Bereits Hippokrates erwähnte es, allen Medizinern ist es geläufig und auch so gut wie allen Nicht-Medizinern: Sogenannte Erkältungskrankheiten, also virale Infektionen der oberen Luftwege und in deren Gefolge nicht selten auch virale oder bakterielle Infektionen eine Etage tiefer – in Bronchien und Lunge – kommen bei uns in der kalten Jahreszeit deutlich häufiger vor als in der warmen. Und das gilt nicht nur für banale Erkältungen, sondern auch für die echte Grippe. Laut Robert-Koch-Institut wird als Grippesaison der Zeitraum bezeichnet, in dem die Influenzaviren hauptsächlich zirkulieren. Auf der nördlichen Halbkugel sei das zwischen Anfang Oktober und Mitte Mai der Fall, mit dem häufigsten Vorkommen typischerweise ab Januar für drei bis vier Monate.
Damit stellt sich die Frage, wieso in der aktuellen Diskussion um das Corona-Virus beziehungsweise um die beste Strategie zur Verzögerung seiner Ausbreitung die saisonale Abhängigkeit bisher keine erkennbare Rolle spielt. Damit soll nicht gesagt sein, dass wir nur bis Mitte Mai durchhalten müssen und sich dann das Problem, zumindest bis zum späten Herbst, von alleine erledigt hat. Aber zweifelsohne ist das gerade beginnende Frühjahr und die damit einhergehende fortschreitende Erwärmung ein sehr starker Verbündeter im Kampf gegen das Virus. Möglicherweise sogar stärker als einzelne der verschiedenen nicht-pharmakologischen Interventionen, die der ärztliche Kollege Gunter Frank kürzlich auf achgut.com kenntnisreich unter Berücksichtigung von ausgewählten Expertenmeinungen näher analysiert hat.
In der medizinischen Fachdiskussion ist es unstrittig, dass in den gemäßigten Breiten die Infektionshäufigkeit mit Erkältungs- und Grippeviren eng mit der Außentemperatur korreliert ist: Beispielsweise führte eine Abnahme der Lufttemperatur im Winter in Großbritannien pro Grad Celsius zu einer Zunahme von etwa 8.000 Toten, mindestens ein Drittel davon in Folge von Infektionen der Atemwege. Was den Kundigen nicht besonders verwundert, da kälteassoziierte Todesfälle gut 18-mal häufiger vorkommen als wärmeassoziierte. Fakten, die in der aufgeregten Diskussion um den Klimawandel aber nur ein Schattendasein führen, wenn sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen werden.
Wie verhält es sich mit der Infektionshäufigkeit in nicht-gemäßigten Klimazonen? Je näher die interessierende Region am Äquator liegt, desto geringer fallen bekanntlich die Temperaturunterschiede über das Jahr aus. Die Infektionshäufigkeit hängt dann zunehmend weniger von der Temperatur, sondern mehr von der Feuchtigkeit, etwa der Anzahl der Regentage pro Monat ab.
Erstaunlicherweise hat die Medizin bis heute nicht das Rätsel gelöst, worauf genau die saisonalen Schwankungen bei Viruserkrankungen der Luftwege zurückzuführen sind. Zwei Erklärungsansätze werden diskutiert, die sich eher gegenseitig ergänzen als ausschließen: Zum einen, dass in der kalten Jahreszeit die Menschen sich häufiger mit anderen drinnen, in zudem oft schlecht gelüfteten Räumen aufhalten. Zum anderen, dass durch niedrige Umgebungstemperaturen die Immunabwehr, zum Beispiel die lokale der Nasenschleimhäute, gemindert wird.
Fehlendes Interesse der Medizin
Nach Sichtung der entsprechenden Literatur kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Medizin seit einer umfassenden Übersicht zum Thema im Jahr 2007 dieses Problem aktiv meidet. Jedenfalls finden sich auf Google Scholar keine einschlägigen Arbeiten mehr, die sich mit den offenen Fragen zur Saisonalität von viralen Infektionskrankheiten der Luftwege und den zugrunde liegenden Mechanismen beschäftigen. Umso stärker wird dafür die Kehrseite des Problems thematisiert: potenziell ungünstige Auswirkungen von, klimawandelbedingt, wärmeren Umgebungstemperaturen. Dabei geht es zum Beispiel um in bestimmten Gewässern vorkommende und bei zunehmender Wärme besonders gut gedeihende Erreger oder übertragende Insekten, welche, so die weitgehend substanzlosen Schreckensszenarien, unsere Trinkwasserversorgung gefährden oder gar Tropenkrankheiten bei uns heimisch machen könnten.
Solche Forschung wird großzügig gefördert, ist zudem der Karriere dienlich und bedient darüber hinaus das Interesse der Medien. Dass aber vor allem niedrige Temperaturen schädigende oder gar tödliche Wirkungen auf den Menschen haben, während eine Erwärmung oder damit verbundene kürzere und mildere Winter ganz überwiegend positive gesundheitliche Auswirkungen zeitigen, ist mittlerweile schon fast jenseits des Sagbaren. Und damit leider auch die Frage, ob die Aufklärung der medizinischen Ursache für die temperaturabhängige pathologische Wirkung von bestimmten Viren nicht vielleicht auch die Entwicklung von vorbeugenden Therapien bahnen könnte.
Es lassen sich also tatsächlich bestimmte, indirekte Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Corona-Krise finden, wenngleich die gänzlich anders gelagert sind, als es das ZDF-Klimaorakel Harald Lesch zu insinuieren versucht.