Dirk Maxeiner / 02.02.2020 / 06:27 / Foto: Pixabay / 127 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Goodbye Uschi!

Immer wenn ich ein Bild vom Vorsitzenden der britischen Brexit-Partei Nigel Farage anschaue, sehe ich ein Pint in seiner Hand. Auch wenn er gar kein Bier hebt. Es liegt wohl daran, dass der Mann längst ein Gesamtkunstwerk geworden ist. Das Ketzerische und Aufmüpfige blitzt in seinen Augen. Und wenn er den Mund aufmacht, dann ist klar, wem der Pub zuhört. Besonders, wenn er unschlagbare Sätze wie diesen sagt: „Ganz Europa sollte die EU verlassen“. Ein einziger solcher Typ würde reichen, um die 709 Abgeordneten im deutschen Bundestag so alt aussehen zu lassen wie ägyptische Mumien aus dem Gräberfeld von Sakkara.

Der „Erz-Brexiteer“ (Die Welt) und seine Truppe wirkten im Europa-Parlament immer ein bisschen wie aufmüpfige Pennäler, die beschlossen haben, nach bestandenem Abitur einen drauf zu machen, witzig, frech und gut gelaunt. So auch Ende der Woche bei Farages letzter Rede im Europaparlament. Dort gibt es eine Menge Leute, die sich furchtbar ernst nehmen und einen wie Farage absolut nicht abkönnen, weil er die Luft aus ihren aufgeblasenen Backen lässt. Sie hätten ihn am liebsten rausgeschmissen wie einen Pennäler, der in den Schulflur gepinkelt hat. Da das aber nicht geht, haben sie ihm am Ende den Ton abgedreht, weil der Nigel und seine Spießgesellen zum Abschied mit kleinen britischen Flaggen gewedelt hatten, so, als marschierten sie von Brüssel aus schnurstracks zum Kölner Karneval.

Für die irische Vize-Präsidentin des Parlaments Maireed McGuiness war das offenbar ein bisschen degoutant, sie machte der Vorstellung ein Ende, mit einem Gesichtsausdruck, als habe sie 20 Jahre bei der städtischen Parkraum-Überwachung geübt. Sie hätte das natürlich auch ein bisschen netter gestalten können, beispielsweise mit ein paar souveränen Abschiedsworten nach dem Motto: „Lieber Nigel Farage, sie haben uns jetzt 20 Jahre prächtig unterhalten, wir werden Sie vermissen, niemand hat uns schöner genervt als Sie, bleiben Sie gesund!“ 

Von der Leyen erzählte etwas vom Dressurpferd

Wie man einen Abschied netter aufzieht, zeigte im Herbst ein weiterer britischer Schwerenöter, Boris Johnson, bei der Abdankung seines Erz-Rivalen John Bercow. Das ehemalige Wimbledon-Tennis-Ass („Oooooooorder....“), das sein Amt als Sprecher des britischen Unterhauses Ende Oktober abgab, wurde von dem ihm in herzlicher Abneigung verbundenen Premierminister mit den Worten verabschiedet, Bercow habe während des Brexits „um sich geballert wie eine wildgewordene Ballwurfmaschine“, seine Aufschläge seien allerdings von einer Art gewesen, die Johnson leider keinen Return ermöglicht hätten. Beide nahmen es sehr sportlich, und das versammelte Unterhaus lachte sich scheckig, insbesondere, als Johnson anmerkte, „keiner seit Stephen Hawking hat die Zeit mehr gedehnt als Haussprecher John Bercow.“

Wie man Briten nicht verabschieden sollte, schon gar nicht als Deutsche, führte derweil vorgestern Abend in den Tagesthemen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor. Sie wirkte ein bisschen wie Kaiserin Sisi, nach über 100 Jahren auferstanden aus einem Kühlschrank, mit stahlharter Dauerwelle und tadellos frisiertem Handy. Kein Wort des Bedauerns über den Ausstieg der Briten, statt dessen Platitüden wie „Europa muss jetzt liefern“ und dem Hinweis, sogar die Chinesen würden schon anfragen, wie man mit heißer Luft, pardon, Emissionen handelt. Am Schluss noch eine hübsche Drohung in Richtung London „denn die Briten gehören jetzt nicht mehr zum gemeinsamen Markt“. Frau von der Leyen erzählte den Zuschauern etwas vom Dressurpferd, für das sie die EU offenbar hält. Das wird in anderen stolzen europäischen Nationen in Zukunft ähnlich gut ankommen wie in der Vergangenheit in Großbritannien. 

Von der Leyen punktet gerne mit ihrer konspirativen Stanford-Bildung und einem bemüht guten Englisch, hat allerdings eine entscheidende angelsächsische Komponente für den Umgang mit Menschen fremder Nationen nicht begriffen: Die Fähigkeit zur Selbstironie. So verrückt es klingt: Typen wie Nigel Farage oder Boris Johnson könnten für Europa und das Zusammenleben seiner Bürger sehr viel mehr erreichen als Anstandstanten mit dauerhaft abgespreiztem kleinen Finger. 

