Larissa Fußer, Gastautorin / 14.10.2019 / 06:25 / Foto: USAF / 61 / Seite ausdrucken

Die neue Berlin-Blockade

Als ich 15 Jahre alt war, haben wir in der Schule die RAF behandelt. Für mich waren das die spannendsten Geschichtsstunden meiner gesamten Schullaufbahn. Ich hatte vorher noch nie von der Baader-Meinhof-Bande gehört und konnte es gar nicht fassen, dass vor nicht einmal vierzig Jahren quasi bei mir um die Ecke in Berlin so brutal gemordet worden war. Ich hatte noch keine Erfahrungen mit Terror gemacht, an 9/11 war ich drei Jahre alt und der Breitscheidplatz-Anschlag sollte erst noch kommen. Ich habe meine Eltern ausgefragt, was sie davon mitbekommen hatten. Nicht viel. Meine Mutter war damals noch nicht in Berlin gewesen und mein Vater hinter der Mauer. Mein Vater erzählte mir, dass er in dieser Zeit auf Untergrundpartys in der DDR gewesen war und die Stasi ihn überwacht hatte.

Es war das erste Mal, dass ich mir die DDR bildlich vorstellte. Terror, Untergrundpartys, Stasi. Für mein 15-jähriges Ich klang das alles unglaublich aufregend. Ich gruselte mich bei den Erzählungen, gleichzeitig empfand ich aber auch einen gewissen Neid. Bei meinen Eltern war immerhin richtig was los gewesen. Mein Leben bewegte sich zwischen Schule und Schlafen. Gelegentlich ging ich auch auf Partys, wo ich dann einen „Muttizettel“ vorzeigen musste und mir aussuchen konnte, ob ich nun mit einem bekifften oder einem besoffenen Jungen knutschen wollte. Mein Alltag kam mir unendlich brav und öde vor.

Das ist jetzt 6 Jahre her. Und wie so oft haben sich meine Teenie-Wünsche genau jetzt erfüllt, wo ich es nicht mehr gebrauchen kann. In der letzten Woche hat Extinction Rebellion Berlin blockiert. Aufregend war das allemal. Vielleicht werde ich einmal meinen Enkeln davon erzählen. Wenn man dann überhaupt noch Kinder haben darf. Wegen CO2-Bilanz und so. „Liebe Enkel“, werde ich dann anfangen, „in der zweiten Oktoberwoche 2019 hat eure Oma sehr viel geflucht, gespuckt, und geschrien. Jeder, der ihr auf der Straße begegnet ist, sah eine junge Frau mit steinharter Miene, starren Augen und vorgeschobenem Kiefer. Hätte mich jemand angesprochen, ich hätte ihn angefaucht.“ „Warum denn das, Oma?“, werden die Kleinen fragen. Nun ja. 

Mit einem verstrahlten Colgate-Grinsen

Ich arbeite und studiere in Berlin Mitte. Ich muss da also jeden Morgen hin. Egal, ob’s hagelt, Obama Merkel besucht, die XR (Extinction Rebellion) die Straßen blockiert oder alles zusammen. Dementsprechend schön waren meine Erlebnisse. Zum ersten Mal sah ich die Hippies am Mittwochnachmittag. Ich hörte von meinem Unicampus aus unbestimmtes Geschrei. Ich wusste schon aus den Nachrichten, dass nicht einmal 500 Meter entfernt die Marschallbrücke blockiert wird. Keine unwichtige Brücke. Sie liegt im Regierungsviertel und verbindet unsere „Prachtstraße“ Unter den Linden unter anderem mit dem Hauptbahnhof und dem Charité Krankenhaus auf der anderen Seite der Spree. Ich fahre jeden Morgen über diese Brücke. Nur an diesem Morgen eben nicht. Ich war allein deswegen schon, wie sag ich’s, ungemütlich eingestellt. 

