Berühmte Querdenker: Marie Curie

Aus dem Lebenslauf der Marie Curie habe ich gelernt, dass man nicht politisch sein muss, um die Verleumdungen der Geradeaus-Denker auf sich zu ziehen. Nichts erbittert die Dummen so sehr wie eine außergewöhnliche Leistung.

Über Marie Curie zu schreiben, habe ich mir zunächst nicht zugetraut. Weil ich von Kernphysik nur das weiß, was ich bis zum Abitur in der Schule gelernt habe. Und dann war sie mir, wie ich sie von Fotos kannte, immer ein bisschen unheimlich: eine Frau, blass, hager, nachlässig frisiert, im wenig anheimelnden Ambiente kahler Physiklabors. Dabei ahnte ich, dass etwas ganz Besonders, Einzigartiges um sie sein musste, eine zwingende Inspiration, eine ungeheuerliche Energie, dazu sehr viel Menschenliebe, wie sich im Ersten Weltkrieg zeigte, als sie mobile Röntgen-Labors einrichtete, um verletzten Soldaten an der Front zu helfen und dazu selbst Auto fahren lernte, 1916, als Professorin für Physik und zweifache Nobelpreisträgerin, im Alter von fünfzig Jahren.

Marie Sklodowska, die Tochter verarmter polnischer Kleinadliger, war 1891 als 24-Jährige nach Paris ausgewandert, weil Frauen in Polen zu dieser Zeit nicht an Universitäten studieren durften. Sie hatte sich bis dahin als Gouvernante durchgeschlagen, Geld gespart und in ihren freien Stunden naturwissenschaftliche Studien getrieben. Es gab dafür keinen praktischen oder merkantilen Grund, nur ihr Interesse und ihre Ahnung um die bisher verborgenen Eigenschaften bestimmter Substanzen. In ihrem Verhältnis zur Physik muss von Anfang an eine mystische Komponente im Spiel gewesen sein, sie schien die Fragwürdigkeit tradierter Kategorien wie „fest“ oder „kompakt“ zu spüren und vermutete in gewissen Elementen verborgene Bewegungen, Strahlungen und Schwingungen, die deren nüchterne Außenseite nicht offenbarte – ein Ansatz, der damals viel Befremden erregte. In Pierre Curie, den sie während des Studiums kennenlernte, fand sie einen Partner, der diese seltsamen Interessen teilte.

Das Paar verbrachte seine Tage gemeinsam im Labor – ihre Art von Glück. Marie Curie fand dann tatsächlich Strahlungen in festen Stoffen und wies sie im Laborversuch nach. Sie gilt als Entdeckerin der Radioaktivität, womit menschlichem Forschergeist, im Guten wie im Bösen, eine neue Dimension eröffnet wurde. Sie war der erste Mensch, der den Nobelpreis zweimal erhielt, 1903 für Physik (gemeinsam mit ihrem Mann Pierre) und 1911 für Chemie, nachdem sie die Elemente Polonium und Radium entdeckt hatte. Über ihre immensen wissenschaftlichen Leistungen könnte ich nur repetieren, was in jedem Lexikon steht. Was mich angesichts heutiger europäischer Zustände weit mehr interessiert, ist die systematische Verleumdung, der sie trotz (oder wegen) dieser Leistungen ausgesetzt war. Denn den zweiten Nobelpreis hätte sie fast nicht bekommen, weil sich im Komitee Bedenken gegen ihren Lebenswandel erhoben.

Das Damokles-Schwert der moralischen Ächtung

1906 war ihr Mann Pierre Curie an einem regnerischen Aprilmorgen in Paris von einem Pferdefuhrwerk überfahren worden, sie blieb, 38-jährig, mit zwei kleinen Kindern zurück und fiel in eine Jahre währende Depression. Ein Mensch von Marie Curies Charakterstärke hielt ihr Arbeitspensum aufrecht (oder umgekehrt: die Arbeit hielt sie aufrecht), dann traf sie – und wiederum im Physiklabor – ihren neuen Partner, den Kernphysiker Paul Langevin, einen Schüler ihres Mannes. Da Langevin zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet war, versuchte das Paar seine Beziehung geheim zu halten. Was nicht gelang. Die Briefe, die das Liebespaar gewechselt hatte, wurden aus der Wohnung entwendet und Madame Langevin verklagte ihren Mann wegen „Verkehrs mit einer Konkubine“. Journalisten wurden eingeweiht, über Marie Curie schwebte das Damokles-Schwert der moralischen Ächtung.

