Andrea Seaman, Gastautor / 17.05.2020 / 15:00 / Foto: Gary Dee / 17 / Seite ausdrucken

Die Freiheit, sich anzustecken

Einst wurde es gepriesen, wenn man Leib und Leben zugunsten der Freiheit riskiert. Heute, in der Corona-Ära, haben wir dieses Prinzip ins Gegenteil verkehrt. Man rät uns, wir sollten um unser Leben willen Freiheit riskieren und unterminieren. Gesundheit, so der Refrain, sei die erste Priorität von Politik und Gesellschaft. Am Altar der Gesundheit stechen wir in einem Panikwirbel der ökonomischen Freiheit, Demokratie und Selbstverantwortung des Bürgers in die Brust. Restaurants, Geschäfte, Kleinbetriebe und Parlamente wurden geschlossen, Millionen in die Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit gestürzt, die gesunde Bevölkerung zwangsisoliert: Leben zerstört, um Leben zu schützen; Freiheit entwendet, damit möglichst kein Leben durch Covid-19 endet.

Das neue Dogma der Gesundheit und die daraus resultierenden Lockdowns gefährden und entwerten menschliches Leben. Sie gefährden es durch die staatlich verordnete Lahmlegung der Wirtschaft. Die darauf folgende Verarmung und Arbeitslosigkeit vieler Personen wird, wie bei ökonomischen Katastrophen üblich, auf Dauer Tote und Gesundheitsprobleme verursachen. Aller Wahrscheinlichkeit nach schadet die momentane wirtschaftliche Selbstzerstörung langfristig der Gesundheit der betroffenen Bevölkerung mehr, als es das Coronavirus je zu tun vermag.

Durch die Einschränkung unserer Freiheit wird unser Leben entwertet. Man sagt uns, wir sollen zu Hause bleiben. Denn wenn wir in die Öffentlichkeit gehen würden, gefährdeten wir Fremde, indem wir diese möglicherweise mit dem Virus ansteckten. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Wenn ich in die Öffentlichkeit gehe, setze ich mich nämlich auch der Gefahr aus, selbst infiziert zu werden. Dieses Risiko ist das wichtigere, da es jedem freistehen sollte, es auf sich zu nehmen. Wenn jemand eine Ansteckung riskieren will, sollten wir ihn das Risiko eingehen lassen. Wenn nicht, soll er zu Hause bleiben. Mit anderen Worten: Wir hätten diejenigen von uns, die sich nicht selbst isolieren wollten, in Frieden lassen sollen. Bloß in Altersheimen und dort, wo ein Coronavirusfall unausweichlich eine ganze Gruppe Gefährdeter wohl gegen ihren Willen ansteckt, hätte man einen Minilockdown anordnen müssen.

Kein kreativer Umgang mit der Pandemie

Im Falle von mündigen, verantwortungsfähigen, selbstständig lebenden Individuen – ob jung oder alt –, sollte der Staat kein Recht besitzen, ihnen den Ausgang und die soziale Geselligkeit im Restaurant, in der Bar, am Arbeitsplatz oder auf einem öffentlichen Platz mit anderen zu verweigern. Es sind in vielen Fällen gerade die Alten, welche der ihnen noch verbleibenden Zeit ein wenig mehr Leben einhauchen wollen. Einige Menschen wollen das Leben bis zum Ende genießen und nicht so lange wie möglich ohne die Freuden des Lebens weiterleben. Dazu gehören soziale Kontakte mit Freunden, Familie und Fremden. Die Lockdowns und Kontaktverbote bereiten vielen eine unschöne Schlusserfahrung während der letzten Momente auf diesem Planeten. Manch ein alter Mensch würde lieber riskieren, infiziert zu werden, als dass seine Freiheit, mit anderen sozial zu interagieren, beschnitten wird. Darüber hinaus stört es ihn auch, dass man die Freiheit der gesamten Gesellschaft um ihretwillen beeinträchtigt.

Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen selbst isolieren wollten, hätten bei ihrem Vorhaben in jeder nötigen Hinsicht Hilfe und Unterstützung erfahren sollen. Die freiwillige Selbstisolierung hätte ergänzt werden können durch Freistellung von der Arbeit und durch ein Heer von Freiwilligen, die in ihrer Freizeit bereit sind, für diejenigen, die nicht ihre Wohnung verlassen wollen, Lebensmittel- und andere Einkäufe zu erledigen und Dienstleistungen bereitzustellen. In vielen Fällen ist dies ja auch ehrenamtlich geschehen. Wir hätten unsere Freiheit und frei gestaltbare Freizeit als unser größtes Gut und unsere größte Stärke nutzen können, um uns noch stärker zugunsten der Bedürftigen solidarisch zu organisieren. Stattdessen haben wir nicht einmal kreativ darüber nachgedacht, wie wir eine Pandemie überwinden können, ohne unsere Freiheit zu verlieren, geschweige denn herauszufinden, wie wir die Freiheit bei diesem Unterfangen hätten stärken können.

Was rechtfertigt die drakonischen Maßnahmen gegen Covid-19? Wir wussten bereits vor den Lockdowns, dass Covid-19 von den meisten Menschen problemlos oder sogar symptomlos überstanden werden kann, während insbesondere ältere, gesundheitlich angeschlagene Menschen ernsthaft und oft tödlich durch das Virus bedroht sind. Covid-19 ist freilich ein neues Virus. Er ist jedoch nichts Neues für gesundheitlich gefährdete ältere Menschen, die sich seit jeher vor Grippe und bestimmten anderen gewöhnlichen Krankheiten in Acht nehmen müssen, weil dabei eine Todesgefahr für sie besteht. Eine rationale Politik hätte demgemäß gefährdete Individuen und Gruppen in Spitälern, Altersheimen und anderswo vor gefährlicher Infektion gezielt abgeschirmt, nicht die gesamte, gesunde Bevölkerung.

Geschürte Angst und Panik in den Medien und der Politik

Es war nicht das Virus selbst, das uns in diese Lockdowns versinken ließ. Die Ursache der Überreaktion waren offenbar geschürte Angst und Panik in den Medien und der Politik. Lord Jonathan Sumption, „der gescheiteste Mann in England“, Historiker und ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs, meint dazu folgendes:

„Das eigentliche Problem ist, dass wenn menschliche Gesellschaften ihre Freiheit verlieren, dann in der Regel nicht, weil Tyrannen sie ihnen genommen haben. In der Regel liegt es daran, dass Menschen ihre Freiheit bereitwillig aufgeben, wenn sie im Gegenzug Schutz vor einer äußeren Bedrohung erhalten. Und die Bedrohung ist meist real, aber meist auch übertrieben. Ich befürchte, dass wir genau das gerade erleben.“

Covid-19 ist eine reale Bedrohung, so echt wie die Grippe – aber bei weitem nicht viel tödlicher. Manche empören sich über Vergleiche des Coronavirus mit der Grippe. Doch dieser Vergleich ergibt Sinn und drängt sich mit der steigenden Datenmenge zu Covid-19 immer mehr auf. John Ioannidis – Epidemiologe an der Universität Stanford – bemerkt: „Unsere Daten deuten darauf hin, dass Covid-19 eine Sterblichkeitsrate aufweist, die in der gleichen Größenordnung liegt wie die saisonale Grippe.“ Es stimmt zwar, dass wir ein gewisses Maß an Herdenimmunität gegen die Grippe besitzen, nicht aber gegen das neue Coronavirus. Doch gegen letzteres hätten wir diese Herdenimmunität in einer ansonsten freien und offenen Gesellschaft mit nur minimalen, nötigen Einschränkungen für die meisten Bürger aufbauen sollen. Trotz dieses Umstands: Ioannidis‘ Befund „legt nahe, dass wir, auch wenn es sich [bei Covid-19] um ein sehr ernstes Problem handelt, keine Angst haben sollten“.

