Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 16.02.2012 / 23:12 / 0 / Seite ausdrucken

Auf der Suche nach einem griechischen Helden

Noch mehr Gewalt auf den Straßen, noch mehr politische Anfeindungen im Parlament, noch mehr Sparmaßnahmen, die von der Staatengemeinschaft verlangt werden. Schon wieder ein Murmeltiertag für Griechenland, oder vielmehr – ganz im Sinne seiner Mythologie – die Erfahrung des Sisyphus. Griechenland muss ebenso wie der sagenhafte König den Preis für frühere Sünden zahlen. Und ebenso wie Sisyphus ist es in einer endlosen Wiederholung sinnloser und letztlich vergeblicher Aufgaben gefangen.

Sisyphus war gezwungen, einen Felsbrocken einen Hügel hinaufzuwuchten – der jedes Mal, kurz bevor er den Gipfel erreichte, wieder hinunterrollte. Die Griechen von heute hängen in einer ähnlichen Schleife fest. Sie sind zu gnadenlosen Sparmaßnahmen verdammt, ohne dass ein Ende in Sicht ist. Bevor jedoch die Ausgabenkürzungen überhaupt nur die Möglichkeit schaffen können, das Haushaltsdefizit zu verringern, geschweige denn die Schuldenlast des Landes, wälzt eine schrumpfende Wirtschaft Griechenlands Schulden- und Defizitbrocken wieder an den Ausgangspunkt zurück.

An diesem Punkt kommt die Troika aus EU, EZB und IWF ins Spiel (nicht nur Deutschland, wie viele Griechen vermuten). Die Experten schauen sich dann die Daten an und kommen zu dem Schluss, dass Griechenland nun wirklich mit seinen Budgetkürzungen Ernst machen muss.

Also werden neue Sparmaßnahmen beschlossen - und Athen erlebt fast bürgerkriegsähnliche Nächte, im Parlament werden erbitterte Debatten geführt und angesichts des drohenden Staatsbankrotts werden Haushaltskürzungen verabschiedet, Beamte entlassen und Steuern erhöht. Wobei das nicht einmal hilft, zumindest nicht kurzfristig – und so rollt Sisyphus’ Felsbrocken wieder den Hügel hinunter.

Die griechische Tragödie spielt sich inzwischen seit mehr als zwei Jahren ab, ohne Befreiung aus dem Teufelskreis von Defiziten, Kürzungen, wirtschaftlichem Niedergang und noch höheren Defiziten. Selbst der Plan der EU, Griechenland einen partiellen Schuldenausfall zu gewähren und dadurch eine Atempause zu ermöglichen, ändert nichts am Gesamtbild.

Es spielt kaum eine Rolle, ob Griechenlands Schulden auf eine Quote von 120 Prozent des BIP zurückgeführt werden können, was die EU bis 2020 zu erreichen hofft, oder ob sie noch über die derzeitige Marke von 160 Prozent hinaus steigen. Innerhalb der Eurozone kann Griechenland das Wirtschaftswachstum, das es zur langfristigen Lösung seiner Schuldenkrise braucht, nicht erzielen.

Die Wirtschaftswissenschaftler David Bencek und Henning Klodt vom Kieler Institut für Weltwirtschaft stellten kürzlich fest, dass trotz des vorgeschlagenen Schuldenabbaus auf 120 Prozent eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen in Griechenland nicht denkbar ist.* Sie führten ihre Analyse anhand des Konzepts des Primärüberschusses durch. Einfach ausgedrückt ist ein Primärüberschuss die Nettokreditaufnahme der Regierung (Defizit) oder die Nettodarlehensposition (Überschuss), berichtigt um den Schuldendienst.

