommen Silage und Kraftfutter statt Gras oder Heu, oft auch im Sommer.”).

Wolfgang Richter-Kirsch / 16.12.2014

Liebe Frau Daniel! Sie müssen sich nicht unbedingt an mehrlagige Torten halten, sondern dürfen fast alles essen was Ihnen schmeckt: “Weil der Körper eines Erwachsenen zu 70 Prozent aus Wasser besteht, sollte auch die Nahrung zu zwei Dritteln „wässrig“ sein.” Demnach sind gesunde Lebensmittel: Knackiges Muskelfleisch vom Kalb (76,7 % Wasser) Schwein (74,97 %) Rind (74,32 %) Lamm (74,30 %) Hirsch (74,92 %) Huhn (74,55 %) Also beim Fleisch sind wir dem Optimum mit etwa 75 % Wassergehalt schon recht nahe - schlechter sieht es aus beim Fisch: Kabeljau: 81,3 g alle anderen Fisch- und Meerestiere liegen im gleichen Bereich; selbst der als wasserarm einzuschätzende Tintenfisch hat noch 78 % Wasseranteil! Wir lernen: Fleisch ist gesünder als Fisch. Ganz schlimm trifft es uns aber beim Konsum von Obst und Gemüse. Fast alle Sorten liegen über 90 % Wassergehalt! (zu lobende Ausnahme der Apfel mit nur 87,77 %) Eine ausgeglichene Ernährung unter Beteiligung von Obst u. Gemüse ist demnach nicht möglich, da das Zeug einfach zu wässrig ist. Und jetzt kommt der Hammer: Trinkwasser besteht zu 100 % (!) aus Wasser! Dem brutalen Wassergehalt von Trinkwasser kann man allerdings ein wenig aus dem Weg gehen mit dem Konsum von: Bier (93,74 % Wassergehalt) Weißwein (88,69 %) Rotwein (87,0 %) Champagner (86,52 %) Wermut (71.12 %) Cognac (64,88 %) Ich hoffe hiermit nachvollziehbar dargelegt zu haben, dass die optimale Ernährung des Menschen bezüglich des Wasserhaushaltes nur durch Wermut zu gewährleisten ist. Prosit.

Sebastian Häfer / 16.12.2014

Kühe auf der Wiese interpretieren wir Menschen als glücklich. Die moderne Hochleistungsmilchkuh mags kühl. Ab über 15 Grad wird es Ihr schon zu warm. Glücklich auf der Wiese ist Sie im Frühjahr und Herbst und wenn Sie im Sommer die Wahl hat steht sie freiwillig den ganzen Tag in den kühleren Stall oder unter einem schattigem Unterstand.

George Urbanski / 16.12.2014

Werte Frau Daniel, ein paar Minuten Recherche hätte ergeben: Vegan lebende Menschen nehmen aus Tierschutzgründen keine Milchprodukte zu sich. Kühe müssen, um ständig Milch geben zu können, permanent zwangsgeschwängert werden. Die daraus resultierenden männlichen Kälber sind für die Milchproduktion nutzlos und werden überwiegend nach einem halben bis einem Jahr getötet (Kälbermast/Rindermast). Die permanent schwangeren/gebärenden Milchkühe sind nach einigen Jahren ausgelaugt, so dass die Milchleistung nachlässt und somit die Tiere unrentabel und geschlachtet werden. Ist es eigentlich bei Gutachsenmenschen verboten, sich vor dem Schreiben eines Artikels zu informieren, auch auf die Gefahr hin, dass der Clou der Geschichte damit gestorben ist? Beste Grüße George Urbanski

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