„I want to yodel“ 

Die verschiedenen Spielarten des britischen Humors beschäftigen mich übrigens schon seit langem, erstmals traten sie während einer Klassenfahrt 1970 nach London in mein Leben. Das Land litt unter Streiks, Gewerkschaften und der letzten Labour-Regierung vor Margarete Thatcher. Britische Woolworth-Filialen sahen den Konsum-Märkten in der DDR verdammt ähnlich. Für uns Deutsche war London ein preiswertes Ziel. Besonders die Pubs, von denen sich einer in unmittelbarer Nähe unserer Jugendherberge fand. Die Weiterbildung wurde kurzerhand an den Tresen verlegt, Kurse täglich von 5 Uhr nachmittags bis 10 Uhr abends, Last Ordeeeeer. Die Kampftrinker-Qualitäten des männlichen Teils unserer Pennälergruppe wurden von den Briten positiv vermerkt, zumal wir brav fragten, ob wir die Gläser klauen dürften. Außerdem vermieden wir es, über das Wembley-Tor zu diskutieren.

Um dem Aufenthalt auch ein wenig kulturellen Glanz zu verleihen, schickten mich einige Kumpels als Emissär in die Innenstadt, um eine für uns geeignete Theater-Vorstellung auszukundschaften. In Ermangelung eines Stadtplans fragte ich mich durch und wurde von einfühlsamen Londonern nach Soho geschickt. Das war damals noch keine feine Adresse, sondern barg eine reichhaltige Auswahl an obskuren Etablissements. Ich entschied mich schließlich für einen abgerockten Striptease-Schuppen, der mir von den Eintrittspreisen her barrierefrei erschien. 

Im Vorraum saß eine Dame mittleren Alters in einem Kassenhäuschen, vom Typus her hätte sie auch recht gut zum Royal Post Office oder der Salvation Army gepasst. Ich wollte nicht gleich als der Verlierer der Luftschlacht um England erkannt werden und legte deshalb wortlos eine Einpfund-Note auf den Tresen. Die Dame wechselte und wies mir ebenso stumm den Weg in den oberen Stock. Dort befand sich ein Raum mit einer kleinen Bühne, die durch eine Wäscheleine mit einem Vorhang daran abgetrennt war. Darunter etwa 20 hölzerne Stühle. Ich setzte mich in die letzte Reihe, in der Hoffnung, hinter den breiten Schultern von einigen Dockarbeitern Schutz suchen zu können. Es war aber Nachmittag und es kam niemand außer mir. 

Dann setzte ein Song von Josephine Baker ein: „I want to yodel“ – ich schwör. Ob es sich dabei um Zufall oder eine besonders perfide Art des britischen Humors handelte, vermag ich bis heute nicht zu sagen, tippe aber auf letzteres. Quietschend setzte sich der Vorhang in Bewegung. Auf der Bühne erschien aber nicht Josephine Baker, sondern die Dame aus dem Kassenhäuschen. Im Zuge der Effizienzsteigerung war das Nachmittagspersonal offenbar auf eine Allroundkraft reduziert worden. Anstatt in die Lenden schoss mir das Blut in den Kopf: „Die wird sich doch wohl jetzt nicht auszieh...“. Doch meine Damen und Herren, sie wird. Auch das werte ich heute als Humor der Extraklasse.

Seinerzeit war ich ein wenig beunruhigt, weil der Zuschauerraum nicht abgedunkelt wurde, sondern sie mich genauso gut sehen konnte wie ich sie. Auf Augenhöhe gewissermaßen. In leichter Panik stellte ich mir die Frage: Leave ore remain? Gehen? Der Ausgang war vorne an der Bühne und ich hätte direkt an der darbietenden Künstlerin vorbei abmarschieren müssen. Das erschien mir ein wenig unhöflich und dem deutsch-britischen Verhältnis abträglich. Andererseits fing sie jetzt auch noch an zu stöhnen. Das kannte ich damals noch nicht, heute ist es mir vom Kieser-Training her gegenwärtig. 

Kann ich diese Kleinkunstbühne empfehlen?

Wieder draußen, ergab sich die Frage: Kann ich diese Kleinkunstbühne meinen Schulkumpels empfehlen? Wir hatten bis dato lediglich einer Aufführung der Dreigroschenoper von Bert Brecht im heimischen Stadttheater beigewohnt, die spielt ja auch in Soho. Ich ging zurück und kaufte zur grenzenlosen Verblüffung der Hauptdarstellerin sieben Karten für den nächsten Tag. Ich schwärmte dann abends im Pub in den höchsten Tönen vom außergewöhnlichen Bühnenbild dieser gewagten Brecht-Adaption.

Wie erwartet, waren die Jungs tags darauf ein wenig verunsichert, aber keiner wollte als Feigling dastehen. Also marschierten wir geschlossen in die erste Etage. Ich kannte mich ja schon aus. Der Vorhang ging auf, die Hauptdarstellerin freute sich übers gute besetzte Haus und fragte sogleich nach dem jungen Mann von gestern. 