Selbst wenn die griechische Wirtschaft aus dem Stand mit 4 Prozent jährlich wachsen würde (gegenwärtig schrumpft sie) und wenn die Zinsen für die Staatsschulden auf ein sehr viel niedrigeres Nivau zurückgehen würden (aktuelle stehen die Renditen zehnjähriger Anleihen bei 33 Prozent), würde Griechenland dauerhaft eine fiskalische Primärüberschussquote von 5,2 Prozent benötigen, um seine Schuldenhöhe auch nur zu stabilisieren (gegenwärtig weist das Land ein Primärdefizit aus). Übrigens geht diese Berechnung von einem Erfolg des EU-Schuldenabbauplans aus.

Wenn sogar ein solches „Goldlöckchen“-Szenario erhebliche Primärüberschüsse erfordert, kann man sich leicht vorstellen, was ein schlechter wirtschaftlicher Ausblick bedeuten würde. Bencek und Klodt haben auch das berechnet. Unter der Annahme, dass die Anleihezinsen hoch bleiben und das Wachstum nur zwei Prozent erreicht, läge die erforderliche Primärüberschussquote bei 14,8 Prozent des griechischen BIP. Allerdings kann sich sogar diese pessimistische Annahme von 2 Prozent Wachstum noch als zu optimistisch für die gebeutelte Wirtschaft erweisen.

In jedem Fall ist es praktisch unmöglich, dass Griechenland jemals in der Lage sein wird, die erforderlichen Primärüberschüsse zu erzielen - ob sie nun 5 oder 15 Prozent betragen. In der Geschichte der OECD konnte kein Land jemals länger als einige wenige Jahre solche Quoten aufrecht erhalten. Die hierzu benötigten Sparmaßnahmen sind so drastisch, dass sie nach einiger Zeit politisch nicht mehr durchsetzbar sein werden. Und doch verlangt die EU genau das von Griechenland.

Die Zahlen des Kieler Instituts können nicht widerlegt werden, da sie keine Prognose darstellen, sondern eine einfache Berechnung fiskalpolitischer Erfordernisse auf der Grundlage unterschiedlicher Annahmen. Wenn jedoch selbst die optimistischste dieser Berechnungen zu dem Ergebnis kommt, dass Griechenland nicht in der Lage ist, seine Schuldenlast zu tragen, dürfte klar sein, dass der derzeitige Fokus allein auf Sparmaßnahmen in die falsche Richtung geht.

Was also würde Griechenland helfen? Realistischerweise kann Griechenland nur gerettet werden, wenn zwei Faktoren zusammenkommen. Erstens muss Griechenland den Ausfall des größten Teils seiner Schulden erklären. Ein Ausfall in homöopathischen Dosen, den die EU offenbar momentan bevorzugt, wird nicht genügen. Zweitens braucht Griechenland, um seine verbleibende Schuldenlast bewältigen zu können, Wirtschaftswachstum und dies kann das Land nicht erzielen, wenn es zusammen mit Ländern wie Deutschland einer Währungsunion angehört. Auf lange Sicht muss Griechenland seine Produktivität erheblich steigern. Kurzfristig ist eine Abwertung seiner neuen Währung die beste Methode, seine externe Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das ist der Grund, warum Griechenland die Eurozone so bald wie möglich verlassen muss.

Eine Ausfall- und Abwertungs-Strategie ist der einzige realistische Weg für Griechenland, sich aus seiner verzweifelten Notlage zu befreien. Ohne diese beiden Maßnahmen wird das Land in den nächsten Jahren immer wieder den gleichen politischen Teufelskreis durchlaufen.

Um seiner aktuellen Misere zu entkommen, braucht Griechenland nicht noch mehr Sisyphusarbeit. Es braucht jemanden, der sich der Herkulesaufgabe stellt, das Land aus der Europäischen Währungsunion zu lösen.

‘In search of a Greek hero’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 15. Februar 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

* David Bencek und Henning Klodt, Fünf Prozent sind (zu) viel, Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Nr. 9/2011 (September 2011), http://wirtschaftsdienst.eu/archiv/jahr/2011/9/2629/.

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