Erstaunlich ist die Unbeirrbarkeit, mit der Curie ihren Forschungen anhing. Einen Tag, bevor einige Pariser Zeitungen mit der Veröffentlichung von Details ihrer Beziehung zu Langevin einen Skandal auslösten und für Jahrzehnte ihren Ruf schädigten, nahm sie an der ersten Solvay-Konferenz zum Thema „Theorie der Strahlung und Quanten“ in Brüssel teil, ein berühmtes Foto zeigt sie sitzend am Tisch, hinter ihr stehen Rutherford, Einstein und ihr Liebhaber Langevin.

Die Solvay-Konferenzen, eine bis heute bestehende Institution, vereinen die bedeutendsten Physiker der Welt zu Gedankenaustausch und kreativer Diskussion. In Paris erschienen derweil Artikel in großen Zeitungen, in denen sie „eine Fremde, eine Intellektuelle, eine Emanze“ genannt wurde, damals im populären Urteil verächtliche Bezeichnungen. Der Journalist Téry sah in ihr „eine Ausländerin, die ein französisches Heim zerstörte“. (Ich zitiere aus der empfehlenswerten Biographie Marie Curie. A Life von Susan Quinn, New York, 1995, die sich auf bisher unbekannte Familienpapiere und Tagebücher der Physikerin beruft.) Curie musste die Wohnung wechseln, weil sie von Nachbarn auf der Straße beschimpft und bedroht wurde. Während der Jahre des Ersten Weltkriegs reiste sie unter falschem Namen (die Reisen dienten der Geldbeschaffung und Organisation ihrer Röntgen-Autos für verwundete Frontsoldaten).

Scheinbar als Opfer geeignet

Das Nobelpreiskomitee war stark im Zweifel, ob eine so übel beleumundete Person preiswürdig sei und unternahm eigene Recherchen über Curies Privatleben. Schließlich folgte man dem Drängen der führenden Fachwissenschaftler, darunter Einstein, ihr den Preis zuzuerkennen, empfahl jedoch zugleich, sie möge nicht an der Preisverleihung in Stockholm teilnehmen.

Im Zuge aufkommender Hysterie entdeckten Pariser Journalisten, dass die katholische Polin einen zweiten Vornamen trug, der alttestamentlich klang, Salomea, und schon stand der damals verheerende Vorwurf im Raum, sie sei eine heimliche Jüdin. Die Denkmuster der Inquisition waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa noch immer aktivierbar, besonders im aufgeklärten, republikanischen Frankreich, wie sich schon ein Jahrzehnt zuvor in der Affäre Dreyfus gezeigt hatte. Der zu unrecht verurteilte Offizier, Opfer eines antisemitischen Komplotts, war zwar 1906 vollständig rehabilitiert und zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden, doch der Judenhass blieb unversehrt bestehen. Die Pariser Zeitung L’Œuvre begann mit ernsthaften Untersuchungen über Marie Curies familiären Hintergrund und enthüllte am 20. Dezember 1911 triumphierend: „Ihr Vater ist in der Tat ein konvertierter Jude“.

Marie Curie schien als Opfer geeignet, denn sie war leichter zu verletzen als andere öffentliche Figuren. Einmal, weil sie eine Frau war. Zum anderen, weil bei allem, was sie tat, immer eine starke menschliche Komponente mitspielte. Diese Forscherin war kein kaltes Labor-Monster, ihr lag, anders als den mediokren Fernseh-Professoren vom Schlage Drosten, Lauterbach, Wieler et cetera, die Wissenschaft am Herzen, nicht die politische Macht, die sie in den Händen Unwürdiger darstellt. Aus dem Lebenslauf der Marie Curie habe ich gelernt, dass man nicht politisch sein muss, nicht einmal „weltanschaulich“ festgelegt, um sich böse Feinde zu machen und die Verleumdungen der Geradeaus-Denker auf sich zu ziehen. Nichts erbittert die Dummen so sehr wie eine außergewöhnliche Leistung.