Ich trug den Knirps-Regenschirm, den meine Mutter mir ins regnerische London mitgegeben hatte, in der Hand und hob ihn in die Höhe. Ganz braver Schüler, der sich meldet. Das führte sogleich zu einem kulturellen Missverständnis. Unsere Tanzkraft interpretierte den Knirps als phallisches Signal und hauchte: „Yes my Dear, show me your V2“. Zum Abschied rief sie uns dann aufmunternd zu: „Come back boys, but please don’t bring Hitler“.

Ich fürchte, diese Art, Goodbye zu sagen, wird Ursula von der Leyen nie verstehen.

 

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Wolfgang Richter / 02.02.2020

@ Sabine Schönfelder—““Herr @ Richter” ?? -bitte präziser, nicht alle “Schmitzens”  in einen Topf schmeißen, nur weil eine die Heinzelmännchen gelinkt und für immer vertrieben hat.

Reinhold Schmidt / 02.02.2020

Danke an den Sonntagsfahrer - immer wieder erfreulich! You made my day! Aber lieber Herr Jens Richter, was für eine völlig verquere Sicht der Realität. Die Länder der EU haben bisher wesentlich mehr nach GB exportiert als von dort importiert. Wer sollte also ein größeres Interesse an weiterhin funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen haben?  Vor dem Hintergrund des Commonwealth of Nations, das 54 Mitgliedstaaten u. a. Indien umfasst und deren Handelsbeziehungen mit GB durch die EU in der Vergangenheit gegen den Willen von GB ganz erheblich einschränkt wurden, sollten wir uns erstmal anschauen, wer sich hinten anstellen muss. Außerdem werden die USA, schon wegen ihrem Groll auf die EU (z.B. 57% Zoll auf US Beef, deutlich höhere Zölle auf Kfz usw.), GB nicht im Regen stehen lassen. Auch in dieser Beziehung kann man sich fragen, wer sich da wohl hinten anstellen muss .

Robert Krischik / 02.02.2020

Das Schlimmste daran, dass die Briten gehen, ist, dass wir bleiben müssen. Jetzt wird alles noch miefiger, noch deutscher, oder wie soll ich sagen, noch klimaneutraler werden.

Lutz Herzer / 02.02.2020

„Yes my Dear, show me your V2“ Nix da. Der Genießer fährt V8 und schweigt.

giesemann gerhard / 02.02.2020

@Andreas Rochow. Nicht die Briten, sondern die Franzosen waren der “Erbfeind” der Deutschen. Wie sagte Wellington kurz vor der Schlacht bei Waterloo? Night or Blucher - etwa: Ich wünschte, es wäre Nacht und die Preußen kämen. Blücher war der Preußengeneral, gemeinsam haben die Brits und die Preußen dann Napoléon geschlagen (Juni 1815). Beim Boxeraufstand in China 1900 riefen die Brits: The Germans to the front! Dass und warum sie 1914 wie die Bekloppten übereinander herfielen, lässt sich bei Christopher Clark nachlesen: “Die Schlafwandler”. Der 100-jährige Krieg, mit Jeanne d’Arc, so 1350 bis 1450, was war das? Der erste Drogenkrieg Europas, weil die Engländer partout an die Weinbaugebiete im Languedoc heran wollten? Bitte nicht alles durcheinander werfen.

Albert Sommer / 02.02.2020

Ich beneide die Briten aus tiefstem Herzen!!! Ich hasse diese EU, diese Islamische motivierte Neuauflage der UDSSR!!!

Konrad Kugler / 02.02.2020

Wenn ich von Brüssel hätte Abschied nehmen müssen, wären mir auch die Tränen gekommen, wegen der Menge entgehender Euros. Bei einer Diskussion vor vielleicht 15 Jahren habe ich die Ehre der Politiker verteidigt, die als “alle korrupt” bezeichnet worden waren. Dazu stehe ich heute noch. Aber, wenn man die Situation des Einzelnen betrachtet, kommt ein anderer Punkt in den Blick. Wer von ihnen kann es sich erlauben, dem Parteivorsitzenden in die Parade zu fahren mit eigenen Ideen? Wo ist dann der Listenplatz bei der nächsten Wahl? Dazu kommt der völlig überhöhte Diätensatz, der dann wie Korruption seine Wirkung entfaltet. “Ein Mann, der im Dienst des Staates reich wird, kann kein Mann von Ehre sein.” Der Autor kann kein Zeitgenosse sein.  Betreffende schon.

Ralf Ehrhardt / 02.02.2020

Lieber Dirk Maxeiner, ...Sie fürchten, diese Art, Goodbye zu sagen, wird Ursula von der Leyen nie verstehen.  Nun muss ich für meine Person gestehen, dass ich um Gottes Willen nie in die Verlegenheit kommen wollte, von dieser Gouvernante Ursula von der Leyen auch nur in irgendeiner Art verabschiedet zu werden.  Da wäre ich nämlich “fies für”.

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