Gastautor / 11.07.2012 / 04:35 / 0 / Seite ausdrucken

Die GEW und das Deutschlandlied - Teil 3

Eran Yardeni

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_gew_und_das_deutschlandlied_teil_1/
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_gew_und_das_deutschlandlied_teil_2/

Das ist aber nur ein Beispiel für die erste Perspektive der Kritik, die überprüft, ob diese oder jene Behauptungen tatsächlich richtig sind. Die Anti-Deutschlandlied-Kampagne kann man auch aus der philosophischen Perspektive kritisieren. Hier werden die Voraussetzungen und die Prämisse der Argumente unter die Lupe genommen. Lassen sie uns z.B. hinterfragen, welche Prämisse die folgende Behauptung der GEW (bzw. Ortmeyer) ermöglichte: „Die Nazis haben das Deutschlandlied nicht missbraucht sondern lediglich hervorragend genutzt.“

Als ich dies das erstes Mal las, war ich ziemlich erstaunt, dass die Vertreter der Lehrer und Wissenschaftler, geführt von Ortmeyer, über ein solches Minenfeld freiwillig marschieren wollten. Wir haben diese Diskussion schon einmal erlebt, damals in Bezug auf die philosophischen Schriften von Friderich Nitzsche, die auch von den Nazis ziemlich willkürlich benutzt wurden. Ortmeyers Anklageschrift gegen das Lied der Deutschen ist fast identisch mit den damaligen Vorwurfe gegen Nitzsche. Beide münden in die Frage: „Warum konnten die Nazis gerade das Deutschlandlied so gut ‘missbrauchen’? Gab es nicht doch eine Tradition, auf die Nazis aufbauen konnten, die ihnen ins Konzept passte?“.

Mit anderen Worten, wenn ich Ortmeyer richtig verstehe: Das Lied der Deutschen wurde nicht wirklich missbraucht. Dieser „Missbrauch“ war eigentlich vorprogrammiert, weil der Text von der Stunde seiner Geburt an irgendwelche Elemente enthielt, die seine eigene Entwicklung zum nationalsozialistischen gesungenen Manifest ermöglichten und sogar förderten.

Das ist genau das, was gegen Nietzsche vorlag. In beiden Fälle geht es um Werke, die im Laufe des 18. Jahrhundert verfasst wurden. In beiden Fällen könnten die Urheber die nationalsozialistische Machtergreifung, als reale politische Entwicklung, nicht voraussehen. In beiden Fällen wurden die Werke von den Nazis benutzz. In beiden Fällen wurden die Urheber der Werke für diesen Gebrauch verantwortlich gemacht. Auf welcher logischen Infrastruktur wird diese Anschuldigung gebaut?

Um diese Frage zu beantworten, lassen Sie uns zuerst überprüfen, welche Elemente in dem Lied erkennt Ortmeyer, die als Keime einer potentiellen nationalsozialistischen Gesinnung betrachtet werden können. Ich zitiere aus der Broschüre: 

„Insofern gehört es zu den Lebenslügen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zu behaupten, die „Nazis hätten das Deutschlandlied nur missbraucht“! Das ist eine sehr bequeme Lesart: das NS-Regime ist weg, also gibt es kein Problem mehr mit dem Text. Die Analyse der ersten Strophe wird zeigen: Die Nazis haben das Lied, insbesondere den Text der ersten Strophe lediglich hervorragend genutzt. (…) Diese erste Strophe lautet: ‘Deutschland, Deutschland über alles, / über alles in der Welt, / wenn es stets zu Schutz und Trutze / brüderlich zusammenhält. Von der Maas bis an die Memel, / von der Etsch bis an den Belt.’ Eigentlich ist dieser Text seinem Sinn nach ganz eindeutig, sofort verständlich. Deutschland – geeint – soll über alles in der Welt sein! Das versteht jeder! Das ist Klartext! Das ist überheblich, nationalistisch!“
 
Diesen Auszug aus der Broschüre finde ich sehr wichtig, und nicht nur deswegen, weil er so viel Wert auf die erste Strophe liegt, die heute überhaupt nicht gesungen wird und kein Teil der Hymne ist, sondern vor allem, weil er uns glasklar zeigt, was Ortmeyer unter „hervorragend genutzt“ versteht. Lassen Sie uns aber zuerst mit dem Unterschied zwischen Gebrauch und Missbrauch beginnen: The Free Dictionary definiert Missbrauch als „den Vorgang, dass man etwas nicht gemäß seinem eigentlichen Zweck benutzt“. Gebrauch ist das Gegenteil von Missbrauch. Wenn ein Unbefugter mit meiner Kreditkarte seinen Einkauf bezahlt, dann ist es kein Gebrauch sondern Missbrauch, weil meine Kreditkarte nicht „gemäß ihrem eigentlichen Zweck“ benutzt wurde.