Freiheit ist riskant

Gerade in dieser Ähnlichkeit zwischen den tödlichen Wirkungen der Grippe und des Coronavirus sowie in der markant unterschiedlichen Art und Weise, wie wir auf beide Gefahren reagieren, liegt der Beweis dafür, dass wir mit den Lockdowns massiv unverhältnismäßig gehandelt haben.

Unsere Freiheiten wurden uns durch Übertreibungen zu unrecht entzogen. Soweit behält Lord Sumption recht. Eine ausreichende Erklärung für die vehementen Maßnahmen gegen das Coronavirus beinhaltet jedoch nicht nur den Verweis auf Panik und Angst. Ein weiterer Grund liegt in der geringen Wertschätzung, die wir der Freiheit schon vor den Lockdowns entgegengebracht haben. Bereits vor der Coronavirus-Ära haben wir Grundfreiheiten wie die Redefreiheit aufgegeben, indem wir zum Beispiel die Umsetzung von Gesetzen gegen Hate Speech erlaubt haben. Unsere Selbstbestimmung haben wir uns durch Bevormundung seitens supranationaler Institutionen wie der EU und die zunehmende formelle wie informelle Regulierung des Alltagslebens einschränken lassen. Wenn uns Freiheit wirklich wichtig ist, obliegt es unserer Verantwortung, gegen diese Lockdowns vorzugehen. Freiheit ist riskant. Nehmen wir uns die Freiheit, uns anzustecken. 

 

Andrea Seaman ist Schweizer Autor und Student. Er schreibt u.a. für das britische Magazin „Spiked“Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

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Leserpost

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Rolf Weidmann / 18.05.2020

Ich messe der Freiheit auch den höchsten Wert zu. Selbst dann, wenn sie bewusst zu Selbstbeschädigung, oder dem was andere dafür halten, genutzt wird. Meine Frage an die Autorin und die Leser ist trotzdem, das Coronavirus und seine möglichen Folgen für die Gesundheit betreffend: Verzichten diejenigen, die sich die Freiheit zur Infektion - wie unser Bezirksbürgermeister von Berlin Mitte - nehmen, wenn es zu viele für die Behandlungskapazitäten sind, dann gegebenenfalls auch auf die Behandlung im Spital oder räumen das Bett und sterben zu Hause, wenn es mehr Patienten als Betten gibt? Boris Johnson hat sich die Freiheit zur Infektion genommen, Im Spital sass er dann sicher trotzdem in der ersten Reihe und in England sind die Kapazitäten im NHS sicher ausgeschöpft derzeit. Mehr Patienten als Betten und damit ärztliche und pflegerische Behandlungsfähigkeit gibt es auch in Deutschland schon zu “normalen” Zeiten häufiger, wie ich aus Erfahrung berichten kann.

Wolfgang Richter / 18.05.2020

@ Thomas Weidner - Und das wird in dieser _Gesellschaft von den uns Regierenden und ihren Folgern als HUMAN verkauft, nachdem das Land von selbigen bewußt in Panik versetzt wurde. Wie perfide das ist, sollte jeder für sich entscheiden.  

Wolf Andreas / 17.05.2020

Entschuldigung, mittlerweile wird es hier zuviel. Alle haben begriffen, dass wir kurzfristig einen Teil unserer Freiheit aufgegeben haben. Im weltweiten Vergleich übrigens sehr moderat. Covid will und sollte man sogar als jüngerer Mensch besser nicht bekommen, es kann sehr unschön ausgehen. Die Tatsache, dass es bisher in Deutschland glimpflich abgelaufen ist kann ja nicht Argumentations Basis dafür sein, die Krankheit zu verharmlosen. Sie ist nicht harmlos. Je weniger Virus wir haben, desto normaler können wir leben und desto besser ist es für die Wirtschaft, desto mehr Freiheit bekommen wir zurück. Also sollte man die Anstrengungen möglichst nicht torpedieren, das ist maximal kontraproduktiv. Unsinn.

