Immo Sennewald, Gastautor / 12.03.2023 / 14:00 / Foto: Opsylac / 26 / Seite ausdrucken

„Soylent Green“: Eine Ökodystopie wird 50

Der Science-Fiction-Thriller „Soylent Green“ wird bald 50 Jahre alt. Wahrscheinlich gehört er zum favorisierten Genrekino grüner Aktivisten und Klimakleber. Dabei beruht seine Sprengkraft vor allem auf Szenen, die gesellschaftliche und politische Symptome heutigen Weltgeschehens vorwegnehmen.

Soylent Green“ kam im April 1973 in den USA in die Kinos, die deutsche Synchronfassung startete im Mai 1974 unter dem Titel „... Jahr 2022 ... die überleben wollen“. Der Film ist ein Thriller, mir gefällt er auch heute noch, weil Grundannahmen für sein Szenario der Zukunft der heutigen Realität ziemlich nahekommen. Kein Wunder: zerstörte Landschaften, verschmutzte Flüsse, Seen, Meere, Raubbau an Böden, Mangel an Rohstoffen, an Energie, an Wohnraum und qualitativ hochwertiger Nahrung sind mir seit der Kindheit vertraut. Was am Beginn des Movies sekundenschnell als historischer Zeitraffer von Fotos ländlicher und kleinstädtischer Idylle des 19. Jahrhunderts bis zu den Horrorvisionen industrieller Müllkippen rast, ist auch eine Reise meiner Lebensjahrzehnte.

Thüringer Wald und Erzgebirge verkahlten zusehends durchs Einwirken von Qualm, vor allem aus Braunkohlekraftwerken, auf Saale und Mulde bei Halle schwammen übelriechende Schaumteppiche, um Bitterfeld herum vergiften bis heute in Tagebau-Restlöchern Chemieabfälle den Untergrund und das Wasser: 200 Millionen Kubikmeter sind immer noch kontaminiert – so viel, wie in zwei, drei Talsperren passen. Die Glocke graubrauner Abgase über der Stadt Berlin in der Morgendämmerung ist unvergessen, das nach Chlor riechende Trinkwasser, das Leben in verrottenden Altbauten. Und dann sagt einer, der im New York des fiktionalen 2022 in einer engen Bruchbude haust, was ich aus Abrisshäusern meiner Jugend kenne: „Uns geht’s ja noch gut.“

Redlich sind nur Loser

Er ist der Held des Films, kein guter Mensch, sondern ein korrupter Bulle namens Robert Thorn. Charlton Heston spielt ihn; sein breites Grinsen macht ihn sympathisch. Er hat nicht die mindesten Skrupel, zu nehmen, was er kriegen kann, und dank seines Mitbewohners Sol Roth, eines gewieften alten Rechercheurs beim Aufklären schwerer Straftaten, gerät er an lohnende Fälle. Der Mord an einem hochrangigen Wirtschaftsboss mit direktem Draht zur Regierung verschafft beiden eine lukullische Mahlzeit mit frischem Gemüse und – als Höhepunkt – einem Stück echten Rindfleisch. Wie sie genüsslich die am Tatort gestohlenen Leckerbissen verschmausen, wässert einem den Mund. Mir fällt dazu der Spruch aus der sozialistischen Mangelwirtschaft ein: „Wenn jeder jedem was klaut, kommt keinem was weg.“

Szenen eines dysfunktionalen Staates, dessen „Diener“ korrupt und fast zu jeder kriminellen Tat bereit sind, wenn sie sich bereichern können – oder einfach nur überleben wollen – sind zweifellos die Stärke vieler realistischer Filme. „Soylent Green“ erhielt einige Preise, war ein Publikumserfolg und wird gerade wieder in Medien beachtet, weil er Gedanken des „menschengemachten Klimawandels“, verursacht durch übermäßige CO2-Emissionen und den Treibhaus-Effekt, ebenso aufgreift wie die Thesen des „Club of Rome“ von den „Grenzen des Wachstums“. Wahrscheinlich gehört er zum favorisierten Genrekino grüner Aktivisten und Klimakleber. Dabei beruht seine Sprengkraft vor allem auf Szenen, die gesellschaftliche und politische Symptome heutigen Weltgeschehens vorwegnehmen, und da er sie aus der Realität der 70er Jahre abzuleiten versteht, und ihr Eintreffen zwar nicht unmittelbar bevorsteht, aber deutlich wahrzunehmen ist, seien sie hervorgehoben:

