Gastautor / 08.02.2009 / 11:27 / 0 / Seite ausdrucken

Der antikatholische Hurrican und die Fundamente der Vernunft

Von Albert Christian Sellner
Der Wahnwitz des Bischofs Williamson geisterte jahrelang, unregistriert von den liberalen Öffentlichkeit, durchs World Wide Web. Der anglikanische Konvertit breitete dort genüßlich seine politische Mystagogien aus. Da spielten die “Protokolle der Weisen von Zion” eine “gottgesandte” Rolle, da geisterte die Jungrau von Fatima mit erstaunlichen Interpretationen des Hitler-Stalins-Pakts herum, Nordlichterscheinungen der Gottesmutter warnten vor den Russen, und in privilegierten Eingebungen entdeckte Williamson, dass ausgerechnet Opus Dei (!) als freimaurerische (!) Frontorganisation 1998 den Kommandanten der Schweizer Garde ermorden ließ. In seiner wahnhaften Logik lastet er auch Nine Eleven „IHNEN“ an. Solch esoterischer Unfug erfüllt streng genommen den Tatbestand der von der katholischen Kirche stets mit außerordentlichem Mißtrauen beobachteten Privatoffenbarung…

Die Holocaustleugnung – in Deutschland mit bis zu fünft Jahren Gefängnis bedrohter Straftatbestand – vertrat der exzentrische Querulant schon in Predigten von 1989: “There was not one Jew killed in the gas chambers. It was all lies, lies, lies. The Jews created the Holocaust so we would prostrate ourselves on our knees before them and approve of their new State of Israel…. Jews made up the Holocaust, Protestants get their orders from the devil, and the Vatican has sold its soul to liberalism.” (Seit ein paar Tagen sind leider viele dieser Seiten gesperrt…Noch im Netz: http://theunjustmedia.com/Jewish%20Zionists/Thomas%20Sparks%20Quotes%20SSPX%20Bishop%20Richard%20Williamson%20On%20The%20J.htm )
Es gab aufmerksame Leute, wie den Direktor für Internationale Beziehungen des Simon Wiesenthal Zentrums, der Williamson im englischen Catholic Herald 2008 als “den Borat der schismatischen katholischen Rechten”, als „Clown, aber einen gefährlichen Clown“ bezeichnete. Für die Mainstream Medien war er so uninteressant wie die gesamte Piussekte. Erst die große Chance des allgemeinen Papst-Bashings hat zu einem regelrechten Mediensturm geführt.
Bei den Piusbrüdern haben Versatzstücke des katholischen Antisemitismus, der in der vorkonziliaren Kirche noch breit gestreut war, festes Wohnrecht. Der Bruderschaftsgründer, Erzbischof Lefebvre kam aus der Traditionslinie der antisemitischen Action francaise (1926 von Pius XI. verboten, ihre Mitglieder 1927 vom Sakramentenempfang ausgeschlossen), von Vichy-Frankreich (Petain galt ihm als aufrechter katholischer Staatsmann, der gegen de Gaulle das richtige tat, sich nämlich nicht mit den westlichen “Geldmächten” zu verbünden). Er lobte häufig Salazar, Franco, Pinochet, die argentinischen Militärs und andere katholische “Helden”. Und so ganz nebenbei sonderte er Befunde wie den folgenden ab: „B’nai Brith hat die sowjetische Revolution finanziert sowie den Zar und alle Vertreter des orthodoxen christlichen Glaubens massakriert. Diese jüdische Freimaurersekte findet man überall. Sie kommandieren auf der ganzen Welt. Diese Juden haben alle Banken in ihrer Hand und sind im Besitz aller bedeutenden Geschäfte der Welt, auch in der UdSSR und in Amerika.“ (Aus einem Vortrag in Ecône am 27. Oktober 1985)