Ich entschied mich, mir die „gewaltfreien“ Terroristen einmal anzusehen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass je eine Demo in Berlin eine ganze Woche angedauert hat. Und Berlin hat viele Demos. Das hier hatte ein neues Ausmaß. Ich lief also ein kurzes Stück an mehreren Polizeiabsperrungen vorbei und traf auf einen ziemlich gut gelaunten Demonstrantenhaufen. Vielleicht 150 Leute zwischen 5 und 75 Jahren hatten sich da versammelt. Viele waren im Studentenalter, aber auch Ü40er mit ihren kleinen Kindern waren da. Sie lagen auf der Straße, in Schlafsäcke eingemummelt, oder sprachen mit einem verstrahlten Colgate-Grinsen die Passanten an. Einige hielten Schilder hoch, andere verteilten Flyer.

Ich fühlte mich wie bei Woodstock. Alle paar Meter spielte irgendwer Gitarre und hatte eine Gruppe Leute um sich versammelt, die mit geschlossenen Augen ein Friedenslied jaulten. Doch die meiste Aufmerksamkeit zog ein Stretch-Programm auf sich. Ein paar junge Hippies standen da in einem Kreis und sangen „Push it, climate, change it!“. Dabei drückten sie bei „Push it“ ihr Becken nach vorne, bei „climate“ warfen sie ihre Hände über die linke Schulter, bei „change it“ über die rechte. Und wieder von vorne und so weiter. Ich stellte mich zu ein paar Fotografen, die dieses „Happening“ ausgiebig knipsten. Alle waren total gut drauf und giggelten herum. Aber auf mich übertrug sich die Freude irgendwie so gar nicht. Ich fühlte mich wie im falschen Film. 

Plötzlich stupste mich ein Kind an. Es war vielleicht fünf Jahre alt und drückte mir einen Flyer in die Hand. Der kleine Wurm guckte mich mit riesigen Augen an, während ich den Flyer las. „Entschuldigen Sie die Störung, aber es ist ein Notfall!“, stand da. Ich war einigermaßen perplex und bedankte mich reflexhaft bei dem Kleinen, wie man sich bei einem Kind bedankt, das einem ein selbstgemaltes Bild schenkt. Er strahlte mich an und dackelte weiter. Jetzt fielen mir Kreidekritzeleien auf der Straße auf, die sehr nach Kinderkunst aussahen. Eine Zeichnung zeigte einen Totenkopf, daneben war in Kinderschrift „verdammte Totenkopflobbyisten“ gekrakelt. Ich guckte mir die Kinder an. Die meisten hatten das Sanduhrzeichen der XR im Gesicht. Es schüttelte mich. Eigentlich weiß ich ja schon, dass Eltern oft ihre Kinder für politische Zwecke missbrauchen. Trotzdem, es so direkt zu sehen, nahm mich ziemlich mit. 

"Und auch für meine Bundeskanzlerin“

Ich wurde wütend und löste mich von den Kindern, um mir ein paar Plakate anzugucken. Schnell machte ich meinen Favoriten aus: „Die Erde retten. Für dich – für mich. Und auch für meine Bundeskanzlerin.“ Mir wurde ganz schlecht. Ein paar Meter weiter stand dann noch: „Der Kapitalismus-Imperialismus zerstört diesen Planeten…und nur Revolution gibt der Menschheit eine echte Chance ihn zu retten!“ Was denn nu, dachte ich, Kuscheln mit Mutti oder Revolution? Ich konnte diese Leute nicht ernst nehmen. Wie sie da alle so lagen, tanzten, kuschelten und knutschten, kamen sie mir sehr harmlos vor. Es wäre ein leichtes für die überpräsente Polizei gewesen, die Demo aufzulösen und die Demonstranten wegzutragen. Doch das war offensichtlich nicht gewollt. 

Nach dieser ersten Berührung traf ich die Hippies leider noch öfter. Später am Nachmittag wollte ich von der Arbeit nach Hause. Ich war so naiv ein Car-Sharing-Auto zu buchen. Die Stadt war zu. Überall waren unangemeldete Blockaden, die nicht geräumt wurden. Mitte war komplett zugestaut, Kreuzberg war zugestaut. Ich schaffte es mit Müh und Not zur Oberbaumbrücke an der East-Side-Gallery. Doch dort musste ich aufgeben. Die Brücke war blockiert. Ich wusste, dass auch die nächste Brücke blockiert ist. Es war absolut unklar, über welche Brücke ich noch auf die andere Spreeseite kommen konnte. „Herrschaftszeiten!“, fluchte ich. Gut, vielleicht war es auch ein stärkerer Ausdruck. Ich stellte das Auto ab und musste nun notgedrungenerweise laufen, was ich in der Dunkelheit an der Oberbaumbrücke normalerweise tunlichst vermeide. Die Gründe hat Pauline Schwarz ja schon sehr gut beschrieben

