Günter Ederer
Neulich in Mailand. Besuch in einer reichen Stadt. Die Straßen rund um den Dom voll von Menschen mit Einkaufstaschen aus den sündhaft teuren Modegeschäften, die sich in den Palästen schier endlos aneinanderreihen. Aus Jux haben wir in den Auslagen der Schuhgeschäfte nach einem Paar unter 400 Euro gesucht – vergeblich. Statt Dönerbuden und Currywurst-Ständen wie in Berlin – Imbissstände mit Hummersalat und Parmaschinken. Ohne Reservierung gibt es keinen Platz in den angesagten Tavernen.
Zurück in Deutschland springen mir die Hiobsbotschaften von der Euro-Front ins Auge. Und eine davon lautet in schöner Regelmäßigkeit: Reißt Italien mit seiner 120-prozentigen Staatsverschuldung den Euro in den Abgrund, oder schafft es der Technokrat Mario Monti durch eisernes Sparen, Italien vor dem Abgrund zu retten. Denn allen ist klar: Wenn Griechenland im Chaos versinkt, wird es teuer. Wenn aber Italien Kredite aus dem europäischen Rettungsschirm benötigt, ist der Super-GAU des europäischen Finanzsystems eingeleitet.
Die Eindrücke aus Mailand und die Nachrichten aus der Finanzwelt passen irgendwie nicht zusammen. Und doch entsprechen beide der Realität. Auf den Dauer-Konferenzen der EU-Regierungschefs wird aber immer nur eine Seite der Bilanzen der Volkswirtschaften betrachtet: diejenige, auf der die Schulden stehen. Die Guthaben der Nationen werden schamhaft ausgeblendet. Würden sie in die Finanzierungen der Euro-Rettung einbezogen, müssten ganz andere Entscheidungen getroffen werden.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, die das private Nettogeldvermögen der Euro-Staaten auflisten, Stand Ende 2010. Und da sieht die Reihenfolge der reichsten und ärmsten Europäer ganz anders aus. An erster Stelle stehen da die Belgier mit 204,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. An zweiter Stelle kommt schon Italien mit 175 Prozent. Platz drei nimmt Malta ein mit 174,7 Prozent. Platz vier die Niederlande mit 165,7 Prozent. Platz fünf Frankreich mit 141,8 Prozent, Platz sechs Zypern mit 134,4 Prozent. Endlich Deutschland auf Platz sieben mit 125,9 Prozent, dicht gefolgt von Portugal mit 123,6 Prozent. Ich habe noch niemanden getroffen, der von dieser Reihenfolge nicht überrascht war.
Zum selben Zeitpunkt waren die Belgier mit 96,8 Prozent ihres Bruttosozialproduktes verschuldet und die Italiener mit 119 Prozent. An diesen beiden Ländern lässt sich deutlich machen, warum der Euro so, wie er jetzt konstruiert ist, nicht funktioniert. Die jeweiligen Regierungen haben es vorgezogen, ihre Ausgabenprogramme mit Schulden zu finanzieren, statt sie durch Steuereinnahmen zu decken. Üppige Sozialleistungen für die Masse, der Verzicht auf eine effiziente Steuerverwaltung für die Reichen und Superreichen. Auf 120 Milliarden Euro Steuerausfälle jährlich wird die italienische Großzügigkeit gegenüber ihrer „Elite“ geschätzt.
Ohne Euro hätten die anderen Mitgliedsstaaten im Währungsverbund kein Recht und keinen Anlass, sich in die Steuerpolitik zum Beispiel Italiens oder Belgiens einzumischen. Es wäre ihr Problem, wie sie den kleinen Mann bestechen, damit er sich nicht über den Milliardenraub der Reichen beschwert. Aber mit dem Euro kann es uns nicht egal sein, wenn ein Staat darauf verzichtet, seine Ausgaben mit Steuern und Gebühren zu decken, sondern Schulden aufhäuft und die dann bei seinen Nachbarn erbettelt.
Und deshalb muss Schluss sein mit ESM, Eurobonds, Geldsegen der EZB. Die Staaten müssen das Geld erst einmal von ihren eigenen Bürgern abkassieren, von denen, die die Millionen und Milliarden gehortet haben – durch einen Lastenausgleich, durch Zwangsanleihen, durch eine transparente Steuergesetzgebung. Das trifft übrigens auch für Deutschland zu.
Griechenland ist damit nicht mehr zu helfen, aber die Italiener könnten ihre Schulden locker selbst bezahlen und wären danach immer noch reicher als die Deutschen – sie müssten also noch nicht einmal auf ihren Hummersalat in Mailand verzichten.
Zuerst erschienen in der FULDAER ZEITUNG