Gastautor / 17.03.2012 / 12:30 / 0 / Seite ausdrucken

Ein paar persönliche Anmerkungen zu Gerhard Schröder

Christoph Spielberger

Den Rücktritt von Christian Wulff kann die Deutsche Presse als ihren Erfolg verbuchen. Nach der Atomkraft, wegen Fukushima und so, hat die Skandalisierungsmaschine eine weitere große Trophäe errungen. Wulff ist das weiche Ziel, das leichte Opfer, das noch weit bis über seine Amtsausübung hinaus mikroskopisch untersucht, angeklagt und verschmäht werden kann und wird. Die 150€- Lüge von Bettina Schausten setzte das Maß, bis zu welchem Grad die Presse sich selbst korrumpierte, um in der Anklägerrolle bleiben zu können. Deswegen ist es nicht zu erwarten, dass sie aus der Sache Wulff etwas lernen wird, außer noch mehr Machthunger.

Bei anderen Politikern ist man nachsichtiger, obwohl gerade sie Gegenstand von Recherche und Anklage sein sollten. Stattdessen erleben sie Verschonung, Anerkennung, ja Bewunderung. Zum Beispiel Gerhard Schröder. Weil er ein Machtmensch ist, und Machtmenschen sind sexy, so heißt es. Denn wer sich als Journalist Schröder genug anschmiegte, wähnte sich in dem Gefühl im Kreis seiner Macht zu sein. Als Ritter von Gerhards präpotenter Tafelrunde.

Im Juli 1999 war mir ein kurzes (exklusiv-) Interview mit Herrn G. Schröder vergönnt. Der Kanzler kam nach Hannover, um sein Porträt für die Galerie der Ministerpräsidenten von Niedersachsen auszusuchen. Er durfte aus drei Varianten des Dresdner Malers Max Uhlig auswählen. Aufgrund meiner persönlichen Beziehung zu Uhlig kam das Interview zustande. Vor der Staatskanzlei in Hannover waren ca. 30 Pressevertreter versammelt. Mit dem NDR gehörte ich zum einzigen Fernsehteam, das in der Staatskanzlei, im Raum mit den Bildern, auf Schröder wartete. Vom ersten Stock aus sahen wir den Audi mit G. Schröder und seiner Frau vorfahren. Die Limousine hielt an, die vorderen Türen öffneten sich und die Sicherheitsleute stiegen aus. Hinten blieben die Türen zu. Von oben konnten wir durch das geöffnete Schiebedach sehen, warum: Doris Schröder Köpf wischte sich Tränen aus dem Gesicht und schminkte sich anschließend neu. Das dauerte ein wenig. Dann stiegen sie aus und gingen gleich nach oben zu den Bildern. Die Tür öffnete sich und herein stürmte ein sichtlich erhitzter G. Schröder. Mit Riesenschritten durchmaß er den Raum, lief ohne Gruß und Blick in alle Richtungen, der Eindruck war, er tat dies bloß, um alle Herumstehenden zum Ausweichen zu zwingen. Platz da, hier komm ich: ein nicht sehr großer Mann in einem nicht, wie immer berichtet, so gut sitzenden Anzug markierte erst mal das Revier. Sodann beschäftigte er sich mit den Bildern, dann das Interview, vier Fragen. Danach der Teil ohne Kamera, in dem er mit seinem Nachfolger im Amt, Gerhard Glogowski, sprach. Die Lage war angespannt, gegen Glogowski türmten sich gerade die Vorwürfe auf, die später zu seinem Rücktritt führten.

Der Eindruck, der mir zurückblieb, war der eines gekonnten Rollenspielers. G. Schröder war vor der Kamera genau wie immer, selbstsicher, jovial, fast kumpelhaft, 100% so, wie man ihn aus dem Fernsehen kannte, es gab 0% Überraschung. Abseits der Kamera war er ein vollkommen anderer Mensch: eher schnodderig, ein wenig vulgär und daneben manchmal linkisch und unsicher. Seine Gefallsucht, die er vor laufender Kamera wie den Grand mit Vieren von oben spielte, kehrte sich zeitweilig um in eine Art Leerheit.

