Gastautor / 20.11.2012 / 14:27 / 0 / Seite ausdrucken

Durch Unwissen allein nicht zu erklären

Oliver Grote

Dieser Artikel ist so überflüssig wie ein Kropf – dessen bin ich mir durchaus bewusst. Wem es gelingt, trotz der prekären Informationspolitik unserer Massenmedien den Überblick zu bewahren und sich ein objektives Bild von der Lage in Nahost zu machen, wird nichts Neues erfahren, zumal es entsprechende Artikel bereits in den letzten Tagen gab. Eher noch geringer wird der Effekt dieser Zeilen auf diejenigen sein, die sich gar nicht informieren wollen, weil sie sich ihr Weltbild nicht zerstören lassen möchten. Warum dann dieses Vergeudung von Lebenszeit und Papier, warum dieser sinnlose Text? Vielleicht entstehen diese Zeilen nur aus meinem eigenen Bestreben heraus, die Dinge klarer zu sehen. Vielleicht bin ich einfach nur naiv und glaube tatsächlich, einige Wenige zu erreichen, von denen ich weiß, dass sie weder böswillig noch grundsätzlich antiisraelisch, sondern nur desinformiert sind. Wahrscheinlich kann ich aber einfach nicht mehr die einseitige und vor allem ungerechte mediale Aufbereitung des Themas ertragen. Doch genug der vorauseilenden Entschuldigungen: Folgende Hintergründe der jüngsten Kämpfe im Nahostkonflikt werden in der deutschen Öffentlichkeit kaum thematisiert, sind aber unerlässlich, um das Geschehen auch nur ansatzweise zu verstehen.

Am 23. Oktober 2012 zerstörten israelische Bomber die Jarmuk-Waffenfabrik im Sudan, die Raketen und Granaten für den Iran produzierte. Auch Raketen des Typs Fajr-5 wurden dort gelagert – eben jene aktuell von der Hamas benutzten Flugkörper, deren Reichweite ungleich höher ist als die bisher verwendeten Qassam-Raketen. Die neuen Geschosse können von Gaza abgefeuert Tel Aviv oder Jerusalem erreichen und gehen zurzeit auch tatsächlich auf israelischem Boden nieder.

Dass der Iran vom Sudan aus die Hamas mit Waffen beliefert, ist mehrfach aufgedeckt worden, aber der Öffentlichkeit anscheinend kaum bekannt. Die gezielte Tötung des Militärchefs der Hamas, Ahmed al-Dschabari, ist ebenfalls in diesem Kontext zu sehen: Der gesuchte Terrorist – eine Tatsache, die gerne vergessen wird, denn zumeist wird der Eindruck erweckt, Israel habe einen legitimen Politiker ermordet – war verantwortlich für das Fajr-5-Programm. Mit anderen Worten: Israels Absicht, sich selbst und seine Bevölkerung vor dem Beschuss mit den gefährlichen Raketen zu schützen, ist offenkundig. Dieser Zusammenhang wird aber kaum kommuniziert.

Zwar wurde über die Zerstörung der sudanesischen Fabrik berichtet, aber aufgegriffen wurde das Thema nicht, als die israelische Bombardierung der Fajr-5-Stellungen in Gaza begann. Die unmittelbaren Kommentare nach dem 23. Oktober sahen in dem Angriff eher eine gegen den Iran gerichtete Provokation (vgl. etwa http://www.spiegel.de/politik/ausland/angriff-auf-waffenfabrik-in-sudan-koennte-warnung-israels-an-iran-sein-a-863406.html), um die Reichweite des militärischen Operationsbereichs Israels zu demonstrieren. Und natürlich wurde Israel vorgeworfen, einen anderen Staat angegriffen zu haben. (Nebenbei bemerkt: Daran, dass Human Rights Watch bereits 1998 den Sudan beschuldigt hatte, in der Jarmuk-Fabrik verbotene chemische Waffen zu produzieren, wurde natürlich nicht erinnert.) Man sollte sich an dieser Stelle fragen: Würde man es selbst als Verantwortlicher der deutschen Regierung hinnehmen, wenn eine Waffenfabrik irgendwo in Europa einen beliebigen deutschen Nachbarstaat belieferte, der dann mit den dort produzierten Waffen deutsche Städte bombardierte? Wohl kaum.

Als Israeli braucht man sich mit solch hypothetischen Gedankenspielen nicht aufhalten. Der durchschnittliche deutsche Nachrichtenschauer und Zeitungsleser bekommt es nur selten mit, aber Fakt ist: Seit 2001 sind mehr als 11.000 Raketen von Gaza aus auf Israel abgefeuert worden – beileibe nicht nur auf militärisch relevante Ziele, in den meisten Fällen waren die Angriffe direkt gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Selbst im Oktober 2012, als es im Vergleich zur jetzigen Lage noch relativ ruhig war, schlugen 116 Raketen und 55 Granaten auf israelischem Boden ein.

