Von Josef Joffe
Ein Streitgespräch mit einem Außerirdischen, der sich über die rätselhafte Aufwallung gegen Benedikt wundert
Seit kurzem bin ich mit Bling, einem Marsmännchen, befreundet. Dieser Winzling hat einen IQ von 200, aber keine Ahnung von unserem Blauen Planeten, schon gar nicht von Deutschland. Umso eifriger frisst er sich durch die Zeitungen, sowie er aus dem Beamer steigt. Dann stellt er lauter dämliche Fragen.
In dieser Woche quengelt er: „Weshalb mögt ihr eigentlich den Papst nicht? Der Spiegel nennt ihn den ‚Unbelehrbaren’, ein Buchtitel ruft Wir sind Gegen-Papst! Benedikt ist doch ein Deutscher. Mit 1,2 Milliarden Kunden ist die Una Sancta der älteste Multi auf Erden – ein Super-Geschäftsmodell.“
200 IQ-Punkte und null Durchblick. Deshalb wird er belehrt: „Dieser Erfolg beruht auf Hokuspokus – Weihrauch und Wunder, Auferstehung und Leben nach dem Tode.“ Doch der Schlauberger hatte sich schon einiges angelesen. „Sind nicht alle eure Religionen so? Die Juden glauben, Gott habe das Rote Meer für sie geteilt, die Muslime, Mohammed sei auf seinem Ross direkt ins Paradies geritten. Die Buddhisten glauben an Wiedergeburt. Der Kommunismus hat euch den Himmel auf Erden versprochen.“
Ich stöhne: „Wir sind inzwischen aufgeklärt.“ – „Wirklich? In Wiki habe ich gerade 10 000 Wörter unter ‚Esoterik’ gelesen. Ihr glaubt an Tarot, Kristalle, Sternzeichen, Kupferbänder, Feng-Shui, Homöopathie.“ Ich schiebe unauffällig meine Kupfer-Spange unter den Ärmel: „Alles ganz harmlos; der Papst aber ist ein Un-Demokrat. Er ganz oben, die Befehlskette runter bis zum Sprengel.“
„Da ist was dran“, konzediert Bling, „Protestanten, Juden und Muslime haben zwar kein Oberhaupt, aber richtige Demokraten – alles ist verhandelbar – sind die Gläubigen auch nicht. Das Dogma ist heilig. Ein Ajatollah lässt über seine Fatwas nicht abstimmen. Theoretisch ist ein abtrünniger Muslim des Todes.“
Ich ziehe mein As: „Bling, das ist echt islamophob.“ – „Keineswegs. Wir fürchten nur die Sonden, die ihr marswärts schießt. Ich wollte sagen, Glauben und Demokratie sind zweierlei. Von der „festen Burg“ des Glaubens sang auch Luther. Die Demokratie aber ist ein breites, luftiges Zelt, der permanente Widerstreit. Deshalb habt ihr Glauben und Herrschaft getrennt, wie es Jesus lehrt: ‚Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist….’ Heute würde er den Papophoben sagen: Der Pontifex predigt, das Parlament entscheidet; lasst die Kirche im Dorf.“
Ich schieße zurück: „Ergo würde Jesus Benedikt den Bundestag verbieten!“ – „Wieso, der ist doch auch Staatschef. Und Putin, der 2001 dort sprach, ist kein lupenreiner Demokrat.“ Dieser Bling ist ein Meister der Kasuistik, ein Jesuit aus dem All. Ich: „So würdest du nicht reden, wenn euer Hohepriester Frauen und Schwule diskriminierte, seinen Dienern die Ehe verböte.“ – „Kein Problem; wir pflanzen uns durch Teilung fort. Aber im Ernst: Ihr habt doch Gleichstellungsbeauftragte und Anti-Diskriminierung. Zivilrecht geht vor Kirchenrecht, anders als im Islam. Die Demokratie, die für alle da ist, hat das letzte Wort. Warum regt ihr euch dann so auf über Ratzinger?“
Dieser Alien hat keine Ahnung. „Weil er Macht hat“, belehre ich ihn. „Was, die Inquisition?“ – „Nein, die Macht des Wortes.“ – „Und ihr“, kontert Bling, „habt die Talkshows, die Leitartikler, Frau Käßmann, Verdi, die Linke.“ (Wie konnte der Mann nur so schnell so viel lesen?) „Außerdem habt ihr die Deutungshoheit. Deutschland entchristianisiert sich.“
„Daran ist der Papst schuld!“, krähe ich. – „Wie das?“, fragt Bling verblüfft. – „Weil ich an den Spiegel glaube, der verkündet: Benedikt „lässt die Deutschen vom Glauben abfallen.’“ Daraufhin doziert der Alien: „Der deutsche, der europäische Mensch säkularisiert sich schon seit der Französischen Revolution, siehe auch den Sieg der weltlichen Heilslehren Bolschewismus und Nazismus. Ganz anders die Amerikaner. Die haben im Namen eines ,Schöpfers’ revoltiert, der sie mit ‚unveräußerlichen Rechten’ ausgestattet hatte. Die Kirche war dort nie der Feind, bei euch war sie die ‚Infame’, wie Voltaire agitierte. An Gott glauben bei euch nur 51 Prozent; dass ‚christlichen Werten’ mehr Gewicht gebühre, gerade mal 38. “
Dieses Männchen weiß zu viel. Er leiert die Statistiken runter: „ Die katholischen Kirchenaustritte gehen nicht auf Ratzingers Konto. 1990 lag die Quote erstmals im sechsstelligen Bereich, es ging weiter bergab mit durchschnittlich 130 000 pro Jahr. Bei den papstlosen Protestanten war es schlimmer: im Durchschnitt knapp 200 000. Und das, obwohl die EKD politisch zehnmal korrekter ist als die Kurie. Den Kulturkampf habt ihr gewonnen. Da kann man den Papst, äh, etwas christlicher behandeln.“
Ich weise ihn zurecht: „Der Papst fabuliert, er sei der Stellvertreter Christi. Dabei ist er doch nur ein Mensch!“ Bling lächelt milde: „So ist es. Aber du ereiferst dich wie ein Atheist, der Gott bestätigt, indem er ihn so leidenschaftlich attackiert.“ Das war das Ende einer wunderbaren interplanetarischen Freundschaft.
Zuerst erschienen im Handelsblatt am 21.09.2011