Boudjedra ist wieder da. Er ist gekommen, um uns die Leviten zu lesen. Uns Europäern. Oder ganz einfach dem Westen, der bekanntlich an allem schuld ist. So erfahren wir wieder einmal, diesmal aus der NZZ, dass es , wo es zur Gewalt kommt, nicht wegen des Islam ist oder wegen des Islamismus, wie der höfliche Europäer zu betonen pflegt, sondern wegen der Ungerechtigkeit. Als sei moralisches Verhalten ein Ausdruck von Geldzählen oder sonstigem Feilschen. Als würde Armut zwangsläufig die Sitten zur Disposition stellen.
Der algerische Schriftsteller analysiert messerscharf: „Die schwärende Wunde aber, aus der sich der Fanatismus junger Islamisten vor allem nährt, ist die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel.“ Irgendwie kommt uns das bekannt vor. Und das nicht von ungefähr. Rachid Boudjedra ist in der Sache unermüdlich unterwegs. Er ist ein wahrer Champion der Anklage des Westens.
1988, vor ziemlich genau 20 Jahren, gab es in Berlin ein Schriftstellertreffen zum Thema: „Ein Traum von Europa“. Unter den Rednern befand sich auch Boudjedra. Auch damals belehrte er uns schon. „Ein Traum von Europa“, so Boudjedra in der Kongresshalle, „ist heute gleichbedeutend mit einem Alptraum für den Rest der verschuldeten, ausgehungerten, geknebelten, prostituierten, durch innere und äußere Kriege in Brand gesteckten Welt (Kriege, die in London, Paris, Bonn etc. entworfen und manipuliert werden.“ Spätestens bei der Nennung von Bonn büßte die Suada jede Ernsthaftigkeit ein.
Seit zwanzig Jahren profiliert sich da einer mit einem angeblich großen, in Wirklichkeit aber bloß bequemen Thema. Es geht um die Entlastung der sogenannten Dritten Welt von der Eigenverantwortung, aber auch um die Verwandlung des politischen Engagements in Rhetorik. Die Dauerbezichtigung des Westens ist längst zum Beruf geworden. Was diese Schriftsteller behaupten ist in ihren Herkunftsländern unerheblich, es sei denn die jeweiligen korrupten und inkompetenten Eliten bedienen sich der Sprüche, um die eigene Bevölkerung zu manipulieren.
Meistens aber sind diese Verbalattacken gar nicht für die Medien der Heimatländer gedacht, sie meinen vielmehr die europäische Öffentlichkeit, in der sich diese Schriftsteller mit Vorliebe als Wortführer der leidenden Dritten Welt zu etablieren wissen. Die Anklage wird so zum Profil. Viele von ihnen leben auf Dauer im Westen, zumindest aber von den Einnahmen des westlichen Buchmarktes. So bezahlt die westliche Welt nicht nur die an sie gerichteten Vorwürfe, sie bezahlt auch die Manipulation der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern und hilft damit die unhaltbaren Zustände dort zu verewigen. Und das nicht, weil wir etwas davon hätten, sondern weil wir immer wieder auf die selbstgerechten Attacken unserer literarisch begabten Ankläger hereinfallen.
Siehe auch: Eine Religion wie alle anderen
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/eine_religion_wie_alle_anderen_1.783203.html