Dass es nicht nur die unbestritten leidende palästinensische Zivilbevölkerung gibt, sondern auch israelische Opfer, wird seltsamerweise übersehen. Einen kleinen Eindruck davon, was es zuweilen bedeutet, in Israel zu leben, geben diese Videos: http://rungholt.wordpress.com/2012/11/17/leichtsinn/. Alle, die behaupten, Israel würde militärisch intervenieren, um Wahlkampf oder expansive Politik zu betreiben oder einfach nur Terror auszuüben, sollten sich wiederum die Frage stellen: Fände man es selbst adäquat, wenn der eigene Staat eine permanente Bedrohung seiner Zivilbevölkerung hinnähme? Eine Bedrohung, manifestiert durch Raketen, die auf die Bevölkerung niederprasseln und von denen jede Einzelne das Potential hat, unzählige Menschen zu töten? Möglicherweise haben sich viele Deutsche diese Frage noch nicht gestellt, weil das Leid der israelischen Bevölkerung nicht bis in unser Bewusstsein vorgedrungen ist. Jeder kennt die schlimmen Bilder von palästinensischen Opfern, die durch die Straßen von Ramallah oder Gaza-Stadt getragen werden; die israelischen Opfer werden nur selten gezeigt.

So viel zur aktuellen Situation. Doch nicht nur eine besorgniserregende Unwissenheit über die momentane Lage, sondern eine auch ganz grundsätzlich falsche Einschätzung der beteiligten Akteure bewegt viele dazu, in Israel den Aggressor zu sehen. Die Hamas ist keine Organisation von Freiheitskämpfern, wie oft behauptet wird, sondern eine terroristische Vereinigung, die Anschläge auf die Zivilbevölkerung durchführt. Natürlich sterben auch bei israelischen Angriffen Zivilisten, aber nicht zuletzt deswegen, weil die Hamas menschliche Schutzschilde um militärisch relevante Ziele errichtet und militärische Einrichtungen bewusst in ziviler Umgebung aufbaut. Der entscheidende Unterschied ist: Israel hat in Einzelfällen sicherlich Unrecht begangen und unnötiges Leid verschuldet, aber Leid zu verursachen ist nicht das Ziel israelischen Handelns – ganz im Gegensatz zur Hamas.

Um das zu erkennen, bedarf es nur des Blickes in die Charta der Hamas: Dort heißt es etwa in Artikel 7, es sei die Pflicht eines jeden Muslims, Juden (d. h. nicht nur Israelis!) zu töten – unabhängig von jeder Tagespolitik bestimmt Judenhass das Handeln der Hamas. In Artikel 22 werden Juden für alle wichtigen Katastrophen der Weltgeschichte verantwortlich gemacht – inklusive der beiden Weltkriege. Und auch die Leugnung des Holocausts ist ein zentrales Anliegen der Hamas, die beispielsweise gegen die Thematisierung der nationalsozialistischen Verbrechen an UN-finanzierten Schulen in Gaza heftig protestierte. All das scheinen in Deutschland viele nicht zu wissen, genauso wenig wie bekannt ist, dass die Hamas laut ihrer eigenen Charta keine Zweistaatenlösung verfolgt, sondern die Vernichtung des Staates Israel – nicht zufällig zieren das Wappen der Hamas nicht nur die Umrisse der Westbank und des Gazastreifens, sondern ganz Israels.

Vielleicht bewegt nicht zuletzt die Unkenntnis dieser Faktenlage viele Deutsche dazu, ausschließlich Israel für den Konflikt verantwortlich zu machen. Ekelhaft antisemitische Kommentare wie die des Piraten-Abgeordneten Dietmar Schulz („Grotesk: Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg auf jüdischem Friedhof während Israel bombt was das Zeug hält.“) sind durch Unwissen allerdings nicht zu erklären. Echte Antisemiten werden auch durch bessere Kenntnis der Sachlage nicht zu besseren Menschen; sie bleiben widerlich, wie sie sind, weil Antisemitismus nichts mit Wissen zu tun hat. Aber ich habe die Hoffnung, dass der durchschnittliche deutsche Bürger nicht chronisch israelfeindlich und antisemitisch ist, sondern nur desinformiert. Und darum muss es eine ausgewogene Berichterstattung geben – nicht nur in Kolumnen und Kommentaren, die im Wust des Informationsüberflusses untergehen, sondern auch und vor allem in den aktuellen Schlagzeilen! Also, liebe Verantwortliche aller Nachrichtensendungen, Tageszeitungen und Online-Magazine: Bitte berichtet über jedes Geschoss, das auf israelischem Gebiet einschlägt, über jedes israelisches Opfer – genauso wie ihr über jedes palästinensische Opfer berichtet!

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