Notstand schlägt Menschenwürde

New York 2022 ist im Film eine dramatisch überbevölkerte Stadt. Der Regisseur Richard Fleischer lässt in Treppenhäusern, auf Müllkippen und Autofriedhöfen vegetierende Menschen als graue Masse auftreten. Aus ihr rekrutieren sich Kriminelle – etwa der Mörder des von Joseph Cotton gespielten Industriellen Simonson. Einzige Impulse sind stummes, stumpfes Warten auf Lieferungen von Nahrung und spontane Rebellion, wenn sie ausbleiben. Der Staat hat eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, Bewaffnete kontrollieren sie. Es gib keine Fluchtwege.

Scharf abgegrenzt sind die „Gated Communities“ der Oberklasse: Die Führer von Wirtschaft und Staat genießen ein privilegiertes Leben inklusive eigener Dienstleister – die einzig erkennbare Form von „Mittelstand“. In Luxusappartements gehören Leibwächter und attraktive junge Frauen zur Ausstattung. Sie bezeichnen sich selbst als „Inventar“. Ohne Einspruch erheben zu können, werden sie von neuen Wohnungsinhabern übernommen, wenn sie gefallen.

Lebensmittel sind durch rot- und gelbgefärbte Surrogate ersetzt. Sie werden aus Soja („Soy“) und Linsen („Lentils“) produziert. Der einzige Fernsehkanal bewirbt als neues Produkt „Soylent Green“ aus Meeresplankton – wegen besseren Geschmacks ist es hoch begehrt, wird aber nur an Dienstagen verkauft, das Angebot reicht nie aus.

Der Megakonzern Soylent ist aufs engste mit dem Staat verflochten. Seine Produkte machen den Notstand beherrschbar, das Monopol garantiert den Profit. Nur völlig überlastete Kirchen leisten medizinische und soziale Betreuung. Bei einem Priester beichtet der Manager Simonson, was hinter dem grünen Kraftfutter steckt – er wird denunziert und erschlagen, der Priester erschossen.

In Bibliotheken treffen sich insgeheim wenige, die sich wie Sol Roth der Wahrheit verpflichtet fühlen. Sie sind als „Polizeibücher“ wichtige Informanten, agieren aber nicht nur im Staatsdienst. Sie bewahren historisches Wissen – Sol wird dafür immer wieder einmal von Thorn ausgelacht. Aber der Bücherwurm, gespielt von Edward G. Robinson, leitet den Freund auf die brisanteste Spur des Thrillers: zum „freiwilligen Entleiben“ von Menschen in einer automatisierten Fabrik, beschönigend „Einschläfern“ genannt. Dort werden grüne Kekse konfektioniert, nicht aus Plankton – die Meere sind abgeerntet.

Artikel zwei GG

Menschenfleisch zu essen, ist normalerweise ein Tabu. In einigen Religionen gab es gleichwohl rituellen Kannibalismus, um sich durch den Verzehr von Körperteilen eines getöteten Feindes dessen seelische und körperliche Kräfte „einzuverleiben“. Es mag bis heute mythische oder sexuelle Impulse, medizinischen Gebrauch oder lebensbedrohliche Notlagen geben, die dazu treiben – aber wer entschiede freiwillig, sich vom Leib eines Artgenossen zu ernähren? Thorns verzweifelter Schrei: „Soylent Green is people!“ wirkt bis heute.

Aber ist nicht ebenso schockierend, dass eine große Zahl von Leuten im Film freiwillig den Weg zum menschenfressenden Kekskombinat geht? Artikel zwei des deutschen Grundgesetzes schützt ausdrücklich Leben und körperliche Unversehrtheit, wenn er auch dem Einzelnen die Entscheidung zum Freitod vorbehält, neuerdings sogar erlaubt, sich dabei der Hilfe von Dritten zu bedienen. Wäre ein Staat vorstellbar, der sich seiner Alten, Kranken, Behinderten, Lebensmüden entledigt, indem er sie zu einem letzten Festmahl mit echten Lebensmitteln lädt, sie wie im Film zur Wunschmusik eine intakte Natur mit Pflanzen und Tieren erschauen lässt, ihnen verspricht, sie in ehrendem Gedenken schmerzlos einzuschläfern und damit – im Interesse der Allgemeinheit – Übervölkerung, Überalterung, Überlastung von Sozialsystemen zu vermindern?

