Dirk Maxeiner / 11.05.2020 / 10:22 / Foto: Pixabay / 105 / Seite ausdrucken

Das Corona-Papier: So war es wirklich, Herr Seehofer

Nachdem das Corona-Papier aus dem Bundesinnenministerium nun die mediale Runde macht, läuft unübersehbar der Versuch, dessen Verfasser als Querulant oder finsteres Werkzeug rechter Kreise darzustellen, der eigenmächtig handelte. In einer Pressemitteilung vom Sonntag schrieb das Ministerium unter anderem: 

Der Mitarbeiter des BMI hat seine Privatmeinung und ggf. die Meinung anderer an dem Papier Beteiligter zusammengefasst und verbreitet. Diese eigenständig vorgenommene „Analyse“ erfolgte außerhalb der sachlichen Zuständigkeit des Verfassers sowie der Organisationseinheit im BMI, für die er tätig war. Für diese Zusammenstellung gab es weder einen Auftrag, noch eine Autorisierung.

Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Der Mitarbeiter der Abteilung „Kritische Infrastruktur“ (KRITIS) kommunizierte spätestens seit 23. März 2020 dienstlich und schriftlich mit seinem Vorgesetzten über einen ersten Zwischenbericht seiner Risiko-Analyse und bekam für die Denkanstöße sogar Lob, weil sie „zutreffend und gelungen“ seien. Diese Aussage ist schriftlich dokumentiert und liegt auch den an der Analyse beteiligten Wissenschaftlern vor.

Nach einem Wechsel in seiner Referatsleitung versuchte der Verfasser auf Ministerialebene, seine kritische Analyse weiter in den Prozess zu geben, wurde aber am 5. Mai rigide ausgebremst. Es ist wirklich kurios, dass dies ausgerechnet durch eine „Abteilung Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz" geschah. 

Auch das Büro von Innenminister Horst Seehofer erfuhr keineswegs erst gestern von dem Papier. Der Autor der Analyse trat bereits am 25. April schriftlich in direkten Kontakt mit Christoph Hübner, dem Büroleiter von Innenminister Horst Seehofer. Als guter deutscher Beamter dokumentierte der Verfasser des Papiers auch diesen Vorgang und den dazugehörigen Schriftwechsel. In einem Schreiben wandte er sich direkt an den Innenminister und bat den Büroleiter um Weiterleitung dieses Schreibens mit der Analyse als Anlage direkt an Horst Seehofer. Hier der Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Minister Seehofer,

die Begrüßungsrede, die sie im März 2018 vor uns Beschäftigten im BMI hielten, hatte auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Sie sprachen über Ihre Ziele und Erwartungen. Unter anderem baten Sie die Beschäftigten ausdrücklich um ihre eigene Meinung, auch wenn sie abweichend sei. Das sei gewollt und nur das führe Ihrer Erfahrung nach zu guten Entscheidungen. Sie baten nicht nur um eigene Meinung, sondern sogar um Widerspruch, falls eine eigene fundierte Meinung dies gebiete.

Bei mir ist über die letzten Wochen das Bedürfnis angewachsen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, da ich mit einem ernsten Anliegen auf anderem Wege nicht weiter gekommen bin. Ich hätte es verworfen, hätten Sie nicht in der gleichen Rede ausdrücklich dazu aufgerufen, Mut zu zeigen und in Aussicht gestellt, dass bei Ihnen niemand etwas zu befürchte hätte, der seine Meinung vertritt.

Im Moment dominieren die gesundheitlichen Aspekte in der Krisenstabsarbeit immer noch so stark, dass andere, ebenfalls wichtige Aspekte leicht übersehen und vernachlässigt werden können. Für mein Arbeitsgebiet, den Schutz Kritischer Infrastrukturen, hat das schwerwiegende Folgen. Ich erlebe, dass im Krisenbewältigungsprozess Fakten geschaffen wurden und weiter geschaffen werden, die eine schwer zu kontrollierende Dynamik bei den Kritischen Infrastrukturen auslösen können und teilweise bereits ausgelöst haben. Es müsste meines Erachtens dringend systematischer einer drohenden Verselbständigung des Problems entgegen getreten werden.

