Gastautor / 22.11.2018 / 10:30 / Foto: Rudolf Stricker / 15 / Seite ausdrucken

Drei Gäste, eine Meinung: Wie man an der FU korrekt diskutiert

Von Oriana Löwenstein.

Sicherlich kennen Sie folgendes Phänomen: Ein paar Freunde treffen sich nach Feierabend auf ein Glas Weinschorle, und im Laufe des Abends werden dann irgendwann politische oder gesellschaftliche Themen angesprochen. Jeder hat etwas zu sagen und eine Meinung abzugeben, während die anderen zustimmend nicken. Gott bewahre, dass ein Streit entsteht und das harmonische Beisammensein stört!

Diesen Eindruck erweckte nun auch die am Abend des 13.11.2018 an der Freien Universität Berlin veranstaltete Podiumsdiskussion mit dem Namen „Was darf ich sagen? Und wer bestimmt das?“, so als handele es sich bei den Gästen um drei Bekannte, die sich verabredet haben, um sich gegenseitig in ihrer Meinung zu bestärken. Es handelte sich um eine Veranstaltung des Dahlem Humanities Center, einer Forschungsgruppe der FU, und dem Interdisziplinären Zentrum Europäische Sprachen, das eine Art Institut ist, ebenfalls an der FU.

Gefragt wird an diesem Abend nicht, ob wir politisch korrekte Sprache brauchen (geschweige denn, welchen Einfluss diese Art von Sprachnormierung auf unser Denken hat oder welche Schwierigkeiten sich bei deren Gebrauch ergeben). Denn das steht offenbar von vornherein fest; spätestens von dem Moment an, als das Buch „Eine Frage der Moral – Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ aus dem Duden-Verlag vorgestellt wird.

Anstatt mithilfe von plausiblen Argumenten zu erklären, weshalb die sogenannte Political Correctness eine empfehlenswerte Option für die deutsche Sprache sein könnte, wird eine weniger aufwendige Lösung gewählt und schlichtweg entschieden, dass wir jetzt alle nach bestimmten Vorgaben sprechen sollen. Es sei ja das Richtige und offenbar das einzig moralisch Vertretbare. Moral ist sowieso ein großes Thema an diesem Abend; die größten Philosophen aller Zeiten hätten sich ihre unzähligen Abhandlungen über die Ethik vielleicht sparen können, hätten sie nur gewusst, dass der Duden im 21. Jahrhundert das Problem ein für allemal lösen wird.

Man dürfe „ja alles sagen“, aber...

Neben „Eine Frage der Moral“ werden auch noch weitere Broschüren, oder besser gesagt Ratgeber vorgestellt, zum Beispiel „Richtig gendern – wie Sie angemessen und verständlich schreiben“, ebenfalls ein Produkt des Duden-Verlags. Der Moderator der Veranstaltung, Professor Matthias Hüning, wagt den Kommentar, das Wort „angemessen“ impliziere, es gäbe auch eine unangemessene Art zu sprechen. Kathrin Kunkel-Razum, eine von den drei Gästen und Leiterin der Duden-Redaktion, beteuert jedoch, das Buch sei als Empfehlung und nicht als Anweisung zu verstehen. Die Journalistin Konstantina Vassiliou-Enz, die ebenfalls einen Platz am Pult einnimmt, gibt strahlend bekannt, dass auf den Jutebeuteln ihres Vereins „Neue Deutsche Medienmacher“ neuerdings „Neue Deutsche Medienmacher*innen“ stehen wird. Nur damit jeder Bescheid weiß. Zum Beweis hat sie einen davon mitgebracht und hält ihn stolz in die Höhe; das Design hat in den Jutebeutel-Kollektionen einiger Prenzlberger gerade noch gefehlt.

Letztendlich kann der Zuschauer doch halbwegs befriedigt den Saal verlassen, es werden nämlich die Fragen aus dem Titel „Was darf ich sagen? Und wer bestimmt das?“ weitgehend beantwortet. Man dürfe „ja alles sagen“, hier gelte schließlich Meinungsfreiheit, müsse aber „mit den Konsequenzen rechnen“. So wurde jedenfalls auf eine vorsichtige Frage aus dem Zuschauerraum eingegangen, die sich darauf bezog, was passiert, wenn man die neuerdings für korrekt befundene Sprachform missachtet.

Es wird schon nicht die Polizei kommen und einen festnehmen, lautet die Antwort aller drei „Diskutierenden“. Da ist man ja beruhigt. Dass dabei eigentlich nach gesellschaftlichen Konsequenzen des „unkorrekten Sprechens“ gefragt wurde, wird geflissentlich übergangen. Und wer das bestimmt? Nun, dem Anschein nach die universitären Eliten, so wie zum Beispiel der dritte Gast und Professor für Linguistik, Anatol Stefanowitsch, der zufällig auch der Autor von „Eine Frage der Moral“ ist. Anatol Stefanowitsch ist Linguist, zurzeit als Professor an der FU, der sich in den sozialen Medien einen Namen gemacht hat (13.000 Follower auf Twitter) mit dem Thema "Sprache und Diskriminierung".

