Silvia Meixner / 17.12.2011 / 12:58 / 0 / Seite ausdrucken

Bigottes Berlin

m Advent hat der Mensch gern Geschichten, die gut ausgehen: Eine alleinerziehende Mutter, die ein Radiosender mit einem Gänsemenü-Gutschein beglückt. Ein Obdachloser, der am 23. Dezember eine kleine Wohnung findet. Ein entlaufener Hund, der pünktlich zum Fest wieder zu seiner Familie zurückkehrt und die Geheimnisse seines Ausbrechens für sich behält. Aber das Leben ist böse, auch zur Weihnachtszeit. Dies ist eine traurige und seltsame und seltsam-traurige Adventsgeschichte ohne Happy-End: Martin Beer ist tot. Seit Monaten. Und kein Journalist, niemand seiner Widersacher, scheint es bemerkt zu haben. In einer globalen Welt, in einer großen Stadt wie Berlin, in der jeder Quatsch tagelang on- und offline bis zur Unerträglichkeit aufgebläht wird, ist der Tod dieses Mannes, der einst die Schlagzeilen bestimmte, auf seltsame Weise untergegangen.

Am 11. Mai fand in Berlin die Trauerfeier für ihn statt. Mehr als sieben Monate lang hat niemand darüber berichtet.

Martin Beer war dereinst Domprediger und geriet vor elf Jahren in die Schlagzeilen, als sein Arbeitgeber, die Evangelische Kirche der Union (EKU) ihn ziemlich allein am öffentlichen Pranger stehen ließ, nachdem Gerüchte um seine Homosexualität aufgekommen waren. Dazu kamen (nie bewiesene) Anschuldigungen, er wäre Stasi-Mitarbeiter gewesen und trinke gern einen über den Durst (ja, das war so, aber hat sich auch einmal jemand gefragt, warum das so sein könnte?). Martin Beer hielt damals eine wunderbare Abschiedsrede in seinem geliebten Berliner Dom, in der er sagte: „Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind.“ Er bekannte sich, unter zunehmend unerträglicher werdendem öffentlichem Druck zu seiner Homosexualität. Seine Widersacher hatten „gewonnen“. „Glückwunsch“ von meiner Seite, nachträglich. Begleitet von der Hoffnung, das es eines Tages für jene Mobber ein jüngstes Gericht geben wird. Und keine Ausreden wie auf Erden.

Danach wurde Martin Beer, mit dem sich Politiker und Unternehmer gern öffentlich schmückten, weil er so herrlich predigen konnte und weil es sich mit ihm so vorzüglich über Gott und die Welt reden ließ, kaltgestellt. Sein Arbeitsort wurde eine heruntergekommene Berliner Kirchengemeinde. Er hat sie liebevoll aufgemöbelt. Was sonst sollte einer wie er auch tun. Einer, der dort, wo Gott ihn hinstellte, eben seinen Dienst versah. Er hätte auch in Hinterindien oder Vorderchina aus Kuhfladen Gold gemacht. Zumindest hätte er es redlich versucht. Wie viele seiner bigotten Gegner können das von sich behaupten?
Zerrieben zwischen seiner Homosexualität und den diesbezüglichen traditionellen Hinterfotzigkeiten der Kirche, trank er, der einen guten Rotwein stets zu schätzen wusste, immer mehr. Ein Freund, der ihn kurz vor seinem Tod in einem Berliner Krankenhaus besuchte, erzählt von einem Bündel Mensch, das trotz vernichtender medizinischer Prognosen zuversichtlich blieb. Am Ende hat ihm die Hoffnung nichts gebracht.

Dompredigerin Petra Zimmermann sagte in ihrer Rede im vergangenen Mai: „Wie ein Mensch wahrgenommen wird, welche Spuren er bei anderen hinterlassen hat, welche Vermutungen er in ihnen geweckt hat, das sagt etwas über diesen Menschen aus. Etwas, nicht alles. Wir alle sehen immer nur einen Ausschnitt, eine Facette. Wir haben nur unseren Blick und der fängt nicht alles ein. Vielleicht nicht einmal das Wesentliche.“ So oder so ähnlich wird es wohl sein. Bei vielen Menschen (http://www.berlinerdom.de/component/option,com_docman/task,doc_view/gid,918/lang,de/). Seine letzte Ruhestätte fand der ehemalige Berliner Domprediger irgendwo in Sachsen. Seine Familie, so erzählen seine Freunde, wollten kein großes Begräbnis. Ihr war der Sohn mit all seinen Ecken und Kanten und seiner Homosexualität immer peinlich gewesen. Er hätte vielleicht gern auf Rügen, wo er vor der Wende als Pastor arbeitete, gern geruht. Ich finde, er hätte trotz seiner Fehler und Fehlbarkeiten (wer von uns hat sie nicht?) ein großes Begräbnis und ein Ehrengrab verdient. In Berlin. In Dom-Nähe. Dort, wo jene, die ihn unfair behandelten, vorübergehen müssen, am Sonntag, auf dem Weg in die Kirche.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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