Die anliegende Aufarbeitung meiner Arbeitsergebnisse ist keine erbauliche Lektüre. Dafür ist die Lage leider zu ernst. Ich beschreibe Fehlentwicklungen und gebe Hinweise für ein Gegensteuern. Wichtig ist mir, dass ich trotz des vielfach kritischen Charakters meiner Ausführungen, niemanden persönlich angreifen oder verletzten möchte.

Ungeschicklichkeiten und Fehler passieren in jeder Krisenübung, wie könnte es ausgerechnet in einer echten Katastrophe anders sein. Wichtiger ist, was wir daraus machen. Ob unser Land glimpflichen davon kommt, oder allerschwersten Schaden nimmt, wird nach meiner Einschätzung davon abhängen, wie jetzt mit Fehlentwicklungen beim Krisenmanagement in der Coronakrise umgegangen wird.

Ich habe in den letzten Wochen mit vielen Kolleginnen und Kollegen in den Referaten des BMI, in den Ressorts und in nachgeordneten Behörden wie dem BBK gesprochen, sowie mit Mitarbeitern von Unternehmen und Verbänden. Dabei habe ich erfahren, dass meine fachliche Position keine esoterische Einzelmeinung ist. Ich habe bisher keine einzige Person getroffen, die die Grundprobleme anders gesehen hat, als ich sie in meinem Papier beschreibe. Jeder meiner Gesprächspartner bestätigte gleichermaßen meinen Befund und brachte seine allergrößten Sorgen, Befürchtungen und Ängste zum Ausdruck. Für die Antwort auf meine Frage, ob da nicht etwas unternommen werden müsste, gab es dann viele Varianten: „Dazu bin ich nicht berufen.“ „Das wird nicht von mir erwartet.“ „Selbst wenn ich wollte, ich kann daran nichts ändern.“ Das mag auch für mich gelten, aber mein Verantwortungsgefühl gebietet mir, es wenigstens zu versuchen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr XY

Am gleichen Tag antwortete der Büroleiter Christoph Hübner dann lapidar, dass er den Brief gelesen habe, aber nicht weitergeben werde. Er habe keine Zeit, die Anlagen (also die Analyse) zu lesen. Man könne sich aber gerne darüber unterhalten, die „Gedanken in einen erfolgversprechenden Prozess einmünden zu lassen“. 

Achgut.com hat das Corona-Papier am 12.05.2020 für alle Interessierten komplett zum Herunterladen bereitgestellt.

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Rebecca-Vanessa Wille / 11.05.2020

Die gesamte Anaalyse ist hervorragend und brilliant geschrieben,  man sollte dem Verfasser einen Doktortitel hierfür verpassen. In der gesamten Ausführung merkt man, wie er sich geflissentlich bemüht dem Umstand seiner Erfahrung, dass Politiker keinerlei Grundlagen in seinem Ressort haben, Rechnung zu tragen, weshalb hier adäquat, präzise und umfassend Quellen zitiert und die Verweise zu ihnen dokumentiert werden. Jeglicher Schlussfolgerung des Verfassers kann man sich nach der Durcharbeit seines brillianten Werkes nur anschliessen. Was schlussendlich die Frage aufwirft: Sind unsere Politiker nur zu faul oder zu blöd zum lesen? Die Analyse liest sich wie ein Krimi, schon lange waren fast 90 Seiten nicht mehr so spannend für mich!

Robert Bauer / 11.05.2020

Wer den Dienstweg beschreitet, befindet sich auf dem Holzweg.

