Gastautor / 05.07.2010 / 15:09 / 0 / Seite ausdrucken

Der Neurosenhändler aus Neukölln

Wie ein Libanese dem öden deutschen Identitätstheater mal eine wirklich neue Variante hinzufügte

Von Jost Kaiser

Deutsche haben nichts gegen Patriotismus. Noch nicht mal gegen Nationalismus. Oder Chauvinismus. Hauptsache: Es ist nicht ihr eigener. Besonders gute Karten im von aufgeklärten Deutschen rezipierten Nationalismus-Business hatten jahrzehntelang immer echt oder vermeintlich unterdrückte Nationen und ihr Nationalstolz. Am besten gepaart mit der sogenannten südlichen Fröhlichkeit und Folklore. 2002 wippten verklemmte Charlottenburger Bürger heimlich mit, als die Türken ihr Team bei der WM feierten und mit Trommeln den Kudamm eroberten. Man mag die Iren, denn die haben irische Pfeifen und sind koloniale Opfer der Engländer. Und kein Mensch regt sich angemessen über den üblen Chauvinismis der echten oder falschen Palästinenser auf, die ihrem dämlichen martialischen Getue regelmäßig deutsche Innenstädte erobern und ihren Kindern Pappgewehre in die Hand drücken, was zudem ja auch noch Kindesmissbrauch ist – sonst ja auch ein veritabler Aufreger. Schließlich sind sie das letzte Kolonialopfer. Der Israelis. Die man hierzulande für das gefährlichste und unfriedlichste Volk der Welt hält.

Und dann gibt es da noch den geklauten Lebensgefühl-Patriotismus: Deutsche ziehen sich gern Leibchen der “Samba-Kicker vom Zuckerhut” (Heribert Fassbender) über, genau deshalb. Samba. Lebensfreude. Kein Klischee ist zu dumm, wenn man sich selber für blutarm und unfroh hält.

Man mag die schwachsinnigen Faschingszüge der Holländer mit ihren dämlichen Kostümen und hält das hart calvinistische Land, in denen Omas qua Gesetz ins Jenseits gespritzt werden können und in dem es harte rechtsextreme Populisten gibt, notorisch für das lustigste Land Europas.

Und der Berufsjugendliche Campino fasst das alles am besten zusammen: Wie auch den patriotischen Krawallmacher Arnulf Baring ist ihm das deutsche Schwarz-Rot-Gold-Theater, das eben eher Party ist, als irgendetwas anderes, nicht hart, nicht echt, nicht proletarisch genug. Er ist für England, weil er eine englische Mutter hat. Und weil er so ohne Reue etwas bekommt, was ihm in der deutschen Variante (die es übrigens gerade auch wieder gibt) widerlich wäre: Bierfurz-Nationalismus, Rumgegröhle, Proll-Gefühle.

An all dem hat die Deutschland-Party mit ihrem Fahnenmehr nichts ändern können. Denn instinktiv spürt man: Die anderen haben mehr, es bleibt der Phantomschmerz.

Die Deutschen lassen sich also gern den Nationalismus der anderen verkaufen. In diese Gemengelage des deutschen Neurosentheaters hat ein Libanese eine völlig neue Variante erfunden: Er verkauft den Deutschen ihren eigenen Patriotismus. Und zwar eine 1:1-Variante, riesig, unironisch, ohne Lena, ohne Zurückhaltung voll auf die zwölf. Mitten in Neukölln hat er eine 20 Meter Lange Fahne an einem Haus aufgehängt, so gross wie man es sonst nur mit der amerikanischen Fahne an der New Yorker Börse sieht. Damit startete er ein unterhaltsames Theater, das gleich mehrere deutsche Dauerthemen genial in einem Textil zusammenfasst.

