Die Grünen und die weißen Kügelchen

Von Maximilian Tarrach.

Die Grünen konnten sich auf ihrem Parteitag am 15. November nicht durchringen, eine bürgerliche, wissenschaftliche und fortschrittliche Partei zu werden. So wurde ein Antrag, der auf die klare Ablehnung der Homöopathie abzielte, nicht angenommen, aus Angst, es sich mit den Globuli-Freunden zu verscherzen. Eine Fachkommission soll nun tagen und die beiden Lager versöhnen. Ein junger Student, der 19-jährige Tim Denisch, hatte den Anti-Homöopathie-Antrag eingebracht. Er ist zugleich auch für Fridays for Future aktiv. Wie er in einem Interview mit bento sagt, schämt sich Denisch für seine Partei, weil sie sich bei der Gesundheitspolitik den wissenschaftlichen Erkenntnissen verweigere, obwohl sie beim Klimawandel ständig auf das Einhalten wissenschaftlicher Einsichten poche. Diese beiden Positionen passten nicht zusammen, findet er. Nicht zu unrecht.

In der Homöopathie wird einem Glauben angehangen, der bedeutet, dass Arzneimittel aus einem Stoff hergestellt werden sollen, der bei einem gesunden Menschen die gleichen Symptome hervorruft, wie jene, die bei dem zu behandelnden Patienten aufgrund seiner Krankheit auftreten. Homöopathen sprechen von der sogenannten Ähnlichkeitsregel. Der Begründer der Homöopathie, der deutsche Arzt Samuel Hahnemann, ging am Ende des 18. Jahrhunderts davon aus, man könne so den menschlichen Körper sozusagen an die Krankheit gewöhnen und sie damit besiegen. Eine heute eindeutig widerlegte Ansicht.

Außerdem sollen die homöopathischen Wirkstoffe durch starke Verdünnung und Potenzierung (das Schütteln der Substanzen) dazu gebracht werden, ihre innere geistige Gestalt zu offenbaren. Denn jeder Stoff habe in seinem tiefsten Innern eine versteckte geistige Kraft, die den Menschen heilen könne und anscheinend auch wolle. Was für eine niedliche Vorstellung! Man wusste doch schon immer, dass das Staubkorn in der Ecke eigentlich nur Gutes für einen will. 

Irrtümer als Wahrheit ausgeben

Es handelt sich deshalb bei der Homöopathie um Geister in der Materie, die man zu beschwören sucht, um eine Art Wunderheilung herbeizuführen. Die Grünen-Parteispitze kann sich aber nicht dazu durchringen, diese Form der „Therapie“ als das zu bezeichnen, was sie ist: Betrug am Patienten. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Als 1992 an der Universität Marburg geplant wird, Homöopathie in das Curriculum der Medizinischen Fakultät aufzunehmen, wehren sich die Professoren in einer berühmt gewordenen „Marburger Erklärung” dagegen.

In dieser heißt es: “Wir betrachten die Homöopathie nicht etwa als eine unkonventionelle Methode, die weiterer wissenschaftlicher Prüfung bedarf. Wir haben sie geprüft. [...] Das geistige Fundament der Homöopathie besteht [...] aus Irrtümern („Ähnlichkeitsregel“; „Arzneimittelbild“; „Potenzieren durch Verdünnen“). Ihr Konzept ist es, diese Irrtümer als Wahrheit auszugeben. Ihr Wirkprinzip ist Täuschung des Patienten, verstärkt durch Selbsttäuschung des Behandlers.”

Glaubt man an die Homoöpathie, gibt man die im Gegensatz zur Homöopathie nachweisbare, getestete und das Menschenalter im Laufe der Zeit verdreifachende Schulmedizin, mit ihren empirischen Studien, ihren milliardenschweren Forschungsverfahren, ihrer komplexen und peniblen Pharmakologie auf. Ein ganzes Gebäude an Zivilisationskunst würde einfach mit dem Globuli hinweggespült. Die Ausreden, die aus dem Öko-Lager der Grünen dagegen vorgebracht werden, sind vorhersehbar und verraten ein antiaufklärerisches Weltbild.

„Wie definieren wir den Wissenschaftsbegriff in der Medizin?”