Es folgte eine Presseerklärung über die Auswahl des Bildes, ein kurzes Foto, und raus war Schröder, zum nächsten Termin. Nur seine Frau wollte noch nicht mitkommen. Sie ließ den Kanzler demonstrativ warten, der, „nun komm’ doch, Doris!“ am Auto stand. Doch, Doris befand sich noch unter der Journalistenmeute, die den beiden bis zum Auto gefolgt war, und unterhielt sich noch mit einem ehemaligen Kollegen, vermutlich aus ihrer Focus- Zeit. Worüber? Über ihre Ehe mit dem Gerd, laut und offen, sie war immer noch den Tränen nahe.

Frau Schröder- Köpf wähnte sich in einem privaten Umfeld, weil niemand der Anwesenden darüber berichten würde. Weil es ja im deutschen Journalismus diese hehre Trennung von öffentlicher und privater Berichterstattung gibt. Eine Trennung, die von der BILD- Zeitung et al. jederzeit widerrufen werden darf. Vor allem dann, wenn man sich nicht (mehr) auf der Seite der Guten befindet. Frau Schröder- Köpf sprach aber auch deswegen so offen, weil das deutsche Volk nach sechzehn Jahren Kohl so derart geil -  sorry, im Kontext von G. Schröder gibt es kein besseres Wort – also: geil auf einen neuen Kanzler war, dass es bereit war, alle seine charakterlichen Abgründe auszublenden, schönzureden und sogar zu bewundern. Zum Beispiel den Audi- Witz: warum er als Dienstwagen Audi fahre, scherzte Schröder öffentlich -  wegen der vier (Ehe-) Ringe im Markensymbol. Die Bewunderung dieses Machotums erschien mir bei einem Mann mit vier Ehen ohne leibliche Kinder schon immer etwas widersinnig.

Sicherlich muss Deutschland Herrn G. Schröder für einige seiner politischen Leistungen dankbar sein. Im Rückblick aber erscheint seine Karriere samt Kanzlerschaft heute mehr als Projekt der Befriedigung seines Machtstrebens und seiner Eitelkeit. „Ich will hier rein….“, mit Zigarren, Auftritten als Fotomodel - die Haare natürlich ungetönt, mit Künstlerfreunden und Lifestyle. Im kollektiven Bildnis, wie bei Wikipedia, steht sein Mund immer offen, wie aus Begeisterung über sich selbst. Macht war noch nie so sexy in Deutschland. G-Punkt Schröder eben.

Er trat das Amt an mit dem Spruch „Ich mach’ den Job jetzt ’mal vier Jahre“. Und er beendete es am Abend seiner Wahlniederlage mit einer Aneinanderreihung von ziemlich plumpem Potenzgehabe. Dies war der Kaiser ohne Kleider, der entblößte Schröder. Es lohnt immer wieder, sich diesen Auftritt zu vergegenwärtigen, um zu wissen, wen man hier vor sich hat.: O-Ton Schröder: „Ihr intellektuelles Problem in allen Ehren, Herr von der Tann, aber…“, „Die Deutschen haben in der Kandidatenfrage eindeutig votiert, das kann man doch nicht ernsthaft bestreiten“, „Ich führe Gespräche, und ich sage Ihnen voraus, die werden erfolgreich sein“, „Frau Merkel wird keine Koalition unter ihrer Führung mit meiner Sozialdemokratischen Partei hinkriegen, das ist eindeutig“. Es kam alles anders. Es war der harte Aufprall der narzisstischen Spielernatur, die ihr Blatt überreizt hat. Und seitdem hat Herr Schröder alles getan, um der gesamten Welt die Abgründigkeit seines Charakters unter Beweis zu stellen.

Es begann damit, Putin einen lupenreinen Demokraten zu nennen. Das war die kalkulierte Provokation, der Knochen für die Presse, den sie bis heute abnagen darf. Denn natürlich war es von Anfang an ein Skandal ersten Ranges, dass Schröder den Spross einer der widerwärtigsten Terrorfabriken der Welt (KGB) in Schutz nahm. Weil er fortan quasi von einer Tochterfirma derselben (Gazprom) bezahlt wurde. Deswegen sind für Schröder jetzt, bei Putins Wiederwahl, eher die Wahlbeobachter das Problem als die Vorwürfe der Wahlfälschung.

In diesem Stil ging es weiter: er verteidigte die russische Militärinvasion Georgiens. Er verteidigte China gegen Vorwürfe der Verletzung der Menschenrechte, das verstößt für ihn gegen den guten Ton. Er ist ein Fan von Recep Tayip Erdogan, dem demokratisch (wieder-) gewählten türkischen Diktator, der sein Land in den letzten Jahren in ein riesiges Gefängnis verwandelt hat. Deswegen wird Schröder am 17. März eine weitere Lobrede auf Erdogan halten, wenn dieser in Bochum einen Preis für seine „Geradlinigkeit, Offenheit, Menschlichkeit und Toleranz“ im Bemühen um die Einigung Europas erhält. Und: „Der Islam ist keine politische Ideologie, sondern eine friedliche Religion. Das lehrt der Koran“, so Religionsexperte Schröder in unschuldigster Geradlinigkeit. Als erster deutscher Kanzler besuchte er Gaddafi in Libyen, und die vielen Fotos von ihrem Treffen im Beduinenzelt künden von einer geradezu heiteren Atmosphäre. Im Wahlkampf 2002 schlug Schröder, im Rahmen seines Nein zu einem Irakeinsatz, antiamerikanische Töne an und verharmloste gleichzeitig die Gefährlichkeit Saddam Husseins. Es musste sein, es ging schließlich um seine Wiederwahl. Später hatte er auch kein Problem in den Iran zu reisen und Ahmadinejad, während des iranischen Wahlkampfes, als freundliche Geste so zu sagen, die Hand zu schütteln. Es musste sein, denn es ging darum „speziell auf dem Gas-Sektor ein neues Kapitel in den deutsch-iranischen Beziehungen zu eröffnen“ (Teheran Times).

Kaum ein Diktator ist eklig genug, um nicht von Schröder angewanzt zu werden. Das heißt, Apologien für Nordkorea und den Sudan wären noch zu vergeben. Insgesamt ist es eine arg lange Liste von schiefen Liebesbekundungen, bei denen es nie um moderne, abendländische Wertvorstellungen und Prinzipien geht, dafür immer um Geld und Macht.

Warum? Man kann es damit erklären, dass autoritäre Charaktere sich von autoritären Ideologien angezogen fühlen; oder, mehr auf der persönlichen Ebene, sich Schröder einfach zu seinesgleichen hingezogen fühlt, zu Machtmenschen mit Emporkommenshintergrund; gemäß der alten Bauernregel: eine Sau erkennt die andere am Gang. Jedenfalls hat Herr G. Schröder eine auffällige Affinität zu Diktatoren und totalitäre Ideologien - nicht weil er etwa selbst kein Demokrat wäre. Sondern weil er Macht, und hier gibt es wiederum kein besseres Wort: einfach viel geiler findet als alles Andere. Das macht ihn so vielseitig einsetzbar.

Thomas Maul hat in einem sehr lesenswerten Aufsatz zuletzt Helmut Schmidt als die Charaktermaske des postfaschistischen Deutschlands bezeichnet.  Post- im Sinne des Fortwesens in der Demokratie. Ausführlich erläutert er Spuren der Kontinuität bezüglich Staatstheorie und Politikverständnis bei Schmidt. Es bleibt zu untersuchen, in wie weit Gerhard Schröder auch ein Ausdruck dieses Postfaschismus im Deutschen Volk sein könnte.

Christian Wulff wird mit seinem lächerlichen Billigkredit für sein popeliges Haus zum Skandal, weil die Deutschen es schlecht ertragen, dass sie selbst so sind wie er: um Rechtschaffenheit bemüht, dem privaten Vorteil nicht abgeneigt, dabei recht kleinlich und blass. Seine Fehltritte erscheinen eher gering, es ist die Person, die stört. Hätte die Presse dieselben Maßstäbe angelegt, hätte Schröder auch nicht im Amt bleiben dürfen. Die Verwicklungen zu Maschmeyer waren viel enger, viel teurer, viel weitreichender. Schröder ist kein Skandal, weil die Deutschen hier ihr ersehntes Ego schauen. Ein Ego voller Präpotenz zwischen Roland Kaisers „Einmal möchte ich schon mit Dir… „ und „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt“ der Prinzen. Ja, so sind sie eben, diese Machtmenschen. Schon gruselig, aber doch irgendwie faszinierend.

Entgegen dieser Komplizenschaft ist es wichtig, sich zu erinnern: G. Schröder ist ein Dauerskandal, mit fast allem, was er seit Jahren öffentlich sagt und macht. Es sagt nichts Gutes über Deutschland, ihn so weit nach oben gebracht, zum Bundeskanzler gemacht und wiedergewählt zu haben.

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