Gastautor / 29.01.2022 / 10:00 / Foto: Bundesregierung/Denzel / 114 / Seite ausdrucken

Bunte Kränze, wie Torten auf einer Theke

Von David Serebryanik.

Ich sage es, wie es ist: Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als ich dieses Bild sah. Nun, trauen konnte ich ihnen schon. Ich dachte, so sind halt die Deutschen, die lecken mal wieder an der Wunde, die sie einem anderen Volk angetan haben. Ok. Kennen wir. Nix Neues. Dann aber schaute ich zum zweiten Mal auf das Bild und sah es zum ersten Mal richtig. So, wie es ist. In all seiner Widerlichkeit.

Da stehen draußen unter freiem Himmel fünf Politiker und eine -in, inmitten der Stelen des Holocaustmahnmals in Berlin, die unteren Gesichtshälften schwarz maskiert, es ist ja ein Trauertag, und blicken betroffen drein. Die bunten Kränze, jeder mit einer deutschen Fahne versehen, liegen vor ihnen, wie Torten auf einer Theke. Ein Kranz scheint sogar blau-weiß zu sein. Wie aufmerksam! Hat man ihn aus Israel eingeflogen?

„Was sagt uns dieses Bild?“, würde jetzt eine bebrillte, etwas säuerliche, aber sehr bemühte und ernsthafte deutsche Geschichtslehrerin fragen. Nun ja, würde ich antworten, dieses Bild sagt mir, dass die Regierung einen an der Klatsche hat. Das Bild sagt mir, dass es meine menschliche Vorstellungskraft übersteigt, wie diejenigen, denen diese sechs Damen und Herren gedenken, auf dieses Bild reagieren würden.

Menschen, die sich nicht entblöden, sich öffentlich zu entblößen

Wie würden meine Urgroßeltern reagieren, die in Odessa auf deutschen Befehl ermordet wurden? Würden sie staunen? Würden sie weinen? Würden sie lachen? Ja. Das ist am wahrscheinlichsten. Sie würden lachen. So hoffe ich zumindest. Sie würden lachen über diese sechs schwarz maskierten Menschen, die sich nicht entblöden, sich öffentlich zu entblößen. Ich höre das schallende Lachen meines Urgroßvaters, der übrigens eine hohe Meinung von den Deutschen hatte, bevor alles damals anfing.

Diese hohe Meinung kostete ihn und seine Familie das Leben. Er konnte es sich damals nicht vorstellen, dass diese gebildete und feinsinnige Nation fähig sein würde, ihn und seine Familie umzubringen. Das war sie doch. So hoffe ich, wenn es den gerechten Himmel gibt, dass jetzt dort ein schallendes Gelächter meiner Urgroßeltern zu hören ist, ein Gelächter, in welchem sich die Seelen aller Menschen vereinen, die gequält, gefoltert, erniedrigt und ermordet wurden.

Ich hoffe, dass sie dort, wo sie jetzt sein mögen, über die Deutschen, ihre Brutalität und Weichheit, ihre Naivität und ihren Zynismus, ihre Gutgläubigkeit und ihren Unglauben, ihre Ernsthaftigkeit und die aus alldem resultierende Komik lachen können. 

Oder, um wieder auf die Erde zurückzukommen und den Historiker Eberhard Jäckel – "Es gibt Länder, die uns um diesen Mahnmal beneiden" – zu paraphrasieren: Es gibt Menschen, die über uns lachen, wenn wir vor diesem Mahnmal stehen und so tun, als würden wir trauern.  

Ich habe mich in den vergangenen Jahren genug vor den Deutschen gefürchtet. Jetzt ist es an der Zeit, über sie zu lachen. Und dieses Bild hier gibt die beste Steilvorlage dazu. Danke!

Der Autor wurde 1982 in Taschkent, Usbekistan, geboren, kam 1999 als „Kontingentflüchtling" in die Bundesrepublik, hat Musik studiert und unterrichtet an der Kunst- und Musikakademie in Szczecin/Polen.. 

Foto: Bundesregierunge/Denzel

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Leserpost

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Franck Royale / 29.01.2022

Man beachte vor allem auch den baulichen Zustand der Stelen, insbesondere die massiven Risse im Beton - der größte endet im weißen Kranz von Mickey Levy. Symbolik? Vielleicht. Sicher ist: Anspruch und Wirklichkeit klaffen in Deutschland wieder weit auseinander. Über die Sicherheitsleute im Hintergrund wollen wir lieber erst gar nicht reden.

Tobias Kramer / 29.01.2022

Um es mal ganz provokativ zu schreiben: Ich vergleiche diese Masken schon lange mit den Armbinden mit bekanntem Muster aus zutiefst hässlichen Zeiten, als ein Erkennungsmerkmal für Regierungstreue, mitunter sogar mit Stolz getragen. Und wenn man das beim Betrachten des Bildes im Hinterkopf behält, dann mutet dieses Foto mit den halbschwarzen Gesichtern nicht mehr nur lächerlich sondern äußerst pervers an.

Martin Schott / 29.01.2022

Unvergessen Henryk M. Broder auf seiner “Deutschland-Safari” (mit Hamed Abdel-Samad), als er sich als lebende Stele verkleidet neben das Mahnmal stellte. Einem anderen Zweck als Kranzablage dient es ja nicht. Frei nach Broder: Deutschland hat kein Problem mit den toten, sondern den lebenden Juden. “Es würde ja albern aussehen, wenn jemand an mir einen Kranz ablegt.”

Heiko Stadler / 29.01.2022

Die neue immerwährende Ursünde ist der Holocaust. Die hohen Priester, die zur Buße aufrufen, sind die Kartellpolitiker. Das Priestergewand ist der Lappen im Gesicht. Das Weihwasser wird in den Arm gespritzt. Wer an all dem zweifelt, begeht Gotteslästerung und wird für immer gecancelt.

G. Jakobs / 29.01.2022

Künstliche Betroffenheit, eine exakte Bezeichnung der heuchlerischen polit-medialen deutschen Realität, die eine Kaste von schwurbelnden Realitäts- und Wissenschaftsleugnern widerspiegelt. Meine Verachtung ist diesen ätzenden Figuren gewiss…

Rolf Wächter / 29.01.2022

Herrn Höckes Worte zu diesem Mahnmal fanden und finden leider zu wenig Beachtung.

Frank Dom / 29.01.2022

Tiefenentspannt die Verbrechen für die eigene moralische Überhöhung instrumentalisiert; linker Schuldstolz, der ihre politische Rigidität bis zum Extremismus rechtfertigt. Gleichzeitig imunisiert gegen Kritik, aufgrund der moralisch verbrämten Nutzung des Tabus. Ein raffinierter politischer Schachzug; geprägt von sittlicher Verrohung und charakterlicher Armut. Erinnert auch an die Essensausgabe einer billigen Kantine, hier halt mit abgestandener Moralinsuppe, abgeschmeckt mit Vorwurf, Selbstgerechtigkeit und Traumata. Insgesamt ein Vorgang, der als Delegitimierung staatlicher Institutionen zu Werten ist.

Sabine Heinrich / 29.01.2022

...und kaum waren die Fotografen weg, haben sie sich die schwarzen Schnabeltüten von den Visagen gerissen, gelacht und -scherzt wie einst Laschet angesichts des Elends nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal. Wetten? - Hat eigentlich am 19.12.2021 in Berlin eine große offizielleTrauer- und Gedenkfeier anläßlich des fünften Jahrestages des Attentats vom Breitscheidplatz stattgefunden? OK - ich ziehe meine Frage zurück…

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