Ilse Polifka / 17.05.2020

“Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren”.  Benjamin Franklin

Werner Liebisch / 17.05.2020

Statt Tupper-Parties, künftig Corona Knutsch Parties…warum nicht? Für die Corona Impfstoff Fanatiker geht das natürlich gar nicht, aber warum?

D. Hoeschel / 17.05.2020

und apropos focus, nach einem Modell Göttinger Forscher waren alle Massnahmen einschliesslich Lockdown sinnvoll zur Eindämmung der Epidemie, mein Kommentar wurde gesperrt, kann man ja diskutieren: Pandemievorsorge seit Jahren Fehlanzeige. Warnungen aus China ignoriert, keine Reisewarnungen, nichts. Grossveranstaltungen abgesagt richtig, aber auch schon zu spät. Alles andere hatte keinen Einfluss, weil sich die Leute wie üblich bereits selbst geschützt haben. Der Fehler bei solchen Modellen ist meist, dass die Bevölkerung als starre Masse betrachtet wird, die erst auf staatliche Intervention reagiert und das ist grundfalsch wie jede banale Erkältungswelle zeigt. Die Leute halten sich instinktiv zurück, wenn es ernst wird. Bedanken können wir uns bei einem leistungsfähigen Gesundheitssystem und frühzeitig umsichtig handelnden lokalen Behörden, welche das Infektionsschutzgesetz ernst nehmen. Testen, Quarantäne, Hygieneregeln, ein Stofflappen am Ende der Epidemie ist nur Hohn und Spott.

D. Hoeschel / 17.05.2020

Vielen Dank für den Artikel, schon der Titel dürfte bei einigen Zeitgenossen Schnappatmung erzeugen. Das Missverständnis -so kann man auch Palmer fehlinterpretieren- lautet mehr Freiheit bedeutet mehr Infizierte und damit auch Tote. Die Frage ist doch vielmehr, wie kann ich Risikogruppen effektiv schützen und gleichzeitig das öffentliche Leben maximal offen halten. Die Lösung ‘alle 4 Wochen in den Keller’ kennt jeder Depp, sie ist einfach, solange ich nicht für die Folgen verantwortlich bin. Es wird so getan, falls jeder zu Hause bleibt könnendie Rentner wieder durch die Disco springen (mal etwas Polemik), im Prinzip können diese sich aber nur freuen, dass auch alle anderen auf dem Sofa sitzen. Fairerweise muss man bemerken, dass Portugal neben einer Ausgangssperre die Senioren frühzeitig und rigide isoliert hat, die Infizierten sofort in Militärkrankenhäuser eingewiesen hat und trotz eines mässigen Gesundheitssystems damit relativ gut durch die Krise kommt. Das hat in Schweden weniger gut funktioniert, im Fokus müssen also die Risikogruppen und ihre Kontaktpersonen stehen. Ich bin optimistisch gespannt, ob im Herbst Therapien und Medikamente verfügbar sind und wie dann die Regierung in das öffentliche Leben eingreift.

Paul Braun / 17.05.2020

Freiheit erfordert Verantwortung - auch für sich. Oder anders herum: Wenn ich weiß, das ich einer Risikogruppe angehöre, dann isoliere ich mich (=Verantwortung). Das Essen lasse ich mir bringen, zum Arzt gehe ich im Ganzkörperkondom und im Übrigen warte ich auf den Impfstoff oder die Herden-Immunität.—- Was jetzt geschieht, erinnert an die Szene mit Loriot: “Im Wartezimmer erkennt der Wartende ein schief hängendes Bild, dass er, als guter Mensch, wieder gerade richten will. Aber bei diesem Versuch zerlegt er unglücklicherweise das ganze Mobiliar im Wartezimmer”. Unsere politische Führung zerlegt gerade die Nation samt Grundgesetz und spaltet das Volk in “Klopapier-Hamster” und “Grundgesetz-Träger”. Wie sehr müssen manche Leute mittlerweile wohl hoffen, dass es so schlimm wird, wie sie uns eingeredet haben.

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