Zuerst wird von den Homöopathie-Befürwortern der Wissenschaftsbegriff in Zweifel gezogen. Denn der Knackpunkt empirischer Forschung ist es, dass sie nie für beendet erklärt werden kann. Es könnte theoretisch jederzeit eine Studie auftauchen, welche die Homöopathie auf einmal zu einer wirkungsvollen Behandlungsmethode erklärte. Daher sprechen Homöopathen davon, dass man die Wirkung noch nicht genau untersuchen und nachweisen könne, weil ihre Wirkmechanismen so verborgen und komplex seien.

Dabei wird übersehen, dass Homöopathie nicht nur empirisch bisher keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung zeitigt, sondern den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Physik und Biologie widerspricht. Sie kann in diesem Sinne gar nicht wissenschaftlich geprüft werden, bevor nicht klar wäre, wie ihre Wirkmechanismen trotz dieses Tatbestandes erklärt werden könnten. Daher ist es höchst befremdlich, dass die von den Grünen eingesetzte Kommission sich die Frage stellen soll: „Wie definieren wir den Wissenschaftsbegriff in der Medizin?”

Es gibt nur einen Wissenschaftsbegriff und der basiert auf den besten verfügbaren Theorien und den dazu bisher am besten bewährten empirischen Erkenntnissen über die belebte und unbelebte Natur. Nach beiden Kriterien scheidet die Homöopathie als sinnvolle Behandlungsmethode aus. Die zweite Strategie besteht darin, den Begriff der Medizin auf die Wirkung der Behandlung zu reduzieren, nach dem Motto: Medizin ist alles, was Patienten heilt oder ihnen zumindest hilft. Implizit wird damit gesagt: Auch wenn das, was den Patienten verabreicht wird, nachweislich unwirksam ist und einem esoterischen Weltbild entspringt. Nach dieser Logik müssten alle möglichen Voodoo-Behandlungen offiziell zugelassen werden.

In der Marburger Erklärung schreiben die Mediziner dazu, dass man dann auch folgende Ansätze lehren und praktizieren müsse: „Irisdiagnostik; Reinkarnationstherapie; astrologische Gesundheitsberatung (Bedeutung der Sternzeichen für die Neigung zu bestimmten Krankheiten). Mit all diesen Methoden, deren Wirkprinzip die Täuschung ist, lassen sich nicht nur therapeutische Effekte, sondern auch beträchtliche Umsätze erzielen.” Nur mit Vernunft, rationaler Prüfung und einem ehrlichen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten hätte dies nichts zu tun. 

Esoterik salonfähig machen

Der dritte Trick besteht darin, eine übersteigerte Form des Patientenwunsches in das Zentrum der medizinischen Behandlung zu stellen. Dabei wird behauptet, Patienten wollten doch auf diese Art behandelt werden, warum sollten wir es dann nicht tun? Auch hier stellt sich die Frage nach einer ehrlichen Aufklärung des Patienten und dem Träger der Kosten für die Behandlung. Man kann in einer freien Gesellschaft niemanden zwingen, der Vernunft zu vertrauen und nicht auch zu einem Homöopathen zu gehen, um sich heilen zu lassen, nur ist es moralisch und ökonomisch höchst fragwürdig, die Öffentlichkeit die Kosten dieses Aberglaubens tragen zu lassen. Und diese sind nicht gerade gering. Für eine Packung Globuli zahlt man gut und gerne zwischen sieben und zehn Euro, obwohl darin eigentlich nur Zucker enthalten ist.

Die ganze Idee, man könne einen evidenzbasierten Wissenschaftsbegriff aufrechterhalten und gleichzeitig Homöopathie als sinnvolle Ergänzungsbehandlung zur klassischen Medizin betrachten, muss als gescheitert angesehen werden. Man macht damit Esoterik nur salonfähig und etabliert eine Lobby, die von der Täuschung des Patienten lebt, sogar selbst an ihre eigene Täuschung glaubt und daher besonders gefährlich für seine Anhänger wird. Im schlimmsten Fall werden schwere Krankheiten durch die Placebos verschleppt und nicht ordentlich behandelt.