B. Didrichsons / 11.05.2020

Egal, ob der Mann jetzt Recht hat oder nicht, er folgt in jedem Fall seinem Gewissen. Das nenne ich Haltung und nicht die Hetze und die Ausgrenzung gegen politisch andersdenkende, konservative Bürger und Patrioten, die mit keinerlei Nachteilen verbunden ist, sondern mit Lobesgesängen von allen Seiten belohnt wird. Der Mann hat Charakter und wird aktiv, obwohl er damit karieremäßig sein eigenes Grab geschaufelt hat.  Hätten wir mehr solche Beamten würde es um unser Land nicht so schlecht bestellt sein, wie es seit Jahren ist.

Stefan Riedel / 11.05.2020

“...Der Mitarbeiter des BMI hat seine Privatmeinung und ggf. die Meinung anderer an dem Papier Beteiligter zusammengefasst und verbreitet….”. Privatsphäre, Privatmeinung, Grundrechte, Verantwortungsethik…? Genosse Erich Mielke würde sich auf die Schenkel klopfen. Corona immer, Freiheit nimmer!

W. Hoffmann / 11.05.2020

Niemand hat die Absicht, eine Diktatur zu errichten !!

Leo Hohensee / 11.05.2020

Hallo Herr Maxeiner, der ganze Vorgang ist unfassbar. Dieser Büroleiter Christoph Hübner ist entweder ein verantwortungsloser Ignorant oder ein aufgeblasener Unterbelichteter, der an seinen Posten keinesfalls durch “Fähigkeiten” gelangt sein kann. Dem Schreiber des „Corona-Papiers“ möchte ich einen herzlichen Gruß senden und mich für seinen Mut bedanken. Der Umgang mit Ihnen durch vorgesetzte Dienststellen und die Presse dokumentiert nur deren ruchlose und kaltschnäuzige Überheblichkeit! Da schwingen sich gewissenlose und inkompetente Leute auf zu Diktatoren über Wohl und Wehe der Bevölkerung. Ich hoffe sehr, dass andere Kollegen im Staatsdienst ebenfalls zum Schutz der Bevölkerung noch aktiv werden.

Bernd Schreller / 11.05.2020

@Wolfram Wothge Kinderpornografie auf dem PC oder anderes dieser Art funktioniert auch immer perfekt für die sheeple.

Gabriele Klein / 11.05.2020

Man sollte beides im Auge haben: A) eine inkompetente Regierung die Maßnahmen verhängt an die sie sich selbst nicht hält. Andrerseits aber auch die Frage nach der Spanischen Grippe.  Bis jetzt sah ich kein einziges Argument aus dem sich eine Entschärfung der Lage schließen lässt die WELTWEIT als kritisch eingeschätzt wird und zwar AUCH unabhängig der WHO der ich nicht traue .  Eine Schadensanalyse scheint mir erst am Ende möglich, und dass wir dies erreicht haben glaube ich nicht. Herr Frank verwendet nur statistisches Material und dem traue ich in einem autokratisch regierten Lande nicht. Der Lockdown sollte in der Tat beendet werden, die Frage ist das WIE.  Plötzlich überfüllte Züge, Massenrummel wie Achgut Autoren nebenbei bemerkten halte ich für verheerend.  Ich habe bis jetzt keine Antwort auf die Frage: Worin genau unterscheidet sich das Virus der Spanischen Grippe, das, wenn ich richtig lese, im “Reagenzglas” wieder auferstanden ist von dem COVID 19 Virus.  Ich meine jetzt in der Sprache der Virologen.  Hierzu würde ich mir eine genaue Gegenüberstellung beider Viren wünschen AUCH bildlich mit Erläuterung sämtlicher Teile und einer und nichts anderes. Und genau das bekomme ich nicht. Warum?  Ich habe mir ausländische Experten zu COVID angehört und man weiß leider viel zu wenig. Z.B. dies, ob und wann man erneut erkranken kann. Inwieweit eine Rückübertragung durch Haustiere möglich ist.. Also nochmals, nur mit statistischen Daten erhoben in einem unfreien Lande sollte man nicht das Ende einer Pandemie ausrufen die mir die gleiche Symptomatik zu haben scheint wie die Spanische Grippe die eine zweite fürchterliche Welle damals hatte.

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