Cora Stephan / 25.01.2015 / 11:06 / 7 / Seite ausdrucken

Entsetzen und Gedenken

“Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, hat der “Alternative für Deutschland” (AfD) vorgeworfen, den “geschichtspolitischen Konsens der demokratischen Parteien” aufzukündigen. Der Hintergrund: Die AfD-Fraktion in Thüringen wollte am Holocaust-Gedenktag in der Gedenkstätte einen Kranz mit einer umstrittenen Inschrift niederlegen.

In der Formulierung der AfD wurden die “Opfer des Konzentrations- und Speziallagers Buchenwald” in einem Satz genannt. Knigge sah darin den Versuch, “die Opfer des Stalinismus und des NS-Regimes gleichzusetzen” – und das ausgerechnet am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz.”

Und zum Schluss heißt es in der “Welt”: “Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag hat ihren Vorschlag auch nach Protesten überlebender KZ-Häftlinge inzwischen zurückgezogen.

Die neue Inschrift lautet nun: “In stillem Gedenken”. Auch dieser Text erfülle ihn mit “leisem Entsetzen”, sagte Knigge. Er falle gegen alles zurück, was es selbst in der frühen bundesdeutschen Gedenkkultur gegeben habe.”

Unbestreitbar ist: Nach der “Befreiung” Teil-Deutschlands durch die Rote Armee wurde das KZ Buchenwald schon 1945 von den Sowjets weiter genutzt - als Spez-Lager für Nazis oder solche, die man dafür hielt. Hier wurde willkürlich eingeliefert, wer im Weg stand, oft auch aufgrund von Denunziationen. Und dann wurde auch hier gestorben, an Kälte, Unterernährung, Krankheiten. Wie es sich für “Täter” gehört?

Mein Großvater ist ohne Begründung, Prozess oder gar Urteil 1945 ins Spez-Lager Buchenwald eingeliefert worden, aufgrund einer Verwechslung oder einer Denunziation, und dort irgendwann ums Leben gekommen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis über sein Schicksal etwas in Erfahrung zu bringen war. Und Jahrzehnte hat es gedauert, bis man auch dieser Opfer gewahr wurde. Doch ihrer zu gedenken ist offenbar immer noch nicht gern gesehen.

Ja, man kann sich gewiss streiten darüber, ob die Kranzaufschrift ausgerechnet zum Jahrestag des Gedenkens an die Befreiung des Lagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 angemessen ist und man wünschte sich mehr Fingerspitzengefühl von der AfD. Aber ein Skandal ist das nicht - und dass sich die AfD damit dem “Konsens der demokratischen Parteien” verweigere, besagt entweder gar nichts - oder es klingt nach Denunziation. Die Kranzniederlegung gar zu verbieten, spricht ebenfalls nicht für das Fingerspitzengefühl des Leiters der Gedenkstätte.  Knigges Einschätzung, “Erst wenn die Verstrickung mancher Gefangener des Speziallagers in das NS-Regime thematisiert werde, sei wahrhaftiges Gedenken möglich”, geht an der Wirklichkeit vorbei. Bis heute herrscht die Vorstellung vor, es seien vor allem NS-“Verstrickte”, also Täter, dort umgekommen und denen sei ja recht geschehen. Das ist Verrohung, die im Gewand des Feinsinns daher kommt.

Und wieso auch das “stille Gedenken” Herrn Knigge zu “leisem Entsetzen” veranlasst - das entzieht sich meinem Verständnis.

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Leserpost

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Thomas Baader / 26.01.2015

Man kann Kritik üben im Hinblick auf den Zeitpunkt, aber nicht viel mehr. In den “Speziallagern” saßen zum Teil auch Menschen, die vorher bei den Nazis im KZ waren, oder eben Jugendliche oder irgendwelche Leute. Was gegen ein Gedenken an diese Menschen spricht, ist mir schleierhaft.

Dr.Wilhelm , Gerhard / 26.01.2015

Verehrte Frau Stephan, recht haben Sie, Ihnen gilt meine Verehrung. Vergessen sind die vielen Zehntausende, die nach Mai 45. im Gebiet der russischen Zone von den Sowjets verschleppt, ermordet , beraubt und geschändet wurden . z.B. Aktion Rose, Waldheimer Prozesse usw. und u.a. in den ehemaligen KZ umkamen. Nur weil sie Deutsche waren und meistens keine sog. Nazis Die heute jetzt mit so moralisch erhobenem Geplapper daherkommen,kennen die Geschichte nicht und wollen sie nicht kennen Es ist ja so bequem ,die Auschwitzkeule zu schwingen und wird auch noch gut bezahlt. . Ergebens doc.zoobee

Reinhard Günzel / 26.01.2015

Es ist noch anzumerken, dass die Denunziationen meist unter Zwang und Folter erfolgten. Freiwillig gingen die Wenigsten auf die Kommandatura. Auch meine Tante aus kommunistischem Elternhaus wurde mit 15 Jahren beschuldigt den Werwölfen anzugehören und in ein Spezlager verbracht. Die Anschuldigung war von einem anderen Jugendlichen im Verhör abgepreßt worden.

Roland Tluk / 25.01.2015

Liebe Frau Stephan, Volkhard Knigge lebt von der Deutungshoheit, das ist sein Geschäftmodell. Damit verdient er sein Geld. Wenn er dann für die amtierenden Herren, die ihn subventionieren, dienlich ist, indem er die politische Konkurrenz angreift, versucht er halt zu “überleben”. Die AfD sind Überzeugungstäter. Die Menschen dort werden aber schnell merken, dass die deutsche Politik -spätestens seit Merkel- überhaupt keine Überzeugungen mehr vertritt. Dessen einziges Ziel ist der Erhalt der eigenen Alimentierung. Es entscheiden hier nicht Überzeugungen, sondern lediglich der Geldstrom wer hier was nach eigenen Angaben “glaubt”. Gruß

Lara von Medenstein / 25.01.2015

Die ersten drei Absätze dachte ich, der Artikel wäre Ironie - nach dem Motto: “Wenn Deutschland weiter so verrückt ist, dann werden wir eines Tages allen Ernstes solches lesen müssen.” Aber dann dämmerte mir: Das ist ernst, es ist schon so weit.

Tim Handzel / 25.01.2015

Mit der umstrittenen Kranzniederlegung am Tag der Befreiung von Auschwitz verfolgt die AfD eine Relativierung der deutschen Greueltaten. Dagegen verwahre ich mich. Es tut mir leid, wenn Ihr Vater zu Unrecht ins Lager kam. Meine Großeltern waren im deutschen Konzentrationslager und ich finde es nur widerlich, daß eine AfD sich an so einem Tag mit falscher Anteilnahme und grober Taktlosigkeit bei bräunlicher bis brauner Kilentel anbiedert. Das gehört nicht zu diesem Tag! Ein Skandal ist das nicht, aber einfach ekelhaft! Es mangelt nicht an Fingerspitzengefühl. Es handelt sich um eine bewußte Trampeligkeit. Das ist Absicht. Und wenn Sie selbst einsehen, daß es taktlos ist, warum verteidigen Sie dieses Verhalten?

Michael Haimerl / 25.01.2015

Er ist immer noch “leise entsetzt” weil er eben nicht 100%ig das bekommt was er will. So sieht das aus wenn grantige Kinder älter werden.

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