Von Ansgar Neuhof.
Der Kammerzwang für Unternehmer ist wie der 1. Mai als staatlicher Feiertag eine dieser „Errungenschaften“, die zwar nicht von Nationalsozialisten erfunden worden sind, denen sie aber zum Durchbruch verholfen haben. So gab schon vor 1933 in Teilen Deutschlands die zwangsweise Mitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, deutschlandweit erfolgte die Einführung aber erst durch die Nationalsozialisten. Und auch zum Beispiel die überregionalen Reichsrechtsanwalts- und Reichsärztekammern wurden erst durch diese eingeführt.
Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Rechtsanwaltskammern, Steuerberaterkammern, Ärztekammern, Apothekerkammern und so weiter: allen diesen Organisationen ist gemeinsam, daß die Mitgliedschaft nicht auf Freiwilligkeit beruht, sondern auf Zwang. Niemand, der den entsprechenden Beruf ausübt, kann sich der Mitgliedschaft entziehen. Nicht anders als beim Rundfunkbeitrag (vormals GEZ).
Widerstand gegen Zwangsmitgliedschaften wächst
Und wie immer ist mit diesen Zwangsmitgliedschaften ein Zwangsbeitrag verbunden, der den Mitgliedern abgenötigt wird, egal ob sie die Leistungen der Kammern in Anspruch nehmen oder überhaupt für sinnvoll erachten. Immer mehr Mitglieder äußern mittlerweile Kritik an kostenträchtigen, überdimensionierten Verwaltungsapparaten, hohen Vermögensbildungen auf Kammerebene, an der politischen Betätigung der Kammervorstände und unnützen Leistungen der Kammern. Inzwischen hat sich einiger Widerstand gegen diese Zwangsmitgliedschaften formiert. Verfassungsbeschwerden laufen (wobei aufgrund der Gerichtsbesetzung ein Erfolg eher unwahrscheinlich erscheint). Und in Hamburg beispielsweise haben sich die IHK-Gegner organisiert und bei der gerade durchgeführten Kammerwahl im Februar 2017 das alte IHK-Establishment zum Teufel gejagt; die IHK-Gegner haben jetzt 55 von 58 Sitzen bei der Kammer-Vollversammlung inne. In anderen Kammerbezirken und Berufsgruppen ist man - noch - nicht so weit, auch nicht bei den Rechtsanwälten.
Über Sinn und Unsinn solcher Kammern mag man streiten. Natürlich wird immer wieder darauf hingewiesen, daß gewisse gesetzliche Pflichtaufgaben zu erfüllen seien. Selbst wenn man dies einmal so hinnimmt (dies eingehend zu erörtern, würde hier zu weit führen), übernehmen die Kammern doch weit mehr Aufgaben als ihnen zugewiesen sind, beschränken sich eben nicht auf ihre Kernaufgaben.
Kammern als Plattform für politische Propaganda
Sicher nicht zu den Kernaufgaben gehört etwa die Herausgabe von Zeitschriften. So vertreibt zum Beispiel die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) eine zweimonatlich erscheinende Zeitschrift namens BRAK-Mitteilungen, der noch ein weiteres kleines Blättchen mit dem Titel BRAK-Magazin beiliegt. Beide Blätter werden an Rechtsanwälte „kostenlos“ übersandt, sind aber natürlich durch die Kammerbeiträge von allen Anwälten zwangsfinanziert. Angesichts zahlreicher juristischer Zeitschriften und des Internets eine überflüssige Angelegenheit. Der Vorteil für die Macher dieser Zeitschriften: sie müssen sich nicht dem Wettbewerb stellen (wären ihre Inhalte gut und sinnvoll, würden sich sicher genug Leser finden, die die Zeitschriften gegen Entgelt beziehen würden) und können zugleich ihre persönliche Ideologie unter die Leute bringen, ohne daß ihnen die Einnahmen wegbrechen.
Jüngstes Beispiel für solche Politpropaganda auf Kosten der Zwangsmitglieder ist die aktuelle Ausgabe 01/2017 des BRAK-Magazins. Darin (S. 14) hat die für beide Blätter hauptverantwortliche Redakteurin und Mit-Geschäftsführerin der BRAK, eine Rechtsanwältin, einen eigenen Beitrag über die Einkommensunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Rechtsanwälten veröffentlicht. Laut einer Erhebung des Instituts für Freie Berufe auf Basis von Daten für 2013 verdienten im Angestelltenverhältnis tätige, vollzeitbeschäftigte weibliche Anwälte im bundesweiten Mittel jährlich 60.000 € brutto, ihre männlichen Kollegen 70.000 €. Bei den selbständigen Anwälten verdienten Frauen 43.000 €, Männer 80.000 € im Jahr.