1. Privatisierung ds Gewaltmonopols

Der Mann ist kurz nach dem Aufhängen des Textils von Autonomen bedroht worden. Lassen wir mal die gewohnt wirren Begründungen weg, mit denen diese Drohungen gegen die Fahne garniert waren – sie sind ja egal. Der Londoner Bürgermeister hat derartiges Klientel mal in bezug auf die Londoner Verhätnisse als “wirre Jungs mit Nasenringen aus Kensington” bezeichnet. Damit wollte er sagen: “Autonome” (oder wie immer sie sich nennen) – das sind Bürgerskinder, die ihr Leben im Wohlfahrtsstaat verbracht haben und in Ermangelung realer Konflikte erfinden sie welche, um sich als Widerstandskämpfer mit martialischer Pose – eine in Deutschland notorisch begehrte Rolle – gegen was auch immer aufspielen zu können. Diese “Autonomen” haben also den wackeren und durchaus PR-affinen Libanesen im Befehlston aufgefordert die Fahne abzuhängen. Wogegen er sich wehrte. Seitdem wird das Textil bewacht. Der erste Konflikt hat also mit der Fahne gar nichts zu tun, sondern ist der klassische staatrechtliche: eine Privatpolizei, die sich “Autonome” nennt, wollen einem Bürger vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat. Wogegen er sich wehrt. Zurecht. Und vielleicht steckt noch etwas anderes drin: Ist nicht die Privatpolizei der Autonomen auch eine Art “Gentrifizierung”, nämlich der Versuch milieueigene Sektenideologie aus dem wirren akademischen Ideentopf einem Angehörigen des Kleinhändlertums aufzuzwingen? Applaus für den wehrhaften Mann aus Neukölln. Allerdings muss man auch dazu sagen: Derselbe Mann wäre vielleicht nicht dagegen, wenn andere Privatpolizeien, die es in Neukölln auch gibt, in anderer Sache aufträten. Die heissen dann halt nicht Autonome, sondern tragen die Namen arabischer Clans.

2. Der Phantom-Patriotismus

Schon 2006 wurde ja der neue deutsche Patriotismus erfunden. Aber schon damals plagte diverse intelektuelle Geister wie Matthias Matussek und Arnulf Baring die Idee, daran könnte was faul sein. Ihnen erging es wie dem Papst angesichts des vermeintlichen Massenrausches und Erfolges des Weltjugendtages 2005: Es ist das Falsche. Jugendliche feierten sich selbst. Und nicht die Kirche und schon gar nicht die Jungfrauengeburt. Benutzte Kondome zeugten davon. Und das aktuelle deutsche Fahnenmeer ist auch nicht die gefühlsseelige Neuauflage des Hambacher Festes. Es ist jene neuartige diffuse Partystimmung, die sich zwar der Fahne bedient, die aber genauso schnell wieder vorbei ist und kein Grundgesetz unter dem Arm hat. Am 3. Oktober, dem deutschen Nationalfeiertag, sind die Fahnen auch dieses Jahr wieder eingerollt. Davon kann man sicher ausgehen.

Das ist aber nicht der Patriotismus, den einige herbeisehnen, jener Normalitätspunkt, den es vielleicht nicht gibt, der aber unablässig umkreist wird: eine öde, ja die ödeste deutsche Obsession.

Und da kommt also der Libanese mit der Riesenfahne und sagt Worte wie: Er sei Deutschland dankbar für das Asyl. Deutschland sei ein grossartiges Land. Ein liberales Land. Und sofort sind ein dutzend Journalisten da: Es gibt einen Markt für die Steigerung des unpolitischen Party-Patriotismus und der Mann aus Neukölln hat das genial erkannt. Er kennt seine Pappenheimer-Deutschen.

Und so waren gestern zwei Kamerateams da und ein halbes dutzend schreibende Journalisten. Sanftmütige ZDF-Redakteurinnen, die ihre Unizeit vielleicht in mit Antifa-Parolen vollgeschmierten Seminarräumen verbracht hatten war eine ungläubige, aber faszinierte Irritierung ins Gesicht gemeisselt. Und die Libanesen trommelten, und sangen nur eins: Deutschland. Deutschland. Deutschland.

Was war es? Nichts. Ein Mann hat den deutschen ihren eigenen Patriotismus verkauft. Und sie wissen nicht, was sie darüber denken sollen. Aber sie müssen denken. Denn Deutsche beschäftigen sich nunmal von morgens bis abends am liebsten mit einem: Ihrer Identität. Der geniale Identitätsfachhändler aus Neukölln hat das erkannt. Nicht mehr und nicht weniger. Und jetzt viel Spass damit, liebe Deutsche. Was will der Mann uns damit sagen? Seid doch mal wie die anderen? Denkt mal drüber nach.

Übrigens: Es war eine geniale Party. Am Ende packten die Libanesen eine Munitionskiste mit einer zehn Meter langen Kette von zusammengeschalteten Kanonenschlägen aus und zündeten sie auf der nach dem deutschen Sieg nunmehr für die Party reklamierten Sonnenallee. Es lag ein Hauch von Beirut und Bürgerkrieg in der Luft. Die sanfte ZDF-Redakteurin, eben noch begeistert vom fröhlichen Trommelpatriotismus, bekam einen sorgenvollen Zug um den Mund. Den Autonomen hätte das sicher gefallen. Aber sie hatten die geileste Party Berlins ja verpasst.

Und dann kamen noch die Menschen, die deutsche Fahne nur tragen, um sie mit der palästinenischen zu paaren. Damit wiederum hatte die ZDF-Frau überhaupt kein Problem.

http://jostkaiser.wordpress.com/2010/07/04/der-neurosenhandler-aus-neukolln/

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