Cora Stephan / 03.07.2015 / 14:14 / 2 / Seite ausdrucken

Auf nach Griechenland!

In der Stadt fragt man ja bekanntlich seinen persönlichen Taxifahrer, wenn man wissen will, was das Volk so denkt. Wir hier auf dem Land haben keine Taxifahrer, aber Paketboten, Landfrauen, Elektriker, Schoppentrinker und Installateure, die uns sagen können, woher der Wind weht.

Der jüngst erhobene Befund ist interessant. Die Griechen? Die spinnen, jedenfalls ihre Regierung, die jetzige und alle vorhergehenden. Raus mit ihnen aus dem Euro – und Deutschland selbst am liebsten gleich mit. Die Flüchtlinge? Völlig irre, die Politiker! Wie kann man 200 fremde junge Leute in einem 500-Seelendorf unterbringen wollen? Und sollen wir jetzt wirklich nicht mehr im Bikini im Garten liegen dürfen?

Wenn das einmal raus ist, geht’s ins Detail. Die Griechen? Furchtbar, wie sie unter ihrer Regierung zu leiden haben. Das kann man doch nicht zulassen! Die Flüchtlinge? Grauenhaft, die Toten im Mittelmeer! Nein, auf die syrische Familie in der Nachbarschaft lassen wir nichts kommen und unseren Kurden nimmt uns niemand!

So sind sie, die Landleute? Voller Doppelmoral? Und wo kämen wir hin, wenn jeder nur seinen persönlich bekannten Flüchtling haben wollte?
Genau - wir kämen zu den erfreulichen Seiten der Menschen: sie denken konkret, nicht abstrakt. Und die meisten von ihnen verfügen über eine Ressource, die kostbar ist: Mitleid. Umso schlimmer, wenn eben das, dieses kostbare Mitgefühl, ausgebeutet wird. Genau das geschieht derzeit.

Die politische Klasse verwechselt das Allgemeine mit dem Besonderen nicht etwa, weil sie beides nicht unterscheiden könnte. Sie pokert mit dem Mitgefühl, indem sie alles über einen Kamm schert. „Den Griechen helfen“ heißt nun schon seit Jahren, gutes Geld (der Steuerzahler) schlechtem hinterherzuwerfen. Das Geld ist irgendwo versickert, wo es in Griechenland schon seit Jahren, achwas: Jahrzehnten (Jahrhunderten?) den Bach runtergeht. Es hat Banken stabilisiert, einen korrupten Staat am Leben erhalten, eine unproduktive Masse von Staatsabhängigen alimentiert – und jene entmutigt, die dem Glauben anhängen, dass es darauf ankommt, mit produktiver Arbeit sein eigenes Leben in Unabhängigkeit zu gestalten.

In Griechenland fehlen die Grundlagen wirtschaftlichen Handelns, von der Sicherheit des Eigentums an Grund und Boden (bis heute gibt es kein Katasterwesen) bis hin zu funktionierenden Institutionen und unbestechlichen Behörden. Das ist den anderen Euroländern nicht erst seit heute bekannt. Und die Griechen wissen es schon lange, davon zeugt ihre Steuermoral: warum dem Staat freiwillig Geld geben, das in dunklen Kanälen auf Nimmerwiedersehen verschwindet?
Wir sollten es ähnlich sehen: Griechenland ist ein failed state und nicht ein einziger Euro wird daran etwas ändern, sofern das Land sich nicht von seine korrupten Eliten verabschiedet und die Grundlagen für wirtschaftliche Produktivität schafft.

What else is new, werden Sie fragen?

Eben. Nichts.

Und genau deshalb ist der Appell ans Mitleid hart arbeitender Steuerzahler in den anderen Euroländern verlogen. Der Geburtsfehler, der am Beginn des heutigen Chaos liegt, ist ja ebenfalls bekannt: Eine gemeinsame Währung funktioniert nur, wenn sich die Partner zumindestens in den Eckdaten ihrer Wirtschaftlichkeit gleichen. Das tun sie aber in Europa nicht, sie gleichen sich nicht, sie werden sich sobald nicht gleichen und der Euro, vor allem, ist der falsche Weg, sie zur Gleichheit zu zwingen. Nicht nur die EU, auch der Euro ist ein Elitenprojekt am Wissen und Wollen der europäischen Völker vorbei. Man braucht nicht lange darüber zu spekulieren, warum Staatsfrauen und -männer in diesen Dingen ungern ihr Volk befragen.

Europa hat das nicht verdient – übrigens auch nicht die Behauptung, ohne den Euro würden sich seine Bevölkerungen wieder gegenseitig den Kopf einschlagen. Vielmehr ist es der Euro, der den Streit erneut ins Spiel gebracht hat – einen Streit, der zu Europa seit je gehört und der erst nach den Blutbädern des 20. Jahrhunderts zum Stillstand kam. Seither hatten wir befriedete Nationalstaaten, die sich auf relativ reibungslose Weise miteinander verständigt haben. Die Differenz aber war immer da – und die Europäer haben sie nicht zuletzt als Touristen genossen: das französische Stilbewusstsein, den britischen Humor, das italienische Essen, das spanische Temperament und die deutsche Solidität (von der allerdings nur noch unsere hidden champions zeugen). 
Man verschone uns also mit Angstmacherei und man erpresse uns nicht mit unserem Bedürfnis nach Mitgefühl.

Den Griechen helfen: oh ja, aber mit Stil. Zur Demonstration deutscher Hilfsbereitschaft schlage ich ausgedehnte Reisen zu den griechischen Inseln, durch Thrakien oder die Peleponnes vor, Bargeld in den Taschen, stabile Währung, mit der man den Griechen ihre Gastfreundschaft vergilt. Ohne Quittung, selbstverständlich. Solche Hilfeleistung ist konkret, funktioniert von Mensch zu Mensch und wird sofort verstanden. Ich schwöre: das ist wahre Völkerverständigung! Und es mehrt das deutsche Ansehen weit mehr als das Bemühen unserer Kanzlerin, als Euroretterin ins Geschichtsbuch einzugehen.

Auf, ihr Deutschen, nach Griechenland!

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Christian Schulz / 04.07.2015

Auf nach Griechenland? Um mir dort zeigen zu lassen was für böse schlechte Menschen wir sind? Um mir dort zeigen zu lassen welch bösartiges Raubtier unser Staat ist? Um mir dort zeigen zu lassen wie sehr ich Griechenland ausbeute, den Menschen dort mit meinem Steuergeld schade? Um mir dort zeigen zu lassen welch hässliche Fratze der Deutsche hat? Jedenfalls auf den Plakaten der gewählten Regierung. Sorry, Spanien, Portugal und Italien sind einfach die freundlicheren Urlaubsländer. Ohne Hass und ohne failed State.

Frank Jankalert / 04.07.2015

Gefällt mir sehr gut, was Sie da schreiben, Frau Stephan. Ihr Text bedeutet aber auch implizit, dass die Deutschen sehr naiv sind und sich leicht ausnützen lassen - von Griechen, “Flüchtllingen” und den eigenen Politikern.

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