Wollen die Grünen wirklich eine Partei der Mitte werden, sollten sie ihren Ringeltanz um den Wissenschaftsbegriff beenden und den Antrag von Tim Denisch annehmen. Die Grünen würden so an Wählbarkeit für breitere Schichten gewinnen und ihre akademischen Unterstützer nicht verlieren. Geht die Partei weiter den Weg des geringsten Widerstands, sind weitere ideologische Grabenkämpfe vorprogrammiert. Denn es gibt ja nicht nur die Homöopathie-Anhänger innerhalb der Grünen, die sich von rationalen Argumenten verabschiedet haben. Als nächstes kommen dann die Impfgegner, die Feng-Shui-Verehrer und die anthroposophischen Landwirte im Demeter-Verband, die Pferdemist ein halbes Jahr lang in ein Kuhhorn stopfen und es einen Meter tief in der Erde vergraben, weil sie glauben, danach enthalte es kosmische Kräfte, um den Boden des Bauern zu heilen.

Ganz offen schreibt der Demeterverband auf seiner eigenen Homepage: „Da sie [die 'biodynamischen' Kuhmist-'Präparate' – M.T.] auf energetischer Ebene angesiedelt sind und Abläufe bedingen, die von manchem als geradezu mystisch bezeichnet werden, bieten die Präparate, wie kaum ein anderes Element im Öko-Landbau, Anlass zu Verwunderung, Angriffen und ironischen Bemerkungen.” Wollen die Grünen also nicht länger eine Angriffsfläche für Spott bieten, sollten sie sich von solchen Positionen offen distanzieren.

 

Maximilian Tarrach ist Philosoph und Research Fellow beim Consumer Choice Center, einem EU-weiten Interessenverband, der sich laut eigenen Angaben für mehr Konsumentenfreiheit einsetzt. Der Text wurde im Auftrag des Consumer Choice Centers verfasst. Maximilian Tarrach betreibt den Blog Philosophische Auszeit.

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Leserpost

netiquette:

Hubert Bauer / 07.12.2019

Ich bin definitiv kein Freund der GrünInnen und deren Vorfeldorganisationen. Aber im Einzelfall (!) kann ich mir Homöopathie schon vorstellen. Ich habe selber Tropfen und Tabletten gegen Ohrenschmerzen zu Hause, die homöopathisch sind und bei mir wirkt es. Und von einer Bekannten weiß ich, dass sie bei ihren Milchkühen mit Globuli (kommt ja auch aus dieser Ecke) große Erfolge bei Euterentzündungen erzielt. Bei Kühen scheidet der Placeboeffekt ja definitiv aus.

Frank Volkmar / 07.12.2019

“Wie er in einem Interview mit bento sagt, schämt sich Denisch für seine Partei, weil sie sich bei der Gesundheitspolitik den wissenschaftlichen Erkenntnissen verweigere, obwohl sie beim Klimawandel ständig auf das Einhalten wissenschaftlicher Einsichten poche.” Tim kann geholfen werden ! Es geht den Grünen nicht um Wahrheit an sich, sondern höchstens um die konstruierte eigene Wahrheit, die den eigenen Zielen nützlich ist.

Daniel Kirchner / 07.12.2019

Warum sollen die Grünen ihr Erfolgsrezept ändern? Die Esoterik gehört dazu. Jenseits der Homöopathie gibt es noch jede Menge andere Glaubensgrundsätze. AKW, Zucker, Fleisch, Geschmacksverstärker, Gentechnik ...

Claus Bockenheimer / 07.12.2019

Homöopathie wird in der letzten Zeit des öfteren thematisiert in den Medien, nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass einige/ viele gesetzliche Krankenkassen diese -an Scharlatanerie grenzende esoterische “Heilmethode” ganz oder teilweise bezahlen. In meinen Augen völlig absurd.  Es liegen Untersuchungsergebnisse vor,  es gibt jede Menge w i s s e n s c h a f t l i c h e r Studien und Metastudien ( aus aller Welt ), die zur Genüge die Unwirksamkeit dieser Methode und Mittelchen wie Globuli beweisen, bis vielleicht auf einen Placeboeffekt. In einigen Staaten ist dieser Hokuspokus sogar verboten, in den anderen ein reines Privatvergügen der gläubigen Anhänger dieser Paramedizin. Dass die Grünen den gestellten Antrag ablehnen ist mehr als bedauerlich. Für mich völlig unverständlich ist aber, dass noch so viele Menschen zu Homöopathen und Heilpraktikern laufen; deren “Ausbildung” bekannt ist, nämlich einfach nur lachhaft, wenn man sie mit der Ausbildung einer Krankenschwester oder eines Arztes/ Facharztes vergleicht. Leider bin ich nicht auf die Idee gekommen, nach meinem Rentenbeginn vor zehn Jahren mir ein polizeiliches Führungszeugnis zu besorgen, die multiple choice-Fragen auf dem Gesundheits- oder Ordnungsamt zu beantworten und mich anschließend als Heilpraktiker “niederzulassen”. Ein kleiner Zusatzverdienst wäre nicht schlecht gewesen.

