Henryk M. Broder / 09.02.2011 / 11:08 / 0 / Seite ausdrucken

“Die Bande des Schreckens”

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Am kommenden Montag werden Thilo Sarrazin und ich an einem Panel zum Auftakt der “German Week” an der London School of Economics teilnehmen. Und schon regt sich Protest gegen “solch eine tendenziöse Veranstaltung”, angeführt von “deutschen und Deutschland eng verbundenen StudentInnen und AkademikerInnen in Großbritannien”, die mit Hilfe des grossen I jene Lücken zu füllen versuchen, die die V2-Projektile hinterlassen haben. Wer an der Aktion teilnehmen möchte, möge sich bitte an einen der Initiatoren, Mark Erbel (mark.erbel@kcl.ac.uk), wenden. Hier der Vorgang:

Sehr geehrte Dozenten, Kommilitonen, und Freunde,

am kommenden Montagabend werden zum Auftakt der “German Week” an der LSE die beiden für ihre „kulturkämpferische“ Haltung bekannten Autoren Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder an einem Panel zum Thema Integration teilnehmen. Anbei ist ein Offener Brief, der aus Protest gegen solch eine tendenziöse Veranstaltung formuliert wurde.

All jene (in Großbritannien ansässige Deutsche / in Deutschland Aufgewachsene, Absolventen hiesiger Unis o.Ä.), die unterzeichnen möchten, bitte ich mir in folgender Form (nur zu Identifikationszwecken) zuzusenden: Name, Position, Universität.

Der Offene Brief geht noch in dieser Woche an deutsche Medien.

Hiermit bitte ich auch, diese E-Mail an potentielle UnterzeichnerInnen weiterzuleiten.

Mit den besten Grüßen aus London,
Mark Erbel
mark.erbel@kcl.ac.uk

OFFENER BRIEF
Integration statt Kulturkampf!

Ein offener Brief in Sachen “LSE German Symposium 2011 – Integrationsdebatte”

Wir sind irritiert von der Einladung Thilo Sarrazins und Henryk M. Broders
zur Auftaktveranstaltung des „German Symposium“ zum Thema
„Integrationsdebatte: Europas Zukunft – ‚Untergang des
Abendlandes‘?“ an der London School of Economics and Political Science
(LSE) am 14.02.2011. Beide Autoren haben maßgeblich zur Verunsachlichung
der Integrationsdebatte und der Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas in
Deutschland beigetragen. Der Titel der Veranstaltung bedient sich
kulturkämpferischer Parolen, während mit der Einladung eines Vertreters
deutscher Muslime der Diskussionsschwerpunkt auf eine religiöse Minderheit
fehlgeleitet wird.

Die Äußerungen der Herren Sarrazin und Broder verfälschen Kausalitäten
und blenden zentrale Ursachen dieser gesamtgesellschaftlichen
Herausforderungen aus. Die Integrationsforschung hat für letztere
wiederholt sozio-ökonomische Faktoren als Hauptursachen ausgemacht.
Stattdessen sehen Herr Sarrazin und Herr Broder eine pathologische,
religiös und kulturell bedingte Integrationsunwilligkeit in Deutschland
lebender Minderheiten (insbesondere Muslime). Herr Sarrazin versteigt sich
gar zu einer „Verbindung von Erbbiologie und Kultur“ (Frank
Schirrmacher, FAZ 29.08.2010).

Um den Herausforderungen unserer Einwanderungsgesellschaft lösungs- und
zukunftsorientiert zu begegnen, bedarf es einer rational geführten
Diskussion und der Inanspruchnahme wissenschaftlicher Erkenntnisse. So
werden bundesweit bereits vielfältige Programme auf politischer Ebene
erfolgreich umgesetzt. Diese zielen insbesondere auf Chancengleichheit in
der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt ab. Somit wird zu einem Bewusstsein
beitragen, gemeinsam auf eine Verbesserung der Situation hinzuarbeiten.
Doch stattdessen führt die defätistische und kulturkämpferische
Argumentation in Schriften wie Sarrazins Deutschland schafft sich ab (2010)
und Broders Hurra, wir kapitulieren! (2006) zu Spaltung statt
Verständigung, während ernsthafte Vorschläge zur Behebung sozialer
Missstände ausbleiben. Die Stigmatisierung bestimmter gesellschaftlicher
Gruppen durch Herrn Sarrazin gefährdet den gesellschaftlichen Frieden. So
bezeichnete etwa der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in
Deutschland Äußerungen Herrn Sarrazins als „rassistisch“ und auf
„niedrigste Instinkte“ abzielend (Stephan J. Kramer, Der Tagesspiegel
13.10.2009). Sowohl Herr Sarrazin als auch Herr Broder warnen vor einer
angeblich drohenden Islamisierung Europas und reihen sich somit in eine
europaweite Ansammlung von islamophoben Publizisten und Politikern ein.

Selbstverständlich muss jede Debatte kritisch geführt werden und
möglichst alle lösungsorientierten Sichtweisen mit einbeziehen.
Gleichzeitig ist es ebenso selbstverständlich, dass das Gebot der Achtung
der Menschenwürde zu respektieren ist. Insbesondere Herr Sarrazin hat sich
durch seine empirisch widerlegten, provokativen und in einigen Teilen
hetzerischen Publikationen und öffentlichen Auftritte für eine sachlich
geführte Diskussion disqualifiziert. Herrn Broder ist, wie aus seinen
öffentlichen Beiträgen geschlossen werden kann, an einer konstruktiven
Debatte ebenso wenig gelegen.

Wir, deutsche und Deutschland eng verbundene StudentInnen und
AkademikerInnen in Großbritannien, wenden uns deutlich dagegen, dass die
Integrationsdebatte zur Eröffnung der „LSE German Week“ auf diese
Provokateure - sie werden im Programm als „iconic public figures“
bezeichnet - statt auf anerkannte Experten setzt.

Die LSE gilt zu Recht als eine der weltweit führenden
sozialwissenschaftlichen Hochschulen, die großen Wert auf ihre
Weltoffenheit und internationale Studentenschaft setzt. Der German Society
dieser Universität sollte in diesem Sinne daran gelegen sein, ein
weltoffenes Deutschland, das den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
gewachsen ist, zu repräsentieren, anstatt den polemischen,
gesellschaftsspaltenden und unwissenschaftlichen Thesen der Herren Sarrazin
und Broder eine prominente Plattform zu bieten.

 

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