Es gibt durchaus Überlegungen in diese Richtung. Wenn das Geschehen um Corona uns etwas gelehrt hat, dann ist es die beklemmende Einsicht, wie leicht große Teile der Bevölkerung sich manipulieren lassen. Die Dauerpropaganda für die „Impfungen“, das „Infektionsschutzgesetz“, mit dem sich Grundrechte umgehen oder außer Kraft setzen ließen, das Agieren von Staat und Medien gegen Proteste, mit dem Ziel zu spalten, die Hetze gegen kritische Meinungsäußerungen, Drohungen mit beruflichen Nachteilen bis zum Rauswurf oder Firmenboykott, mit Sonderbelastungen durch die gesetzlichen Krankenversicherer ... Nichts erinnert stärker an die allumfassende wechselseitige Interaktion von Regierung und Mega-Konzern in der düsteren Vision aus dem Jahr 1973.

Die Aussicht auf eine neue „industrielle Revolution“ durch die Indienstnahme des menschlichen Körpers selbst zur Produktion etwa von Antikörpern mittels Triggerreaktionen, wie sie die Spike-Proteine der modRNA-Medikation auslösen sollten, sind alles andere als erheiternd. Was bislang über Risiken und Nebenwirkungen bekannt ist, deutet eher auf ein neues, mehr oder weniger globales Menschenexperiment hin. Was bewerten Politik und Wirtschaft höher? Das Recht auf Unversehrtheit des Leibes oder die „freiwillige“ Entscheidung fürs Risiko, sich selbst zu entleiben?

Körper geimpft – Seele kollektiviert?

Im Laufe der vergangenen 50 Jahre sind die Informationskriege heftiger geworden, Methoden der Überwachung und Manipulation – nicht nur in China – immer rigider. Konformität breitet sich in Bildung und Wissenschaft ebenso aus wie in Justiz und Medien. Die Digitalisierung verschärft gefährliche Tendenzen. Aber – das ist das Erfreuliche gegenüber „Soylent Green“ – Zweifel und Kritik an „Wissenschaft im Konsens“, an Menschen-Experimenten, an bevormundenden Medien und selbstgefälligen Politikern lassen sich nicht abschaffen.

Noch hat einer die Wahl zwischen Lebensmittel und Surrogat à la „Fleischersatz“, zwischen Waldspaziergang und Glotze, zwischen Qualität und Quote, zwischen selbstbestimmtem Leben und Funktionieren im Kollektiv. „Ungeimpft“ – aus guten, wissenschaftlich haltbaren Gründen – und nicht zu indoktrinieren mit kollektivistischen Heilslehren, genieße ich, was Mangelwirtschaft im Sozialismus mir vorenthielt. Ob ich trotzdem irgendwann zu grünen Keksen verarbeitet werde, kümmert mich nicht. Womöglich schmecken diese Kekse den Leuten so wenig wie meine Texte grünen, gelben, roten Parteigängern.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Der Sandwirt“.

 

Immo Sennewald ist ein deutscher Theaterregisseur, Schauspieler, Autor von Fernsehproduktionen, Schriftsteller und freier Publizist. Er ist im Thüringer Wald geboren und aufgewachsen, stieg nach Studium und zwei Jahren Arbeit als Physiker in Berlin um, studierte Schauspielregie, geriet bis zum Berufsverbot nicht nur am Theater fortwährend mit SED und Stasi aneinander, erlangte kurz vorm Mauerfall die Freiheit. Heute lebt er in Baden-Baden.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Rollo Tomasi / 12.03.2023

Joseph Cotton ( Simonson ) : Citizen Kane , 1941 ; Shadow of a Doubt, 1943 ; Gaslight, 1944 ; The Third Man ,1949 ; Niagara , 1953 . James Cagney :  The Public Enemy ,1931 ; Angels with Dirty Faces, 1938 ; The Roaring Twenties “1939” !!! ;  Each Dawn I Die, 1939 ; White Heat, 1949 . - Sincerely , Sol Roth

A. Ostrovsky / 12.03.2023

Haha, mit fünfzig, wird man da nicht arbeitslos? Oder war das das “veraltete Wissen” der Boomer? Nieder mit der Demenz!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Immo Sennewald, Gastautor / 29.01.2023 / 14:00 / 4

Der Affenkönig und die Kommunistin

1959 bekam ich als Kind eine DDR-Ausgabe einer Sammlung chinesischer Märchen geschenkt, die mich begeisterte. Damals wurden sie im Nachwort maoistisch geframt, doch die unerschütterliche…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com