Das 2. Vaticanum hingegen war für ihn eine liberalistische Fehlentwicklung, die dort deklarierte “Religionsfreiheit” hielt er für „Häresie“. Lefebvre schätzte extreme Formulierungen gegen die Päpste Paul VI. und Wojtyla. Er beschuldigte sie gerne der Kapitulation vor Freimaurern und Atheisten. Zum ideologischen Tollhaus, in dem seit den späten 80ern der Clown Williamson tanzte, hat er durchaus die Fundamente gelegt.
Was hat also die Kurie und Benedikt zu ihrem Schritt, der Aufhebung der Exkommunikation bewogen? Es war offenbar das Kalkül, die immer mehr zur Sekte degenerierende Bruderschaft in die kirchliche Kommunikation zurückzuführen. Der Papst hat offenbar die Einschätzung, daß sich in dieser musealen Subkultur unter dem Schutt törichter Meinungen ein Herzstück der kirchlichen Tradition besser erhalten hat als in den bestehenden Amtskirchen. Die vielen hundert Priester, Ordensbrüder und Schwestern der Piusbruderschaft sind das, was man einmal eine Kaderorganisation nannte. Solide Kenntnisse der lateinischen Sprache und gründliche Vertrautheit mit allen Feinheiten des Alten Ritus sind dort breit vertreten. Stetiger Zulauf und geschätzte 600 000 eifrige Anhänger kontrastieren stark mit der amtskirchlichen Misere hinsichtlich Priestermangel und Niedergang des Kirchenbesuchs. Innerkirchlich macht der Versöhnungskurs Sinn, wenn der Befund richtig ist, der Kern des jahrzehntelangen Konflikts sei die Liturgie und die Bedeutung des Priestertums. Für die lateinische Messe kann sich neben vielen Literaten und Künstlern auch ein Oberkonziliarist wie Hans Küng erwärmen. In ihr den reaktionären Sündenfall gegen das Konzil zu sehen, scheint abwegig. Benedikt XVI. will mit seinem Gnadenerweis „den Skandal der Spaltung“ überwinden. Und er versucht die Anhänger des Alten Ritus von den politischen Mystagogen und Esoterikern trennen. Rechtlich bedeutet die Aufhebung der Exkommunikation nur, dass die vier Kirchensünder wieder an den Sakramenten teilhaben dürfen, von einer “Rehabilitation”, gar von Akzeptanz ihrer Meinungen über die Welt konnte nie die Rede sein. Die Bruderschaftsbischöfe haben durch den Gnadenakt kein Amt in der Kirche erlangt und könnten auch an keinem Konzil teilnehmen. Sie müssen sich aber ab sofort nun den Weisungen des Hl. Stuhls unterwerfen, wessen sie sich drei Jahrzehnte lang entwöhnt haben.
Mit der Wiederzulassung der lateinischen Messe durch Benedikt 2007 vollzog sich tatsächlich ein spürbarer atmosphärischer Wandel in der Bruderschaft und ihren Sympathisanten. Die ehedem heftigen persönlichen Anschuldigungen ihrer Oberen wurden leiser. Nun war Ratzinger kein liberales hegelianisierendes Weichei mehr, das „objektiv“ noch gefährlicher sei als die offenen „Modernisten“.

