News-Redaktion / 06.02.2019 / 10:30 / 13 / Seite ausdrucken

Der Totalitarismus der „dekolonialen“ Bewegung

Achtzig französische Intellektuelle kritisieren in einem offenen Brief die sogenannte „dekoloniale“ Bewegung. Sie wenden sich gegen einen vermeintlich emanzipatorischen Aktivismus, der jedoch in Wahrheit einen Frontalangriff auf die Freiheit und die Werte der Aufklärung darstellt und die Gesellschaft spaltet. Achgut.com dokumentiert hier ihren Aufruf:

Es vergeht heute kaum ein Monat ohne etliche Universitäts- und Kulturveranstaltungen, die von der militanten „dekolonialen“ Bewegung und den ihr nahestehenden Organisationen wie der „Partei der Indigenen der Republik“, dem „Kollektiv gegen die Islamophobie in Frankreich“ oder dem „Frauenmarsch für die Würde“ getragen werden. Diese unterschiedlichen Gruppen werden in den renommiertesten akademischen Einrichtungen, Theatern und Museen willkommen geheißen, darunter das Collège de France, die École normale supérieure, das Louvre und die Pariser Philharmonie. Anfang Oktober veranstaltete das Haus der Humanwissenschaften das Seminar „Gender, Nation und Säkularismus“, das voller rassistischer Bezüge war: „Gender-Kolonialität“, „weißer Feminismus“, „Rassifizierung“, „geschlechtsspezifische Rassenmacht“ (anders gesagt: Es ging um die vermeintliche Macht der „Weißen“, den von ihnen „rassifizierten“ Individuen systematisch und bewusst zu schaden).

Obwohl sich diese Bewegungen als progressiv präsentieren (antirassistisch, dekolonial, feministisch...), kapern sie seit einigen Jahren Kämpfe für die individuelle Emanzipation zugunsten von Zielen, die der Freiheit entgegengesetzt sind und die den republikanischen Universalismus frontal angreifen: Rassismus, Partikularismus, Segregation (nach Hautfarbe, Geschlecht, Religionsausübung). Sie gehen sogar so weit, den Feminismus zu beschwören, um das Tragen des Kopftuchs zu legitimieren, den Säkularismus, um ihre religiösen Ansprüche zu legitimieren, und den Universalismus, um den Kommunitarismus zu legitimieren. Schließlich verurteilen sie entgegen jeder Realität den „staatlichen Rassismus“, der in Frankreich grassieren soll, während sie gleichzeitig vom Staat Wohlwollen und finanzielle Unterstützung fordern – und erhalten.

Die Strategie der militanten „dekolonialen“ Kämpfer und ihrer selbstgefälligen Sympathisanten besteht darin, ihre Ideologie als wissenschaftliche Wahrheit auszugeben, und ihre Gegner als „rassistisch“ und „islamophob“ zu diskreditieren. Daher stammt auch ihre Neigung, kontroverse Debatten abzulehnen oder gar zu verteufeln. Daher auch ihr Einsatz von Methoden des intellektuellen Terrorismus, die an den Umgang der Stalinisten mit den weitsichtigsten europäischen Intellektuellen erinnern.

Nach den Versuchen, Historiker auszugrenzen (Olivier Pétré-Grenouilleau, Virginie Chaillou-Atrous, Sylvain Gouguenheim, Georges Bensoussan), Philosophen (Marcel Gauchet, Pierre-André Taguieff), Politiker (Laurent Bouvet, Josepha Laroche), Soziologen (Nathalie Heinich, Stéphane Dorin), Ökonomen (Jérôme Maucourant), Geographen und Demographen (Michèle Tribalat, Christophe Guilluy), Schriftsteller und Essayisten (Kamel Daoud, Pascal Bruckner, Mohamed Louizi), werden nun die Literatur- und Theaterwissenschaftler Alexandre Gefen und Isabelle Barbéris Opfer einer Verleumdungskampagne. Im kulturellen Bereich ziehen einige der bekanntesten Künstler die Wut der Fundamentalisten auf sich. Sie werden dafür bestraft, dass sie einen universalistischen Diskurs geführt haben, der Partikularismus und Rassismus kritisiert.

