2014 war das Jahr des Food Porn. So nennt man es, wenn Menschen Ihr Essen fotografieren und die Bilder anschließend bei Facebook, Instagram & Co. hochladen. Natürlich haben die Mitteilsameren unter uns bereits seit Jahren gefoodpornt. Das Jahr 2014 zeichnet sich jedoch in besonderer Weise dadurch aus, dass die Marotte Gegenstand von Debatten und feuilletonistischen Reflexionen wurde. Gerne hätte ich hier eine Doktorarbeit zitiert, die die Apfelbilder Paul Cézannes oder die Stilleben flämischer Meister mit dem modernen Zeichensystem des Food Porn vergleicht, bin aber nicht fündig geworden. Hinweise und Links nehme ich gerne entgegen.
Was können wir wissen? Food Porn ist eine Spielart des Selfie. Hier wie dort geht es darum, möglichst gut auszusehen und ein Leben zu dokumentieren, das voller Spaß und Dynamik ist. Ironische Einsprengsel allerdings dürfen, ja sollen sein. Den richtigen Grad an Selbstironie erreicht man, indem man beispielsweise ein Missgeschick wie eine geplatzte Mehltüte beim Plätzchenbacken fotografiert oder sich mit einem Becher Glühwein und einem Lebkuchen neben Ortsschilder stellt, auf denen „Hundsöd“, oder „Hinterbacken“ steht.
Eine Sonderform des Food-Selfies stellt das Selbstportrait mit Pils dar, das deutsche Ingenieure fern der Heimat posten. Fast immer wedelt da eine Palme verheißungsvoll im Bildhintergrund. Der Reisende prostet dem Betrachter vom Strand oder vom Hotelbalkon zu. Hier bilden Palme und Pils ein semiotisches Doppel, das den verdeckten Freizeitcharakter von Geschäftsreisen belegen soll. „Seht her, ich schwimme unter Palmen, während ich die Kostenstelle XY belaste“, lautet die fröhliche Botschaft. Sehr selten erreicht uns Pils Porn aus Ulan Bator, Wladiwostok oder Wisconsin, obwohl sich auch dort deutsche Arbeitnehmer aufhalten und Bier gezapft wird. Offenbar sind diese Orte den Herren Ingenieuren nicht glamourös genug.
Ist es ok, im Sterne-Restaurant das Handy zu zücken und unter Blitzlicht-Gewitter die Teller zu fotografieren? Über diese Frage wurde in Frankreich heftig debattiert. Gilles Goujon, Chef des Dreisterne-Restaurants „L’auberge du vieux puits“ hatte ein Handy-Verbot ausgesprochen. Der Mann befürchtet, dass die Fotos, die von betüddelten Gästen geschossen und ins Netz gestellt werden, wie eine Anti-Werbung wirken. Sie vermittelten keinen adäquaten Eindruck von seiner Arbeit. Das ist ein starkes Argument. Bei Food-Fotografie handelt es sich um einen Beruf, den die allermeisten Menschen nicht erlernt haben. Ganz schwierig sind Fleischgerichte mit Soße oder weißer Fisch auf hellen Tellern, wie uns der Berliner Food-Fotograf Jörg Lehmann in einem Interview verrät. Ersteres wirkt schnell wie schon mal verdaut, und das Fischfilet erkennt man nur schemenhaft auf seinem Porzellan. Am besten, man überlässt diese Dinge Profis.
Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen man um Restaurants einen großen Bogen machte, welche Fotos von ihren Gerichten aushängten. Meist handelte es sich um Touristenfallen. Nach einer Weile wellten sich diese Fotos immer, sie gilbten und waren auf eine verwaschene Weise traurig. Später adelte der Kult-Fotograf Jürgen Teller diesen Look. Bleibt das Problem, dass unsere Sehgewohnheiten von den Fotos der Lebensmittel-Werbung bestimmt sind. Dort wird mit Glycerin gearbeitet, mit Haarlack, mit farbigem Licht und mit Lebensmittelfarben. Vergleichen Sie Realität und Bild: Die Fotografen, die den Big Mäc so schmeichelhaft in Szene setzen, müssen Genies sein. Gerne hätte ich die Handynummer von so einem Lichtkünstler, um extrem vorteilhaften Food Porn von mir machen zu lassen.
Was treibt Menschen wirklich dazu, schlechte von Fotos von sich und ihrem Essen ins Internet zu stellen? Was ist der tiefere Sinn von Food Porn? Der Wiener Philosoph Robert Pfaller schreibt in seinem Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“: „Viele unserer heutigen Exzesse geschehen offenbar aus Furcht, die anderen könnten glauben, wir hätten keinen Spaß, wenn sie ihn nicht sehen. Um Zugang zu unseren Genüssen zu finden, brauchen wir dringend den Blick solcher Anderen.“ „Pics or it didn’t happen“, heißt es in der Netzgemeinde, das ist ganz unironisch gemeint.
Ohne sich auf das Posten von Bildern bezogen zu haben, beschreibt Pfaller das Spaßgebot der Philo-Selfie: Wir wollen glücklich sein. Wenn das nicht gelingt, möchten wir, dass die Anderen wenigstens unsere Glücksbemühungen zur Kenntnis nehmen. Daran ändert auch das Gemecker von Michelle Obama nichts, die sich neulich negativ über Food Pornographen geäußert hat. Vielleicht fühlte sie sich vom Blitzlicht in einem piekfeinen Washingtoner Restaurant gestört. “Niemanden interessiert, was Du zu Mittag gegessen hast”, twitterte sie. Die Dame hat keine Ahnung, Das Glück eines guten Essens ist so verdammt flüchtig. Flüchtig wie Live-Musik, wie ein schöner Duft im Vorübergehen, wie ein Sonnenuntergang unter Palmen. Darauf ein Pils auf die Kostenstelle. Cheese!