Natürlich hat diese Art von Bezahlung, nämlich die Bezahlung mit Kreditkarte, irgendwelche Merkmale oder Eigenschaften, die zu Missbrauch verleiten. Niemand würde aber behaupten, dass meine Kreditkarte von dem Dieb hervorragend benutzt wurde, nur weil in dieser Art von Bezahlung die Möglichkeit einer Manipulation vorprogrammiert ist.  Das ist aber ganz genau, was Ortmeyer behauptet, wenn er sagt, dass die erste Strophe nicht missbraucht sondern gebraucht wurde (Seite 33), oder dass die Nazis die erste Strophe nicht missbraucht sondern „lediglich hervorragend genutzt“ haben. Wie könnten die Vertreter der Lehrer und Wissenschaftler diesen Logischen Fehler ignorieren? Eigentlich geht es nicht nur um eine problematische Prämisse, sondern auch um ein politisches und historisches Missverständnis, welches Ortmeyer zu diesem Schluss bringt.

Nicht ohne Grund vergleicht Ortmeyer die Flussgrenzen im Lied (Memel, Maas, Belt, Etsch) mit den damaligen Grenzen des Deutschenbunds. Dieser Vergleich war sehr populär unter denjenigen, die dadurch beweisen wollten, dass aus diesen Zeilen auf gar keinen Fall imperialistischer oder expansionistischer Motivation abzuleiten ist. Vor diesem Hintergrund hat Ortmeyer vollkommen recht, wenn er behauptet, dass die Memel außerhalb der Grenzen des damaligen Deutschenbunds lag. Aus einem anderen Grund aber liegt er doch völlig falsch. Um zu beweisen, dass die Erwähnung der Memel keine Einladung zum Vernichtungskrieg im Osten bildet, soll man die Flussgrenzen im Lied mit den Grenzen des Deutsch-niederländischer Sprachraums vergleichen (Die Karte findet man ganz einfach in Wikipedia).

Weder vor dem Überfall auf Polen noch vor dem „Unternehmen Barbarossa“ haben die Nazis behauptet, dass die osteuropäischen Länder erobert werden müssen, weil sie zum deutschen Sprachraum gehören. Im Gegenteil: Die dort lebenden Bevölkerungen wurden von den Nazis als minderwertig eingestuft und deshalb entweder zur Vernichtung oder zur Sklaverei verdammt. Wer der Meinung ist, dass das „Lied der Deutschen“ nicht missbraucht, sondern von den Nazis hervorragend benutzt wurde, der sollte auch behaupten, dass der Vernichtungskrieg im Osten und alle mit ihm verbundenen Verbrechen entweder eine logische oder eine logisch zwingende Entwicklung des Geists der ersten Strophe des „Liedes der Deutschen“ war. Das wäre einfach Absurd. Nach dieser merkwürdigen Logik kann man die Gräueltaten des Nationalsozialismus als späte Folge der Schriften von Charles Darwin sehen. Auch hier kann man fragen: „Warum wurden diese Schriften so gut missbraucht?“
 
Auch die anderen Argumente der GEW bzw. Ortmeyers sind aus der philosophischen Perspektive nicht überzeugend. Hier noch ein Beispiel: Um das Deutschlandlied „ins Museum zu schicken“, nahm Ortmeyer auch den Dichter,  August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, ins Visier. Unter dem Titel „Das Märchen vom untadeligen Herrn Hoffmann von Fallersleben“ wird uns erzählt, dass beim Dichter der deutschen Nationalhymne „Nationalismus, Fremdenhass und reaktionäre Träumerei vom Kaiserreich“ sowie auch Antisemitismus zu finden seien. Um das zu beweisen, zitiert er die relevanten Zeilen aus den Werken des Dichter, die tatsächlich zeigen, dass er kein großer Anhänger des Judentums war - um es milde auszudrücken.

Das soll aber niemand überraschen. Der Antisemitismus ist eine gesellschaftliche Krankheit, die in vielen Fällen auch unheilbar ist. Der Antisemitismus war im 19. Jahrhundert tief verankert im deutschsprachigen Raum und motivierte Theodor Herzel, eine “Lösung der Judenfrage” Erez Israel (Palästina) zu suchen. Neben Hoffmann von Fallersleben soll in diesem Zusammenhang auch Richard Wagner erwähnt werden. Aber während Wagner für viele als Symbol für Antisemitismus gilt, bleibt die Figur Hoffmann von Fallersleben im Schatten ihres Werks.

In Israel sollte am 18. Juni 2012 das „erste große Wagner-Konzert“ stattfinden. Die geplante Veranstaltung wurde aber abgesagt, nachdem viele Holocaust-Überlebende dagegen protestiert hatten. Auf der anderen Seite führte das Israelische Kammerorchester in Bayreuth Wagners „Siegfried-Idyll“ sowie andere Werke auf, elf Jahre nachdem Daniel Barenboim in Israel Wagner gespielt hatte (als Zugabe). Am Ende jenes Konzerts wandte sich Barenboim an das Publikum und bat um seine Zustimmung, Wagner zu spielen. Darauf folgte eine heftige Diskussion im Saal. Für das Publikum bestand die Möglichkeit, den Saal zu verlassen. Die Mehrheit wollte aber die Musik von Wagner hören. In einem Gespräch mit dem Spiegel (16.7.2001) begründete Barenboim seine Entscheidung mit eine Trennung zwischen dem Künstler als Person und seinem Werk: „Wagner war antisemitisch, aber seine Musik (ist es) nicht“.

Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang stellte Ortmeyer nicht: Darf man Kunst- und Literaturwerken von der nicht selten moralisch befleckten Biografie ihrer Urheber oder von ihrem historischen Gebrauch oder Missbrauch trennen oder nicht? Diese Frage wurde in der Broschüre der GEW nur indirekt beantwortet, indem man sowohl den historischen Gebrauch oder Missbrauch des Liedes als auch die moralisch befleckte Biografie seines Urhebers als Einwände gegen das Deutschlandlied erhob. Eins ist aber sicher: Akzeptiert man die Logik, sollte man sich wirklich überlegen, ob nicht ganz Europa, sowohl geistig als auch physisch, umgestellt und reorganisiert werden müßte. Nur um ein Beispiel zu nennen: Rousseau verfasste vielleicht das wichtigste pädagogische Manifest („Emil“) in der Geschichte der Aufklärung. Seine eigenen Kinder schob er ins Waisenhaus ab. Soll diese Tatsache unsere Einstellung zu seinem pädagogischen Werk verändern? 

Nach dieser Logik sollen wir in Deutschland nicht mit Hoffmann von Fallersleben beginnen, sondern mit anderen Kunstwerken, die direkt aus der Nazizeit stammen, z.B. mit dem Olympiastadion in Berlin. Dieses in der Nazizeit gebaute architektonische Kunstwerk steht heute unter Denkmalschutz und ist von daher unantastbarer als die 1841 verfasste deutsche Hymne. Wer gegen eine Randfigur in der Geschichte des Antisemitismus wie Hoffmann von Fallersleben protestiert, sollte schon lange eine Kampagne gegen dieses Monument führen, welches viele Eigenschaften der Naziideologie durch die Sprache der Architektur zum ästhetischen Ausdruck bringt.

Das gilt natürlich auch für die „Speer-Laternen“ und für den „Volkswagen“. Das Schicksal wollte es, dass „das Auto der Hippies“ (VW-Bulli), dieser träumerischen Friedensstifter, ausgerechnet aus der VW-Werkstatt stammte. In Israel gelten bestimmte Modelle von VW als Statussymbol und die Marke als Synonym für Qualität und Zuverlässigkeit. Übrigens, der Slogan von VW-Israel lautet: „Volkswagen – Weil man nur einmal lebt.“ Niemand fand diesen Slogan ironisch. Auch über Hitler und Ferdinand Porsche spricht man nicht. Will man aber auch andere Symbole beseitigen, die vom Nationalsozialismus moralisch befleckt wurden, sollte man zuerst den Adler vom Reichstag beseitigen.

Dieser ziemlich willkürliche Umgang mit der Nazivergangenheit zeigt uns, dass im öffentlichen Raum, wo das kollektive Bewusstsein entsteht und geprägt wird, die Diskussion über die dunkelste Phase der deutschen Geschichte vor allem auf der symbolischen Ebene stattfindet. Das ist ganz normal. Das ist auch der Grund, warum der Adler unseren Bundestag dekoriert, während das Wort „Führer“, das genau wie der Adler schon vor der Nazizeit existierte, seinen schlechten Ruf nicht loswerden kann (Das hebräische Wort für Führer ist „Manhig“ und hat überwiegend positive Bedeutung.)

Was die GEW in diese Debatte trieb, ist vielleicht interessanter als der ganze Text von Ortmeyer. Diese Triebkräfte kann ich nur raten. Es geht um den inneren Drang der Deutschen, vor allem aber der politischen Linken, dem Nationalsozialismus “Widerstand” zu leisten. Dass sie die historische Gelegenheit schon lange versäumten, spielt dabeikeine Rolle. Man muss protestieren, man muss „dagegen“ sein, um der Gefahr, als Mitläufer abgestempelt zu werden, zu entkommen. Und natürlich muss man auch den Teufel an die Wand malen, damit man ein klares Ziel vor den Augen hat. In diesem Fall heißt der Teufel „Das Lied der Deutschen“.

Und so geht es weiter: Man kämpft gegen die Vergangenheit, vergisst die Gegenwart und verdrängt die Zukunft: Das ist vielleicht auch der Grund, warum eine der logischsten und moralischsten Schlussfolgerungen aus der Nazizeit, die Unterstützung Israels, von so vielen Linken total ignoriert wird.

Schade, dass der iranische Präsident Ahmadinejad heißt und nicht Hoffmann von Fallersleben. 

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