Professorale Dönkes als Selbstkritik

Fast beiläufig bedient dieser sich der heutigen stereotypen Feindbilder (der mittelalte, weiße, heterosexuelle, christliche Mann), erhebt seine Position regelrecht zur moralisch richtigen, lehnt offenbar jegliche Diskussion ab (und findet dies auch noch richtig!), und versucht unter anderem auf diese Weise, das Publikum zu beeindrucken. Wenn Ihnen all diese Merkmale bekannt vorkommen, dann haben Sie womöglich schon einmal etwas von propagandistischen Stilmitteln gehört. Das Publikum (überwiegend Studenten) ist übrigens schon bei der Erwähnung weißer Männer begeistert und klopft wie wild auf die ausgeklappten Pulte.

Überdies macht Stefanowitsch sich über seine eigenen Leser lustig, indem er von positiven Rezensionen erzählt, die er von seiner favorisierten Zielgruppe (den berüchtigten mittelalten weißen Männern) erhalten hat, und lamentiert: Er verstehe nicht, wieso diese Leute erst sein Buch lesen mussten, um die darin enthaltene Wahrheit zu erkennen. Und er profiliert sich nicht nur an diesem Abend vor den Studenten, sondern erzählt sogar davon, wie er sich in der Vergangenheit profiliert hat (sic!): Er hätte einmal selbst bei einer Veranstaltung öffentlich angemerkt, wie schade es sei, dass die Redner allesamt mittelalte weiße Männer gewesen wären (ihn mit einbezogen), womit er reflektierte Selbstkritik geleistet hätte.

Daraufhin soll jemand aus dem Publikum so etwas ausgerufen haben wie: die Kritik an weißen Männern solle aufhören, seine Mutter helfe schließlich in einem Flüchtlingsheim in Düsseldorf. Wie auch immer man diesen unüberlegten Kommentar nun einstufen mag, Stefanowitschs Reaktion kann ihn nicht gerade an Geisteskraft übertrumpfen: Der Mann hätte bereits ausgesehen wie ein Düsseldorfer. Jetzt brüllt das Publikum vor Lachen, was bestimmt nicht der Fall gewesen wäre, hätte er so etwas über einen arabisch aussehenden Mann gesagt.

„Der Duden stellt seine Bestseller vor – Eintritt frei“

Die anderen beiden Gäste (Gästinnen? Gastierenden?), Kunkel-Razum und Vassiliou-Enz haben etwas weniger zu sagen, auch mischen sie sich kaum in die rhetorischen Exkurse Stefanowitschs ein. Vassiliou-Enz versucht zumindest einige Male klarzustellen, dass die Redefreiheit gewährleistet ist, Stefanowitsch betont daraufhin aber jedesmal, dass dem nicht ganz so sei, man „müsse“ auf eine bestimmte, richtige Weise reden. Entgegen dem in der Sprachwissenschaft gern gebrauchten Spruch „Drei Linguisten, fünf Meinungen“, kann daher die Konversation dieses Abends nur mit den Worten „Drei Gäste, eine Meinung“ zusammengefasst werden.

Nun ist leider diese Art von Diskussion, bei der niemand diskutiert, an der Freien Universität eine traurige Realität geworden. Wieso fragen wir uns nicht, was es überhaupt soll, dass Sprachwissenschaftler neuerdings festlegen, was gesagt werden darf oder nicht? Oder weshalb bekannte und sinnvolle Kritiken an der Political Correctness nicht ansatzweise thematisiert werden.

Wie zum Beispiel, dass die Fokussierung auf die äußere Form der Sprache von den Inhalten gesprochener und geschriebener Texte ablenkt. Oder das Risiko der Geschichtsverfälschung durch Umbearbeitung und Zensur von Literatur. Denn andernfalls hätte die Veranstaltung auch heißen können: „Wie Studenten angemessen gendern lernen – Experten geben Tipps“ oder „Der Duden stellt seine aktuellen Bestseller vor – Eintritt frei“. Aber Hauptsache, es wird niemand für seine Worte festgenommen und gerichtlich belangt. Noch nicht.

Siehe zum gleichen Thema heute von Norbert Bolz: Treibhäuser der Konformität

Oriana Löwenstein ist gebürtige Berlinerin, tschechoslowakischen Ursprungs, und studiert seit einigen Jahren Filmwissenschaft, Spanisch, Katalanisch, Hebräisch und Sprachwissenschaft. Zurzeit arbeitet sie an einer Bachelorarbeit zum Thema Propagandafilm. 

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Leserpost

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C. Bauer / 22.11.2018

Es lebe die Meinungsfreiheit. Ein dreifaches hoch, hoch, hoch! auf unsere Demokratie und die bestens funktionierende Diskurskultur. Ich wäre gerne bei dieser “Diskussion” dabei gewesen, um diese selbstgefälligen, heuchlerischen und an Propagandastilmitteln unnahbare, durch Konformität und Parteitreue kaum zu übertreffenden “Intellektuellen” ein wenig mit konstruktiven Fragen im Bezug auf “gender-, hautfarben- und abstammungsgerechte Sprache aus dem eigenen Gedankenkonstrukt zu katapultieren. Bedauerlicher Weise lebe ich in München und muss arbeiten. Danke für die Zusammenfassung dieser äußerst diversen Diskussion. Ich bin jeden Tag wieder verblüfft. Aber es geht immer noch dümmer, noch korrekter, noch absurder. Chapeau.