Ich überquerte die Brücke zu Fuß und sah dabei Demonstranten, die nichts mehr von den Hippies vom Vormittag hatten. Die Stimmung war aggressiv. Ich fühlte mich wie früher auf dem Ersten Mai, als mir einmal jemand zurief, ich solle wegrennen, weil gleich der Antifa-Block kommt. Nicht unwahrscheinlich, dass sich auch hier die Antifa unter die Klimademonstranten gemischt hatte. Ich bekam Angst und lief sehr schnell mit Tunnelblick nach Hause.

„Von der blauen Erde kommen wir"

Am Donnerstag habe ich dann die Bahn genommen. Das klappte. Auf der Arbeit traf ich meinen Kollegen, der nicht so viel Glück hatte. Er wollte vom Hauptbahnhof aus Straßenbahn fahren, aber die Hippies haben die Schienen blockiert. Irgendwann hat die Straßenbahn die Türen geöffnet und die Passagiere rausgebeten. Ich war fassungslos. Selbst die Öffis werden also blockiert. Zu allem Überdruss hörten wir die kleinen Terroristen von unserem Büro aus. „What do we want? Climate justice! When do we want it? Now!”, schallte es da herüber. Später habe ich die kleine Demogruppe auf dem Weg zur Bahn getroffen. Diesmal waren es Jugendliche. Auf jeden Fall U20. Blendend gut gelaunt sangen sie: „Von der blauen Erde kommen wir, unser Klima stirbt genauso schnell wie wir.“ Ich musste einen Verzweiflungsschrei unterdrücken. Zu Hause erzählten mir meine Familie und Freunde von den Staus, die sie in der restlichen Stadt erlebt hatten. Kaum einer ist problemlos durchgekommen. Ich schürzte meine Lippen und atmete sehr tief aus.

„Liebe Enkel, das war der Moment, in dem eure Oma sich fragte, ob sie jetzt offiziell im Sozialismus lebt.“ „Sozialismus? Was ist das, Omi?“ „Das ist, wenn das Gemeinwohl zum höchsten Wert erklärt wird und es keinen mehr schert, was der Einzelne will. Das ist, wenn der Zweck die Mittel heiligt. Das ist, wenn die höchsten Politiker zulassen, dass eine Stadt blockiert wird, weil es in ihre politische Agenda passt. Weil sie eh wollen, dass die Deutschen auf alles verzichten, was Spaß macht. Vor allem auf’s Auto.“ „Oma, was ist denn ein Auto?“ „Das, liebe Kinder, erzähle ich euch morgen. Vielleicht finde ich ja noch ein paar Fotos von Oma und ihrem kleinen roten Flitzer. Das waren noch Zeiten.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Schüler und Jugendblog Apollo-News.

 

Larissa Fußer studiert Medizin und ist 20 Jahre alt.

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Leserpost

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Christian Saxinger / 14.10.2019

Die Politiker stehen auf die Hippies, weil sie mit diesen ihre Steuererhöhungen begründen und durchsetzen können. Dabei finden die Politiker die Hippies gar nicht gut und die Hippies auch nicht die Politiker, aber dieses gemeinsame Ziel eint sie. Um nichts anderes geht es.

Rainer Segen / 14.10.2019

Das ist kein Sozialismus. Das ist Anarchie. Wenn der Verkehr in Berlin von diesen Fanatikern so derart blockiert wurde, was wäre denn gewesen, wenn ein Notarzt oder ein Krankenwagen von A nach B wollte und da durch gemusst hätte? Hätten diese Hippies dann Platz gemacht oder hätte die Polizei geräumt? Oder hätte der Patient, der mglw. in Lebensgefahr schwebte, mit seinem Leben abschließen können/müssen? Oder wenn die Feuerwehr da durch gemusst hätte, um einen Hausbrand zu löschen? Wären dies Hippies dann auch bereit gewesen, selber Tote zu verantworten? Wie kann man nur so kurz - von der Tapete bis zur Wand - denken?

