Adam Smith, der Moralphilosoph und Begründer der modernen Ökonomie, war ein gebildeter Mann. Das erklärt wohl auch, warum er sich zeitlebens eine Skepsis gegenüber dem Wissenschaftsbetrieb und akademischen Titel erhalten hat.
In Smiths Hauptwerk vom Wohlstand der Nationen findet sich zum Beispiel ein Abschnitt, in dem er sich über die Arbeitsmethoden an der Universität Oxford lustig macht. Nicht einmal mehr zum Schein hätten dort die meisten Professoren seit Jahren Vorträge gehalten (Buch 5, Kapitel 2).
Noch schöner ist jedoch die Passage eines Briefes, den Smith an den Mediziner William Cullen im Jahr 1774 schrieb:
„So wie es ist, werden Sie sagen, dass der Doktortitel demjenigen, dem er verliehen wird, Ansehen und Autorität verleiht; er erweitert seine Praxis und in der Folge sein Gebiet, auf dem er Schaden anrichten kann; es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass er seine Anmaßung steigert und in der Folge seine Neigung, Schaden anzurichten. [...] Dass Doktoren manchmal ebenso Dummköpfe sind wie andere Leute, ist heutzutage keines jener tiefen Geheimnisse mehr, welche nur Gelehrten bekannt sind.“
Zwar ging es in Smiths Schreiben in erster Linie um die medizinische Ausbildung von Studenten zu Doktoren, aber Smiths Warnung vor allzu großer Titelgläubigkeit ist durchaus auch in anderen Fachgebieten angebracht. Zumindest mache ich gerade diese Erfahrung. Und das hat zur Abwechslung einmal nichts mit Herrn zu Guttenberg zu tun.
Seit Monaten haben wir in unserem Think Tank Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter im Bereich Wirtschaftspolitik ausgeschrieben. Eigentlich suchten wir jemanden mit abgeschlossenem Ökonomiestudium und Interesse an wirtschaftspolitischen Fragen, der idealerweise auch noch für ein breiteres Publikum verständlich schreiben kann und zu unserer liberalen Ausrichtung passt.
Die zentrale Erkenntnis aus den bisherigen Bewerbungsgesprächen lässt sich so zusammenfassen, dass der Grad der formalen Qualifikation in der Regel negativ mit der Eignung für unsere Stellen und das wirkliche Leben korreliert.
Wir hatten tatsächlich einige Kandidaten, die nicht nur Wirtschaftswissenschaft studiert hatten, sondern dort auch noch promoviert waren. Zu Wirtschaftsexperten machte sie dies allerdings nicht.
Zu den Routinefragen in unseren Bewerbungsgesprächen gehört die Frage nach bedeutenden Ökonomen, die den Kandidaten besonders beeinflusst oder geprägt haben. Eigentlich sollte es kaum möglich sein, in Ökonomie zu promovieren, ohne sich zumindest ein paar fachliche Vorbilder zu suchen. Dachte ich jedenfalls.
Tatsächlich jedoch ernteten wir in den Bewerbungsgesprächen für gewöhnlich betretenes Schweigen bei der Frage nach bedeutenden Ökonomen. Eine Kandidatin erklärte gar „Mikroökonomie“ zu ihrem fachlichen Vorbild. Komisch, dass wir von den bahnbrechenden Forschungen von Professor Mikroökonomie noch nie etwas gehört hatten.
Auch die Frage, ob sich die Kandidaten einer gewissen ökonomischen Denkschule zugehörig fühlen bzw. ob sie sich überhaupt schon einmal mit der Geschichte ihres Faches beschäftigt hätten, endet für gewöhnlich im Nichts. Als wir einmal nachfragten, ob sich der Kandidat einer bestimmten wirtschaftspolitischen Philosophie verbunden fühlte, erhielten wir die Gegenfrage, was wir denn unter Philosophie verständen.
Ist schon die theoretische Seite des Faches eine Herausforderung für die meisten Kandidaten, so wird es praktisch nicht besser. Fragt man nach aktuellen Themen der wirtschaftspolitischen Diskussion, stößt man auf Unwissen. Eine Bewerberin versuchte sich damit herauszureden, sie sei gerade umgezogen und hätte seit einem Vierteljahr keine Nachrichten mehr gehört. Ein anderer Kandidat blockte jede Frage zur Wirtschaftspolitik damit ab, er habe ja gerade erst promoviert und daher noch keine Gelegenheit gehabt, sich eine politische Meinung zu bilden. Er sei jedoch „ideologisch flexibel“, ließ er uns wissen.
Versucht man zu ergründen, warum die Bewerber überhaupt Wirtschaft studiert haben, wird man noch mehr überrascht. Die entwaffnendste Antwort kam wohl von einer Kandidatin, die uns erklärte, eigentlich hätte sie Jura studieren wollen, sei von der Fakultät aber nicht angenommen worden. Die meisten anderen Kandidaten sagen, sie hätten etwas „Praktisches“ machen wollen, was wohl als Synonym für die Aussicht auf einen lukrativen Job zu verstehen ist, aber nicht unbedingt für brennenden Erkenntnisdrang spricht.
Schaut man sich dann die Dissertationen der Kandidaten an, dann werden die Defizite etwas verständlicher. Da geht es in langen Abhandlungen um theoretische Fragen und mathematische Modellierungen, die für gewöhnlich ohne jeden Realitätsbezug auskommen.
Es sind wissenschaftliche Glasperlenspiele, an deren Ende die Verleihung der Doktorwürde steht, aber kein praktischer Erkenntnisgewinn. Die mathematisch höchst anspruchsvolle Arbeit eines Kandidaten zum Beispiel kam zu dem Schluss, dass es in Gruppen oft Mitglieder gibt, die das Verhalten anderer Gruppenmitglieder beeinflussen. Wer hätte das gedacht?
Manchmal möchte man den promovierten Ökonomen, die doch angeblich ihre Gelehrtheit schwarz auf weiß nachweisen können (lat. doctus = gebildet, geschult, geschickt, gelehrt), empfehlen, doch einmal bei Adam Smith nachzulesen, auf dass sie ein besseres Gefühl und Verständnis für ihr Fach entwickelten.
Aber ich traue mich nicht. Ich fürchte die Gegenfrage: „Wer ist Adam Smith?“