Gehaltsunterschiede wegen ominöser Geschlechterdifferenz?
Die Autorin des Beitrags benennt sodann eine Reihe von Faktoren, die die Einkommenshöhe zum Teil erheblich beeinflussen (wie zum Beispiel Kanzleigröße, Alter der Kanzlei oder Spezialisierung auf bestimmte Fachgebiete). Und sie verweist darauf, daß Frauen sich häufiger auf „typisch weibliche“ Rechtsgebiete wie Familien- und Sozialrecht spezialisieren, in denen geringere Honorare erzielt würden, daß zudem sehr viel mehr männliche als weibliche Anwälte selbständig seien und/oder mehr als 40 oder 50 Stunden pro Woche arbeiten. Männliche Anwälte arbeiten also mehr und spezialisieren sich auf besser honorierte Rechtsgebiete und sind schon historisch bedingt öfter in alt eingesessenen Kanzleien (mit ohnehin höheren Verdiensten) tätig.
Trotz dieser Fakten behauptet die BRAK-Autorin sodann ins ideologische Blaue hinein, daß sich durch die geschilderten Umstände nicht alle geschlechtsspezifischen Unterschiede erklären ließen, sondern eine „deutliche Lücke klaffe, die sich letztlich nur auf Geschlechterdifferenz zurückführen“ lasse. Für diese ihre faktenfreie Behauptung bringt sie allerdings kein Argument, keinen Beleg, keinen statistischen Nachweis. Eigene Erhebungen hat sie auch nicht durchgeführt. Die These der Autorin ist schlüssig nicht herleitbar.
Der Markt entscheidet
Ausgehend von dieser nicht plausiblen Annahme richtet die BRAK-Autorin einen Appell an die Anwaltschaft: ihr „stünde es gut zu Gesicht, auch das weibliche Drittel ihrer Angehörigen gleichwertig zu honorieren“. Auch hier wieder die durch nichts belegte Unterstellung, daß dies nicht geschehe. Dabei sollte doch vor allem ein Punkt der Autorin zu denken geben: Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen ist bei den selbständigen Anwälten weit höher als bei den angestellten Anwälten. Und nicht nur das: weibliche Anwälte verdienen zudem als Selbständige deutlich weniger als als Angestellte. Bei den Männern ist es hingegen genau andersherum.
Man muß hier also sicher nicht so etwas wie eine männerbündische Verschwörung in der Anwaltschaft am Werk sehen, aufgrund derer weibliche Anwälte zu gering honoriert würden. Vielmehr liegt es an den weiblichen Anwälten selbst. Sie sind es, die vor allem in selbständiger Tätigkeit weit unterdurchschnittlich „performen“. Sie erhalten von den Mandanten, also den Bürgern, weniger Honorar, weil sie (immer im Durchschnitt) weniger im Beruf arbeiten (das ist ihr gutes Recht und hat gute Gründe) und in weniger gut bezahlten Bereichen tätig sind: dafür trägt nicht die Anwaltschaft die Verantwortung, sondern der einzelne Marktteilnehmer, also die jeweilige Anwältin.
Banaler Ratschlag an Anwaltskolleginnen
Der Beitrag im BRAK-Magazin endet mit dem Rat der Autorin an ihre weiblichen Anwalts-Kollegen, „selbstbewußter Umsatzbeteiligungen, Gehälter und Stundenhonorare auszuhandeln“. Wer ernsthaft meint, einen solchen - banalen - Ratschlag an erwachsene Menschen (noch dazu mit Studium und zwei Staatsexamen) erteilen zu müssen, der kann von seinen Kolleginnen wohl nicht allzu viel halten. Indes ist unklar, ob die Autorin des BRAK-Beitrags im Anwaltsberuf mehr oder weniger als ihre männlichen Kollegen verdient. Sollte es weniger sein, könnte dies durchaus nicht-geschlechtsspezifische Gründe haben. Und die Bundesrechtsanwaltskammer als Herausgeber der BRAK-Zeitschriften sollte vielleicht darüber nachdenken, eine Redakteurs-Stelle neu auszuschreiben. Oder im Kosteninteresse am besten ganz auf diesen Posten mitsamt der zwangsfinanzierten Zeitschriften zu verzichten.
Ansgar Neuhof ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit eigener Kanzlei in Berlin