Aus Altersgründen und als Spätrentner habe ich mir auf der Achse eine lange Periode des Schweigens gegönnt. Aber der Kampf der Israelis um ihr eigenes und um das Überleben ihres Staates und die rotzfrechen Hamas-Auftritte auf deutschen Straßen treiben mich dazu, nun doch nicht mehr den Mund zu halten.
Damit es nicht ausufert, will ich vor allem, auch wenn ich nicht der Erste bin, an Robert Habeck entlangschreiben. Er hat es verdient, mehrmals hervorgehoben zu werden, auch wenn er als grün-missionierender Wirtschafts-Behinderungsminister einen ziemlichen Kuddelmuddel anrichtet. Aber ihn zeichnet aus, dass er weit und breit der einzige deutsche Politiker ist, der eine rundum überzeugende Haltung im neuen Nahostkrieg zeigt.
Warum nur er? Weil die anderen es einfach nicht können. Sie wollen es auch nicht. Aber vor allem können sie es nicht. Habeck will und kann. Er hat die spöttische Ernennung zum Philosophie-Minister quasi über Nacht in einen Ehrentitel verwandelt, auch wenn Markus Söder das so nicht gewollt hat. Was wäre wohl herausgekommen, wenn unser Bundespräsident zuständigkeitshalber eine Ruckrede versucht hätte? Halt ein Steinmeier. Und der Bundeskanzler? Ihm hat es nicht zum ersten Mal die Sprache verschlagen. Jetzt könnte er nachträglich nur noch sagen: „Ich schließe mich den Worten meines Vizekanzlers vollinhaltlich an.“
Das wäre erstens etwas peinlich, und zweitens schließt er sich den Worten seines Vizekanzlers keineswegs vollinhaltlich an. Das ist evident geworden, als seine Außenministerin in der UNO deutlich machen durfte oder musste, dass Deutschland das mit der Staatsraison und Israel nicht gar so wörtlich meint. Sich der Stimme zu enthalten, wenn eine Judenhasser-Mehrheit mal wieder die Vereinten Nationen missbraucht – einen solchen Mangel an Haltung hätte man selbst von dieser Regierung nicht erwartet. Da ist die tschechische Verteidigungsministerin Jana Cernochova von einem ganz anderen Kaliber. Ihr Land hat glasklar gegen die Verurteilung Israels gestimmt, und sie hat anschließend damit gedroht, aus der UNO auszutreten. Glückwunsch nach Prag.
Hatte er eine späte Epiphanie?
Aber da haben wir es: Man will nicht und man kann nicht. Man präsentiert sich politisch als Wackelpudding und ist sprachlich nicht in der Lage, über die gängigen Plattitüden hinaus etwas zu sagen, was dem Trauerspiel in und um Israel gerecht würde. Das kann in der Berliner Elite-Versammlung leider nur einer: Robert Habeck. Er hat die Sprachkraft, etwas Gehaltvolles auszudrücken, und er hat das Herz, vom Überfall der Hamas-Terroristen so angefasst zu sein, dass er ohne Auftrag und ohne eigentliche Zuständigkeit hinging und mit Verstand und Gefühl sagte, was gesagt werden musste.
Aber warum kam Habecks Rede so spät? Hatte er eine späte Epiphanie? Das wohl auch. Aber er meldete sich vor allem deshalb so spät, weil diejenigen, die eigentlich so klar hätten sprechen müssen, es so lange nicht getan haben. Bis Habeck moralisch der Kragen platzte, sich hinstellte und es den höheren Amtsinhabern vormachte.
So wie es im Fußball hieß, es gibt nur ein' Rudi Völler, so gibt es in dieser besonderen Lage nur ein' Robert Habeck.
Und was nun? Leider hat Habeck bei diesem Thema, zu dem er so überzeugend gesprochen hat, politisch so gut wie nichts zu melden. Er hat ohnehin nach seinem Erweckungserlebnis vor allem in Richtung seiner eigenen linken Heimat missioniert. Also dort, wo die Palästinenser-Romantik verbunden mit Israel-Hass schon so lange und hartnäckig zu Hause ist. Und dann kam ja auch das zu erwartende Echo. Aus dem linken Milieu hat Habeck vollautomatisch heftigen Gegenwind bekommen. Mission gescheitert? Wird er womöglich noch zum Ausgestoßenen? Zum Opfer der Cancel Culture? Zum Sarrazin der Grünen? Nichts ist unmöglich.
Die Geister der Willkommenskultur
Ähnlichen Gegenwind bekäme übrigens auch der SPD-Kanzler Scholz, wenn er seinen Mund so klar und deutlich aufmachen würde. Tut er aber nicht. Stattdessen hat er jetzt die wohlfeile Forderung an die Bürger gestellt, „Zivilcourage zum Schutz der Juden zu zeigen.“
Es tut gut, dass wenigstens einer mal überzeugend gesprochen hat, aber der Ruck, den Habecks Rede verdient hätte, geht nicht durch Deutschland. Auf unseren Straßen werden weitgehend ungestraft Palästinenser-Flaggen als Unterstützung für die Hamas-Mörder geschwenkt. Und Außenministerin Baerbock geht in der Welt vergebens hausieren, um ein paar besonders unwillkommene Migranten wieder loszuwerden: „Biete stattliche Mitgift bei gefälliger Aufnahme und Heimführung aufrührerischer Migranten“. Aber keiner greift zu.
Die Geister, die unsere ungebremste Willkommenskultur gerufen hat, werden wir nicht mehr los. Die Geister, die Juden in Deutschland wieder das Fürchten lehren und ihre Kinder in den Schulen bedrohen, werden wir nicht mehr los. Die Karawane der Islamisten zieht weiter durch unsere Straßen. Und am Straßenrand stehen grinsend die alten Neonazis und freuen sich, dass Andere ihre dreckige Arbeit übernommen haben.
So bleibt von Habecks Rede wohl nur die Erinnerung an ein paar wohltuende Minuten.
Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung.