Die Bonmots, Spitzen und Sottisen, die über das diplomatische Gewerbe umgehen, sind Legion. „Diplomatie ist die Kunst, mit hundert Worten zu verschweigen, was man mit einem einzigen sagen könnte“, schrieb der französische Lyriker Saint-John Perse, im bürgerlichen Leben selbst Diplomat, während der italienische Schriftsteller Giovanni Guareschi festhielt, ein Diplomat sei ein Mensch, der offen ausspreche, was er nicht denke. Als prototypischer Repräsentant seines Standes wird nicht umsonst häufig Charles Maurice de Talleyrand herumgeboten, der französische Edelmann, der von Ludwig XVI. über diverse revolutionäre Regierungen und Napoleon bis zum restaurativen Bürgerkönig Louis Philippe jedem Regime seine Dienste zur Verfügung stellte. Ein Lügner und Intrigant, der mit Engelszungen redet und dabei stets den Dolch im Gewande trägt, so stellt sich das Volk einen Diplomaten vor.
Sagt allerdings ein Diplomat doch einmal, was er denkt, ist es auch wieder nicht recht. Dann kommt es vor und hinter den Kulissen zu den kompliziertesten Irrungen und Wirrungen und die Presse ruft: „Skandal!“ Einen solchen hat dieser Tage die amerikanische Spitzendiplomatin Victoria Nuland losgetreten. Die UNO solle die Dinge in der Ukraine „zusammenkleben“, forderte Nuland und fügte auch gleich noch ihre Einschätzung der Rolle Brüssels im Konzert der Mächte hinzu: „Fuck the EU“, frei übersetzt: „Scheiss auf die EU“ sagte die 54-jährige Europabeauftragte der Obama-Regierung in einem Gespräch mit US-Aussenminister John Kerry und Geoffrey Pyatt, der als US-Botschafter in Kiew residiert.
Peinlicherweise gelangte ein Mitschnitt des Gesprächs ins Internet, wo er nun in diversen Versionen auf dem Portal Youtube von aller Welt angehört werden kann. Wie dies geschehen konnte, ist vorderhand unklar; Obamas Sprecher Jay Carney deutete an, die Russen könnten dahinter stecken. In Europa war die Aufregung naturgemäss gross: „Absolut unakzeptabel“ seien Nulands Äusserungen, liess die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verlauten. Das US-Aussenministerium versicherte, Nuland habe sich bereits entschuldigt.
Dabei müsste man Victoria Nuland zugutehalten, dass sie in Kiew einen Anfall von Ehrlichkeit erlitten hat. Ihre Wut auf die Europäer, die zwar überall mitreden wollen und oft als schärfste Kritiker der Amerikaner auftreten, den USA jedoch gerne die militärische Führung im westlichen Bündnis überlassen, dürfte in Washington von vielen geteilt werden. In Brüssel sollte man der Undiplomatin indes dankbar dafür sein, dass sie für einmal aus der Rolle fiel und Klartext sprach, denn wie sagte der französische Staatsmann Félix Faure: „Diplomatie ist die Kunst, einen Hund so lange zu streicheln, bis Maulkorb und Leine fertig sind.“
Zuerst erschienen in der „Basler Zeitung“