Foto: Jmh2o - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Hartwig Hübner / 12.02.2022

Verehrte sybille@eden, ich stimme Ihnen zu, habe jedoch einen wichtigen logischen Einwand, dem Sie zustimmen müssen, in Ihrem eigenen Interesse. Das Wort “Inquisition” steht für “strenge, genaue Prüfung”. Genau das tun diese verkommenen Verleumder NICHT. Kein Verleumder tut das, denn die spielen ja mit der bewußten Lüge, infamen Täuschung # An der Inquisition war nichts falsch. Sie hat verhindert, daß die “heutigen” Verleumder damals die Macht übernehmen konnten, sehr kurz ausgedrückt. Neueste (echte, objektive) wissenschaftliche Literatur bestätigt das, of course. # Dank der strengen Prüfung (Inquisition) wurde Gerechtigkeit gesprochen und die Fehler der deutschen, schweizerischen Protestanten NICHT begangen. Die falschen Angriffe gegen die Inquisition, sollen nur von den protestantischen Verbrechen ablenken. Über die müss(t)en “wir” reden. # Der ungerechtfertigte Haß vieler Linken gegen die Inquisition kommt daher, daß sie es nicht geschafft haben, deren unsittliche Werte den anderen aufzuzwingen. # Heute gelingt denen das sehr einfach. # Denn, die Lügen gegen die Inquisition halten sich bis heute, aus Unwissenheit und weil die Verleumder von damals, viele bis heute zu täuschen wissen. Wer aber recherchiert, korrekt, der wird eines Besseren belehrt. Das ist echte Aufklärung. # Damals hätten unsere heutigen Verleumder keine Chance, dank der Inquisition. # Ansonsten teile ich Ihre Kritik voll und ganz. Wenn Sie aber das Wort Inquisition in diesem (Ihrem) Sinne weiter verwenden, laufen Sie den verkommenen linken Lügnern ins Netz und werden betrogen. # Auch ich bin bereits von Kriminellen erfolgreich verleumdet worden, in einem engen Privatkreis. Die Leute, die neutralen Zeugen sind dann überfordert und nicht bereit, sich von den Lügen zu trennen, auch wenn ich gegen alle gewonnen habe. # Verleumdung ist eine sehr üble, billige Waffe. Aber die echte Inquisition hat alle Schlachten gewonnen.

giesemann gerhard / 12.02.2022

@Johannes Sch.: In der Tat, das Hauptproblem ist, dass sich die Dummen für gescheit halten ... .

sybille eden / 12.02.2022

Erschreckend wie schon damals die Journaille sich als Inquisition verstand. und eiskalt Existenzen versuchte zu zerstören ! Da können wir ja eine gerade Linie zu den aktuellen Zuständen ziehen. Ich habe den Verdacht ,daß bei einem Teil der Vertreter dieses Berufszweiges eine kriminelle Energie mit der Sucht zur Zerstörung einhergeht. Ein psychiatrisches Krankheitsbild ?

Mathias Rudek / 12.02.2022

Ein schöner Text, lieber Noll, über eine berühmte Wissenschaftlerin mal aus einer anderen privaten Perspektive.

K. Schmid / 12.02.2022

Sehr geehrter Herr Noll, Ihre Texte bescheren mir immer wieder ein „Aha“ -Erlebnis.  Cancel Culture ist nicht neu. Am Rande-zum zweiten Male innerhalb kurzer Zeit lese ich Ihre ‚Berliner Scharade‘. Die historischen Fakten und Rückblicke sind von großem Wert für die Ost/West Zusammenhänge und das Verständnis dieses Landes. Die Parallelen zur Gegenwart verblüffen mich. Ich wünschte, ich hätte das Buch schon früher in die Finger bekommen. Aber es ist nie zu spät! Keiner kann behaupten, Sie hätten nicht gewarnt!

Gisela Rückert / 12.02.2022

Es ist so traurig, dass es immer schon so war. Eine beeindruckende und charakterstarke Frau. Wir habe nur krakelende Exemplare in den Parteien und jetzt auch in der Regierung

PALLA Manfred / 12.02.2022

+ + + > DUMMHEIT u n d STOLZ w a c h s e n GERN a u f e i n e m HOLZ <  -  altes SprichWort ;-)

Klaus Schmid Dr. / 12.02.2022

Danke. Und wenn ich jetzt Marie Curie mit ihrer Inkarnation Annalena Baebock vergleiche, einer Frau die sich für fähig hält und anschickt der Welt das weitere Schicksal vorzuschreiben, dann wird mir ganz schwindelig.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com