Die Methode ist bewährt: Diese „nicht-konformen“ Intellektuellen werden von Feinden der Debatte überwacht, die auf den geringsten Vorwand warten, um sie zu isolieren und zu diskreditieren. Ihre Ideen werden in diffamierender Polemik ertränkt, Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen, in Petitionen oder in den Medien infame Ziele und Motive unterstellt (Assoziation mit Rechtsextremen, „Phobien“ aller Art…), alles, um die Anklage des „Rassismus“ aufrechtzuerhalten. In den sozialen Netzwerken werden nicht-konforme Denker belästigt und verleumdet. Parallel dazu belasten die antiaufklärerischen „dekolonialen“ Kämpfer die Gerichte der Republik mit ihren von Rachsucht motivierten Klagen.

Unsere kulturellen, akademischen und wissenschaftlichen Institutionen (ganz zu schweigen von den Mittelschulen und Gymnasien, die ebenfalls stark betroffen sind) werden zur Zielscheibe von Angriffen, die unter dem Deckmantel der Verurteilung „kolonialer“ Diskriminierung aufklärerische Prinzipien wie Meinungsfreiheit und Universalismus untergraben wollen. Kolloquien, Ausstellungen, Aufführungen, Filme und „dekoloniale“ Bücher reaktivieren die Idee der „Rasse“. Sie instrumentalisieren die Schuld der einen und verschärfen die Ressentiments der anderen, was interethnischen Hass und Spaltungen fördert. Dies ist die Weltsicht der „dekolonialistischen“ Aktivisten, die in der Welt der Hochschulbildung (Universitäten, pädagogische Hochschulen, nationale Journalistenschulen) und Kultur ihre entristische Strategie vorantreiben.

Die Situation ist alarmierend. Der intellektuelle Pluralismus, den die Befürworter des „Dekolonialismus“ zu neutralisieren versuchen, ist eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren unserer Demokratie. Außerdem bedeutet die Begrüßung der „dekolonialen“ Ideologie an der Universität den Verzicht auf den jahrhundertealten Qualitätsanspruch, der dieser Institution ihr Ansehen verlieh.

Wir fordern die Behörden, die Leiter von Kultur-, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, aber auch die Justiz auf, eine Wende einzuleiten. Grundlegende Kriterien der Wissenschaftlichkeit müssen eingehalten werden. Debatten müssen offen und kontrovers sein. Die Behörden und Institutionen, für die Sie verantwortlich sind, dürfen nicht mehr gegen die Republik eingesetzt werden. Es liegt an jedem einzelnen von Ihnen, dafür zu sorgen, dass der unwürdige Missbrauch der Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die unserer Demokratie zugrunde liegen, ein für alle Mal unterbunden wird.

Aus dem Französischen übersetzt von Kolja Zydatiss. Die französische Version erschien zuerst bei lepoint.fr.

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Sabine Schönfeld / 06.02.2019

Das erinnerte mich an eine Begegnung mit einem jungen Mann (vermutlich Studenten), der mit einer Gruppe Muslime einer bestimmten politischen Gruppierung auf der Straße stand. Ich blieb stehen, sah mir das Material an und fing ein Gespräch an, in dessen Verlauf ich auch Islamkritik äußerte. Daraufhin wurde ich sehr aggressiv angegangen, von Selbstkritik keine Spur. Auf meinen Hinweis auf die oft schlechte bis sehr schlechte Behandlung von Mädchen in muslimischen Familien, wurde ich mit “Kindesmisshandlung in Deutschland” buchstäblich niedergebrüllt. Ohne die Unterscheidung zu machen, dass dieser Missstand in der deutschen Gesellschaft geächtet, in muslimischen Gesellschaften schon in der frauen- und mädchenfeindlichen Ideologie begründet ist. Die Sure in der die Vergewaltigung der Frau in der Ehe befürwortet wird, wurde schlicht geleugnet. Den deutschen Studenten fragte ich daraufhin, ob er denn den Koran gelesen habe und wisse, was er da vertrete. Er sagte, das habe er nicht. Als ich später nochmals vorbeikam, um ihm Hinweise auf ein paar besonders einschlägig prägnante Koransuren in die Hand zu drücken, hörte ich, wie er gerade einem anderen Passanten “Islamophobie” vorwarf. Das fand ich angesichts seiner offensichtlichen Ignoranz im Hinblick auf den Islam schlichtweg absurd und schon etwas dumm. “Islamophobie” ist für mich spätestens seit diesem Zeitpunkt das Argument der Unwissenden. Und ich habe damit begonnen, gegen das besonders verwerfliche Tun dieser Bewegung, die man in Deutschland wohl als die Befürworter der “Willkommenskultur” definieren kann, anzugehen. Offenbar sind diesen Leuten alle Mittel recht und als erstes manipulieren sie Kinder und generell junge Menschen für ihre Zwecke.