Rosa Wissmann / 14.10.2019

Liebe Frau Fußer, vielen Dank für diesen eindrücklichen Artikel, der einem nochmal hautnah die Verrücktheit dieser ganzen XR Aktionen spüren lässt. Und ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, dass es noch junge Menschen wie Sie gibt, die trotz umfassender Gehirnwäsche durch links-grüne Schulsozialisation selber Denken und die tatsächliche Welt verstehen wollen statt sich mit dem ideologischen Mainstream gemein zu machen. Das ist doch eigentlich Revolution!    

Eva Scharnowski / 14.10.2019

Liebe Frau Fußer, man ist in dieser Stadt ja schon viel Irrsinn gewohnt, und meint, dies wäre nicht mehr steigerungsfähig, wird aber immer wieder eines Besseren belehrt. Ich finde es toll, dass Sie da hingegangen sind, wo es weh tut und sich das angeschaut haben. Es ist wirklich absurd, was dort passiert und zudem schwer erträglich, wenn Kinder schon in einem derartig ideologisierten Umfeld aufwachsen. Umso schöner ist es, dass es wie Sie noch junge Menschen gibt, die sich entgegen jeglicher Manipulationsversuche eine eigene Meinung bilden.

Helga O. Weiß / 14.10.2019

Liebe Frau Fußer, vielen Dank für diesen lebendigen Artikel, der den Wahnsinn der letzten Woche hier in Berlin sehr gut in Worte fasst. Auch ich hatte das Vergnügen immer wieder im Stau zu stehen, das Gegröle der “Demonstranten” noch von zu Hause aus zu hören und frage mich doch wirklich, ob das noch irgendetwas mit Demokratie zu tun hat. Mir kommt es kriminell vor, denn ich glaube kaum, dass jede dieser Blockaden angemeldet war. Dass diese Klimaspaßgesellschaft eine ganze Stadt lahmlegen darf und Politik und Medien befürworten das flächendeckend auch noch, macht mich fassungslos. Gut, dass es noch junge Menschen, wie Sie gibt, die noch was im Leben wollen und ihr Hirn nutzen. Weiter so! Das macht dann doch noch ein bißchen Hoffnung für die Zukunft

K.Herrmann / 14.10.2019

Zunächst, vielen Dank für diesen Beitrag. Es ist immer wieder ein Hoffnungsschimmer für mich, zu lesen, dass junge Erwachsene so wie Sie, eine realistische Einschätzung der Lage, hinbekommen. Noch besser, Sie publizieren diese auch. Ich bin entsetzt, wie schnell viele Menschen den “real existierenden Sozialismus” vergessen haben. Mir dröhnen noch Parolen wie “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!” und “Genosse, bist du für den Frieden oder nicht!?” in den Ohren, um jeden mundtot zu machen. Niemand sollte vergessen, dass vor gerade mal 30 Jahren die Väter und Großväter der heutigen so genannten “Linken” ernsthaft den Einsatz der Armee gegen die friedliche Demonstranten in der “DDR” vorbereitet haben. Sieht man sich die Biografien einiger Verantwortungsträger der Linkspartei an, sieht man das “who is who” der DDR Nomenklatura (Gysi, Hoff usw.). Wie schrieben die Agiprop Funktionäre damals?: “Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.” Dem ist nichts hinzuzufügen.

Fritz kolb / 14.10.2019

Eine schön zu lesende Geschichte, mit einer bitteren Fußnote: „des Menschen Wille ist sein Himmelreich“ hat schon der 1803 verstorbene Schriftsteller Heinse aufgeschrieben. Wenn für eine Mehrheit der Berliner RRG offensichtlich das Himmelreich ist, dann darf sich hinterher niemand über das Ergebnis wundern.

Thomas Taterka / 14.10.2019

Mein Fluch war auch etwas stärker. Er ist ein ironisches ! Zitat aus dem lustigen deutschen 90er Film ” Lammbock ” : ” NAZIKOMMUNISTENSCHWEINE ! “ With a wink and a smile .

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