Peer Munk / 22.11.2018

Darf man sich auch als alter weisser Mann diskriminiert fühlen? In einer Liste für richtiges Gendern wurde “jagende Person” anstelle von “Jäger” empfohlen. Nun ist es aber die Person. Also müsste es besser heissen “das jagende menschliche Wesen”, oder etwa nicht??

C. Wendler / 22.11.2018

Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich Folgendes anmerken. Sprachwissenschaft befasst sich damit, Sprache und ihre Entwicklung zu beschreiben und die verschiedenen Vorgänge zu analysieren und zu kategorisieren, und dies stets unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren (historische, soziale, geographische, kognitive und viele weitere). Die (historische) Sprachwissenschaft hat viel für ein besseres Geschichtsverständnis geleistet. Auch sind Erkenntnisse und Methodik der Sprachwissenschaft enorm nützlich für das Lehren und Erlernen von Fremdsprachen sowie für die moderne Datenverarbeitung (man denke nur an Such- und Übersetzungsmaschinen). Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Sprachwissenschaft Normen für Sprache festzulegen und somit Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Punkt.

Wiebke Lenz / 22.11.2018

Als Frau benutze ich für mich allein nur noch die männliche sprachliche Form (“Ich bin ein Held” o.ä.). Auch wenn ich um den Fehler weiß und ich eigentlich ein Sprachfanatiker bin. Aber dient ja der “inklusiven Sprache” ..., Und gerade “Studierende” (kann ich nur sein, wenn ich es in genau dem Moment tue) ist ja nicht weniger falsch. Dies sollte doch erst recht Linguisten ein Dorn im Auge sein. Zudem: Aus dem Polnischen und dem Hebräischen weiß ich es ganz genau, dass für Gruppen, in denen verschiedene Geschlechter vorhanden sind, der Einfachheit halber die männliche Form genutzt wird. Warum hier so ein Theater? Zu dem Duden-Produkt “Eine Frage der Moral” hatte ich ja bereits eine Meinung abgegeben. Ich will keine “moralische”, sondern eine aussagekräftige Sprache. Und dies kann die in meinen Augen wundervolle deutsche Sprache mit all ihren differenzierenden Abstufungen - ganz ohne “gendern”. Die Möglichkeiten der Sprache werden schlicht vielfach nicht genutzt, weil Worte gedankenlos verwandt werden (ich schließe mich hier nicht aus). Als Christ bin ich übrigens auch gegen die “Bibel in gerechter Sprache”. Ursprüngliche Texte werden noch mehr verfälscht, als sie durch etliche Übersetzungen sowieso schon wurden. Und ganz ehrlich: Es ist ganz einfach auch der Zeit damals geschuldet, dass die Frauen nicht erwähnt wurden, da ihre Rechte sehr beschränkt waren. Dies hat sich jetzt glücklicher Weise geändert - aber wo ist das Problem im Kontext? Werden alle Leser der Bibel für so blöd gehalten? Nicht zuletzt: Wer Zusammenhänge und den Kontext in einem Satz nicht erkennen kann oder will, sollte entweder seinen Intellekt oder sein Selbstbild überprüfen. Bei schweren Selbstsicherheits-Störungen sollte ggf. ein Arzt zu Rate gezogen werden.

Gustav Nesemann / 22.11.2018

Bei RTL gab es vor 20 Jahren als Teil der Comedyserie “Samstag Nacht” einen Sketch: “Zwei Stühle, eine Meinung”. Was damals urkomisch als Parodie auf Talk Shows gedacht war, in denen tatsächlich noch verschiedene Meinungen geäußert wurde, ist heute schon Realität.

Thomas Taterka / 22.11.2018

Solche Veranstaltungen sind Testballons. Irgendwo im Hintergrund sitzt eine unscheinbare Figur, der ihren Namen auf einer Liste ankreuzt, wie in “Viva Zapata “. Auf dem Podium wird heftig ” onaniert”, eine Art Einschwörung auf den Kurs für die, die angstgepeitscht sind. Schauen Sie zu, aber rennen Sie nicht ins Messer. Mit dem Wunsch zu lenken, schleppen die immer auch Tonnen von Sand ins Getriebe, der deren Besessenheit irgendwann ersticken wird. “Mangels Sonne wisse im Eis zu reifen”. ( Henri Michaux)

Frank Stricker / 22.11.2018

Unter dem Begriff “Richtig gendern”  waren doch hier auf der Achse bereits einige Bonmots in Umlauf. Statt Bankräuber sollte doch in Zukunft bitte der Begriff “Mensch , der einem Bankinstitut Schaden zufügt” oder so ähnlich verwendet werden.

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