Erschienen in DIE WELTWOCHE vom 12.3.2009
Die Älteren unter den WeWo-Lesern werden sich noch an die Zeiten erinnern, da man ständig in Sachen „Internationale Solidarität“ unterwegs war. Da es das Internet noch nicht gab, war persönliches Erscheinen Pflicht. Man traf sich bei Demonstrationen für die Befreiung von Angola und Mosambik vom kolonialen Joch, für die Unabhängigkeit von Ost-Timor und Eritrea. Man rief „Hände weg von…!“, wobei dann nur noch das aktuelle Ziel der imperialistischen Aggression eingesetzt werden musste, und „Hoch die internationale Solidarität!“
Diese Zeiten sind längst vorbei. Die ausgebeuteten und unterdrückten Kolonien des Imperialismus sind unabhängige Staaten geworden, wobei es deren ehemalige Freunde nicht einmal einen feuchten Dreck kümmert, von wem und wie sie geführt werden. Hauptsache, sie regieren sich selbst. Und außerdem gibt es ja das Internet, in dem man sich zu allerlei Soli-Demos treffen kann, ohne vom Sofa aufstehen und die Fernbedienung fürs Fernsehen aus der Hand legen zu müssen. Das ist nicht nur bequem, es ist auch effektiv.
In diesem Jahr wird das Europa-Parlament neu gewählt. Es ist vermutlich nicht die wichtigste europäische Institution, aber doch eine mit einer großen symbolischen Bedeutung. 736 Angeordnete aus 28 Ländern repräsentieren die Idee der Vereinigten Staaten von Europa.
Die Wahlen finden erst im Juni statt, dennoch ruft eine Initiative die Kandidaten jetzt schon dazu auf, sich eines wichtigen Themas anzunehmen. Was, liebe WeWo-Leser, glauben Sie, könnte es sein? Der Kampf gegen den wirtschaftlichen Abschwung? Für grenzüber-schreitende Maßnahmen gegen die ebenfalls grenzüberschreitende organisierte Kriminalität? Für mehr Investitionen im Bildungsbereich? Gegen noch mehr staatliche Eingriffe in das Privatleben der Bürger? Nichts von alledem. Die Organisatoren der Initiative appellieren an die Kandidaten für das EU-Parlament, sich dafür einzusetzen, dass die Hamas „sofort und bedingungslos“ von der Liste der terroristischen Organisationen gestrichen wird. Unter allen Problemen, von denen Europa derzeit geplagt wird, ist dieses gewiss das dringlichste. Denn die Hamas, so heißt es in dem Appell, sei „eine legitime Stimme für den Anspruch des palästinensischen Volkes auf nationale Befreiung”.
Klingt doch irgendwie bekannt, oder?
Bis in die 90er Jahre, also bis zum so genannten Oslo-Abkommen, galt der Satz, die PLO sei „die einzige legitime Vertretung der Palästinenser“ und müssen deswegen „sofort und bedingungslos“ von der EU anerkannt und die in die Bemühungen um eine Lösung des Nahostkonflikts einbezogen werden. Erst seitdem die PLO die Bereitschaft zeigt, sich mit der Existenz eines jüdischen Staates in Palästina de facto abzufinden, nimmt ihre Beliebtheit im anti-imperialistischen Lager ab. Die inzwischen in die Jahre gekommenen europäischen Anti-Imperialisten sind fest entschlossen, bis zum letzten Blutstropfen für die Befreiung Palästinas zu kämpfen – so lange es nicht ihr Blut ist, das vergossen wird.
Die Forderung nach einer sofortigen und bedingungslosen Anerkennung der Hamas ist eine euphemistische Formel für die sofortige und bedingungslose Aufgabe Israels durch die EU. Es geht nicht darum, die Palästinenser zu befreien, sondern Israel verschwinden zu lassen. Die Liste der Unterzeichner ist ein „Who is Who?“ der Antizionistischen bzw. Antisemitischen Internationale. Angeführt wird sie von dem portugiesischen Literaturnobelpreisträger Jose Saramago, der vor einigen Jahren erklärt hat, Israels Aktionen in den besetzten Gebieten seien vergleichbar mit den Verbrechen, die in Auschwitz und anderen NS-Lagern verübt worden sind; da Saramago Buchenwald überlebt hat, kann er kein Antisemit sein, also ist er nur ein Antizionist. Im Gegensatz zu dem deutschen Politiker Jamal Karsli, einem Freund des tödlich abgestürzten Jürgen W. Möllemann, der nach einer Entscheidung des Düsseldorfer Oberlandesgerichts als Antisemit bezeichnen werden darf. Zwischen diesen beiden findet man alle Schattierungen des Ressentiments, das „Zionist“ sagt und „Jude“ meint. Auch ein Kontingent österreichischer Antiimperialisten ist dabei, während der deutsche Grüne Jürgen Trittin eigene Wege geht. In einem Beitrag für das Magazin der grünen Fraktion fordert der ehemalige Umweltminister die Aufnahme „direkter Kontakte“ mit der Hamas und behauptet, gemäßigte Hamas-Politiker hätten Israel „indirekt anerkannt“. – Hoch die internationale Arbeitsteilung!