Franz Altmann / 06.02.2019

Persistierende Infantilität im Zeitalter der Selbstdarstellung: Mit Heulkrämpfen über gefühltes Unrecht in der Welt (“die bösen weißen Männer”) verschaffen sich Leute Gehör, die in einem MINT-Studium oder einer handwerklichen Ausbildung keine acht Wochen überstünden. Man muss die süßen kleinen Babys natürlich gewähren lassen, nicht wahr—bis man plötzlich in der Star Trek-Episode “Miri” aufwacht, in der auf einem Planeten die Erwachsenen durch eine selektive Seuche ausgerottet wurden und nur die Vorpubertären übriggeblieben sind.

Marco Brauer / 06.02.2019

Spätestens wenn Sätze fallen wie: “Das Private ist politisch” weiß man, dass es sich um eine totalitäre Ideologie handelt. Und solche Sätze hört man bei den Vorkämpfern der Gender-und Post-Colonial - Studies häufiger. Insofern stimme ich jedem einzelnen Satz dieses Textes zu.

Udo Kemmerling / 06.02.2019

Was zum Kuckuck ist “Dekolonialismus”? Frankreich soll seine Kolonien in die Freiheit entlassen? Sind die nicht ein bischen spät dran? Ach, Sozialisten? Na dann!

Thomas Taterka / 06.02.2019

Klingt so nach einem Gegenentwurf zum Schriftsteller - Kongress Paris 1935.

P.Steigert / 06.02.2019

Überall in der westlichen Welt gibt es diesen Konflikt. Linksextreme und aggressive Migranten zerren an den letzten noch halbwegs funktionierenden Gesellschaften. Das kann nicht mehr lange gutgehen und die schon lange existierende Spaltung manifestiert durch Chaos, Gewalt oder territoriale Grenzziehung. Ich würde den 80 Kritikern(und dem unterstützendem Teil der Franzosen)  der “dekolonialen Bewegung” allerdings ein anderes Handeln empfehlen. Sie müssen den Migranten erklären, dass Frankreich nicht die Möglichkeit hat, sie aufzunehmen, ohne das Land zu zerstören. Den Linksextremen müssen sie die Sozialgemeinschaft aufkündigen und verlangen, dass der gesamte Links-NGO-Kultur-Schmarotzer-Aktivisten-Staat komplett abgebaut wird.

P.Steigert / 06.02.2019

Überall in der westlichen Welt gibt es diesen Konflikt. Linksextreme und aggressive Migranten zerren an den letzten noch halbwegs funktionierenden Gesellschaften. Das kann nicht mehr lange gutgehen und die schon lange existierende Spaltung manifestiert durch Chaos, Gewalt oder territoriale Grenzziehung. Ich würde den 80 Kritikern(und dem unterstützendem Teil der Franzosen)  der “dekolonialen Bewegung” allerdings ein anderes Handeln empfehlen. Sie müssen den Migranten erklären, dass Frankreich nicht die Möglichkeit hat, sie aufzunehmen, ohne das Land zu zerstören. Den Linksextremen müssen sie die Sozialgemeinschaft aufkündigen und verlangen, dass der gesamte Links-NGO-Kultur-Schmarotzer-Aktivisten-Staat komplett abgebaut wird.

Rudi Knoth / 06.02.2019

Kommt das auch auf dieses Land zu? Schon die mir befremdliche Bedeutung des Begriffs Identität fällt mir auf. In meiner wohl untergegangenen Gedankenwelt heisst Identität auf ein Individuum bezogen. Die neue Bedeutung bezieht sich aber auf das Kollektiv (Rasse, Geschlecht etc), zu der das Individuum gehört.

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