heinrich hein / 07.12.2019

Nennen Sie mir nur ein Mitglied der Grünen, das irgend etwas im Leben alleine auf die Reihe bekommen hat. Verwöhnte Kinder wohlhabender Eltern, die schon mit aber ohne Unterstützung eben dieser Lebensversager werden. Im Grossen und Ganzen trifft das auch auf die Wählerschaft dieser Partei zu. Der Erfolg der Partei erklärt sich mE aus dem Umstand, dass noch niemals zuvor so viel vererbt wurde, wie gegenwärtig. Es gibt dadurch immer mehr nichtsnutzige Lebensversager, die vom Wohlstand der Eltern leben und Zeit dafür haben, sich des Schwachsinns anzunehmen, den die Vertreter dieser Partei den ganzen Tag von sich geben. ME haben die Grünen seit ihrer Existenz noch nichts sinnvolles für die Entwicklung der Menschheit beigetragen.

Andreas Rühl / 07.12.2019

Die gruenen werden sich nie von ihren Wurzeln, dass sind esoterik und maoismus, loesen. Das wäre selbstausloeschung.

Anders Dairie / 07.12.2019

WER eine ungefähre Vorstellung hat, wieviel Apotheker und Drogisten durch Homöopathie umsetzen und daran verdienen, weiss auch um die starke Lobby. Es ist keineswegs so,  dass erfahrene Hausärzt keine Globuli empfehlen.  Es sind private Empfehlungen, denn um die Ecke sitzt der Apotheker, mit dem man sowieso gemeinsame Geschäfte macht.  Auch im gesamten Rezepte-Unwesen.  Es läuft, solange die Kassen mit zahlen.  Gegen das System von Verschwendung und Bereicherung geht der Staat nur sehr zögernd vor, denn etwaig enttäuschte “Patienten” sind nachtragende Wähler.  Die Regel in der Schulmedizin ist :  In 60 % der Fälle wird der Patient allein gesund, bei 30 % braucht er Arzt und Hilfsmittel und in 10 % der Fälle hätte er besser den Arzt gemieden.  “Naturnahe”  Grüne gehörten zu den nachtragenden Wählern. Die Grünen-Führung befürchtet Protest analog der “Praxisgebühr”.  Jeder Deutsche ist 18 x pro Jahr beim Arzt,  ein Schwede unter 12 x.  Wer die Verschwendung beschneiden will, bekommt ein schweres Schicksal.  In USA würde das System von den Nettozahlern boykottiert.

Peter Meyer / 07.12.2019

Wer kann denn ernsthaft wollen, daß die Grünen eine „Partei der Mitte“ werden? Deren Problem sind doch nicht überteuerte Zuckerkügelchen, sondern eine handfeste sozialistische Grundeinstellung, die gleichzeitig die Steuerzahler verachtet und diese in Nanny-Art „erziehen“ möchte, mit Verboten, Enteignungen und staatlichen Preisen. Dabei sehen sich Personen, die im Arbeitsleben ohne Staatsknete keine 2 Wochen Probezeit überleben würden, als eine Art Elite, die von den Einschränkungen selbstverständlich nicht betroffen ist und zum Eisessen nach Kalifornien und zum Chillen in die Anden fliegt. Und selbst wenn die Grünen die Homöopathie verwerfen würden, sie laufen immer noch dem CO2-Wahn nach, und sämtliche echten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die nicht in herbeifabulierte computergenerierte „Klimamodelle“ paßt, werden in Bausch und Bogen verworfen, um Deutschland in eine vorindustrielle Steinzeit zurückzukatalpultieren. Wie soll das jemals für einen Menschen mit einem kleinen Rest gesunden Menschenverstandes wählbar werden? Geschweige denn für Fachleute, die mit Ausbildung und Wissen ihren Lebensunterhalt verdienen?

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