Die Provokationen Williamsons gefährden das Projekt. Sie haben es andererseits zum Moment der Entscheidung vorangetrieben. Benedikt machte nach unglücklichen Kommunikationspannen in der Kurie endlich den notwendigen Schritt: „Der Bischof Williamson muss sich, um wieder zu bischöflichen Funktionen in der Kirche zugelassen zu werden, auf absolut eindeutige Weise und öffentlich von seinen Positionen im Bezug auf die Shoa distanzieren, die dem Papst im Moment der Aufhebung der Exkommunizierung nicht bekannt waren.“ Zudem müsse sich die Piusbruderschaft zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils und aller seither gewählten Päpste bekennen. Das bedeutet aktuell vor allem die Anerkennung von „Nostra Aetate“, in der es heißt, die Kirche beklage „alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben“.

Der Fall Williamson hat vielleicht ein Gutes: Möglicherweise begreifen die religiös, liturgisch, kultisch motivierten Traditionalisten jetzt, dass sie sich mit den lieb gewordenen Verschwörungstheorien in direkter Nachbarschaft zur faschistischen Eso-Szene befinden, die sie eigentlich als “satanistisch” werten. Oder mit der islamistischen und linksradikalen Propaganda, für die Nine Eleven eine jüdische Machination ist.
Sie müssen nun wählen, was ihnen wichtiger ist: die Pflege solcher Mystagogie oder die Arbeit für den Alten Ritus in der kirchlichen Gemeinschaft.
Auch die liberale Öffentlichkeit hat ein Problem. Sie hat weitgehend verlernt, Religiöses und Politisches auseinanderzuhalten. Die Kirche ist keine Partei, kein Verein oder ein Club. Ihre Regeln stammen aus einem völlig verschiedenen kulturellen Zusammenhang. Religiöser Traditionalismus ist nicht per se Rechtsradikalismus. Das Evangelium ist als Drehbuch für politische Szenarien ungeeignet. Der Kampf der kirchlich „Progressiven“ für Priesterheirat, Frauenamt und Demokratisierung der Strukturen wird nicht dadurch erfolgreicher, dass er auf eine liberale Agenda gesetzt wird – im Gegenteil. Überzeugte Laizisten sollten sich vielmehr taktvoll zurückhalten, um die innerkirchlichen Fronten nicht von außen politisch aufzuladen.
Während der aktuellen Krise hingegen verhalten sich manche Liberale so, als seien Nazis kurz vor der Machtübernahme im Vatikan. Man unterstellt dem Hl. Stuhl, wenn er auf seiner hierarchischen Ordnung und den Bestimmungen des kanonischen Rechts beharre, wolle er die Demokratie in Frage stellen und einen Kulturkampf gegen Protestanten, Juden und alle Andersgläubigen ausrufen. Nach der Logik des Skandals arbeiten derzeit viele Medien – bewußt oder unbewußt - am Projekt: „Benedikt muß zurücktreten!“ 
Ich hielte das für eine Katastrophe. Benedikt vertritt – im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger – entschieden eine Theologie der Vernunft, der Trennung von Staat und Kirche und der Anerkennung freiheitlicher Wissenschaft. Die fundamentalistischen Insinuationen der Kreationisten und des „intelligent design“ hat er deutlich zurückgewiesen. Seine Haltung zur Shoah ist völlig unstrittig. Er war einer der Architekten der lange unterbliebenen Anerkennung Israels durch den Vatikan und Förderer einer Theologie, die Auschwitz auch als religiöses Problem begriff. Und ganz ins Unreine gesprochen: Die Basis der Aufklärung ist die Religionskritik. Was macht diese Kritik, wenn die Religion verschwinden sollte? Wenn sie durch den sich ausbreitenden Unfug von Gurusekten jedweder Provenienz ersetzt wird? Würden nicht dadurch die Fundamente des vernünftigen Diskurses generell beschädigt?
Was derzeit an antikatholischer Wut aufgebrochen ist, hat mit dem eigentlichen Konflikt nur noch wenig zu tun. Im Gegenteil: in vielen Blogs und Internetforen führen Antisemiten, oft deutschnationaler oder „linker“ – „antizionistischer“ - Couleur das Wort.
Mit ihrer Einmischung hat auch die deutsche Kanzlerin der Vernunft keinen Dienst erwiesen. Im Gegensatz zum Protestantismus hält die katholische Kirche Wert auf Abstand zum Staat. Sie hielt seit Gregor VII. nie mehr – wie später Luther - die Weisungen der Obrigkeit für gottgewollt. Man arangiert sich, gewiß, oft genug in moralisch fragwürdigstem Opportunismus, aber man bewahrt seine Identität und vertraut auf den eigenen langen Atem. Was man im Rom auf keinen Fall hinnehmen wird, sind Eingriffe von Politikern in kirchenrechtliche Vorgänge. Dieses Prinzip aber hat Merkel verletzt. Die Kanzlerin hätte unbeanstandet öffentlich erklären können, dass Mr. Williamson sich in Deutschland strafbar gemacht hat und bei Einreise mit einer Verurteilung bis zu fünf Jahren rechnen muß. Den Papst aber zu rügen, er habe seine Haltung zum Holocaust bisher nicht deutlich gemacht und solle Williamson wieder exkommunizieren, das ist ein starkes, ein törichtes, ein geschmackloses Stück. Die katholische Kirche hat im Konzil anerkannt, daß die Politik nicht nach religiösen Grundsätzen geregelt sein kann. (Für Lefebvre war das ein „Sieg der Freimaurer“.) Das sollte auch so bleiben. Exkommunikation wegen unerwünschter politischer Haltungen wie unter dem Pacellipapst (der die Mitgliedschaft in der KP mit Kirchenbann belegte) sollte es nicht mehr geben. Auch auf einen christlich begründeten Sozialismus wird man als Anhänger der sozialen Marktwirtschaft und des liberalen Rechtsstaates gerne verzichten. Umgekehrt muß man dann aber auch der Kirche zubilligen, dass sie politische Einmischungen in kirchliche Rechtsvorgänge a la Merkel entschieden zurückweist.

Albert Christian Sellner ist ein früherer publizistischer Kampfgefährte Dany Cohn-Bendits und Autor der Bücher der Geschichtensammlungen “Immerwährender Päpstekalender” (Eichborn) und “Immerwährender Heiligenkalender” (Gebundene Ausgabe: Eichborn; Taschenbuch: Goldmann)

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