Quentin Quencher, Jahrgang 1960, siedelte als junger Mann aus Sachsen und der damals noch existierenden DDR in den deutschen Südwesten über, wanderte von vorübergehend dort auf die Philippinen aus, lebte dort auf den südöstlichen Visayas, der mittleren Inselgruppe des Archipels, verheiratete sich dort, erzieht, mittlerweile wieder ansässig in württembergischen Wolfschlugen, fünf Kinder, und in der Zeit, die ihm als Vater und Hausmann bleibt, produziert er einen stetigen Strom von Texten, die kein Revier kennen. Quentin Quencher, der in Wirklichkeit nicht so heißt, schreibt über Ökologismus, deutsche Mentalitätsvorräte, Männer- , Frauen und -Familienbilder, Spieltheorie, Klimawandel und die Dumpfgebiete des deutschen Fernsehens, um nur eine Auswahl zu nennen. „Dazugehört habe ich nirgends“, schrieb er einmal – weder in Sachsen noch in Baden-Württemberg noch auf den Visayas. Nichtzugehörigkeit schärft den Blick. Er zeigt ganz nebenbei, was Weltoffenheit bedeutet: Nämlich, räumlich und intellektuell ein wenig herumgekommen zu sein.
Die Früchte dieser in ziemlich unüblichen Wanderungen breitet der Autor- ein Autor im Sinn der Urbedeutung Auctor, nämlich Mehrer, Erweiterer - auf 280 Seiten aus: „Deutschland in der Pubertät“ versammelt Betrachtungen, die nahezu samt und sonders die Erwartung der Leser unterlaufen und vermutlich auch meist übertreffen.
Als Schreiber nähert sich Quentin Quencher seinem Gegenstand ähnlich wie ein Spezialkommandokämpfer: er sucht immer den überraschend Zugang. Den Zulauf zu den Pegida-Demonstrationen in Sachsen beispielsweise erklärt er nicht aus der DDR-Geschichte oder aus der in der Qualitätspresse üblicherweise vermuteten sächsischen Dumpfheit, sondern aus dem tief eingewurzelten Misstrauen gegen die Obrigkeit, „an deren Weisheit permanent gezweifelt wurde“, mindestens schon seit dem teuren und wenig nachhaltigen Streben August des Starken nach der polnischen Königskrone.
Wie sehr es sich bei der westlichen Klimabesorgnis um eine Ideenwelt der Besserverdienenden handelt, erzählt Quentin Quencher an ehemaligen Nachbarn auf den Philippinen, die sich nicht um den steigenden Meeresspiegel sorgen (daran kann man sich anpassen), sondern darum, wo die Kinder zur Feier eines besonderen Tages, nämlich einer Brautwerbung, ausnahmsweise Schuhe herbekommen. Denn die stellen das Besondere dar: „Den sozialen Status konnte man an den Schuhen der Kinder sehen, wer es sich leisten konnte, schickte seine Kinder mit richtigen Schuhen in die Schule. Dafür langte es bei Malot nie.“
„Es geht nämlich beides, Concita zu mögen und für die klassische Familie einzutreten"
Der Debatte über Gender und Geschlechtervarianten nähert er sich auf dem Weg einer Mikroerzählung: Mit seiner Frau sieht er eine Sendung mit der Sängerin Conchita Wurst und möchte eigentlich wegschalten, weil ihn die obligatorische Toleranzbelehrung nervt. Seine Frau wiederum erinnert sich beim Anblick des bärtig-femininen Wesens an die Bayots auf den Philippinen, Transsexuellen, die dort als Performer, Musiker und Tänzer Ansehen genießen, und sie möchte unbedingt wissen, wie diese Bayots in Mitteleuropa leben. Ein/eine Bayot hatte sie nämlich hochartifiziell für ihre Hochzeit mit Quentin geschminkt. Der wünscht sich, angesichts der dreifachen Fusion of Civilizations, eine Entpolitisierung der Phänomene: „Es geht nämlich beides, Concita zu mögen und für die klassische Familie einzutreten. So ist das millionenfach in diesem Land.“
Um wiederum das linke Grundmisstrauen gegen die Familie zu illustrieren, blendet Quencher auf Billy Wilders West-Ost-Komödie „Eins, Zwei, Drei“ zurück, in der der stramme Ostberliner Kommunist Otto Ludwig Pfiffl schon einmal den Weg des Kindes skizziert, das er mit der Kapitalistentochter Scarlett produziert hat: „Der Staat sorgt doch für alles, was nötig ist! Im Alter von sechs Monaten wird das Baby dann ins volkseigene Kinderheim übergeben. Natürlich können wir es dort immer besuchen, jeden zweiten Sonntag.“
Und über die AfD schreibt er, indem er einfach die Perspektive eines Besuchers einer Parteiversammlung einnimmt und nur berichtet, auch von der gewalttätigen Antifa-Truppe, die den Versammlungsort einkreist und die Teilnehmer schließlich dazu zwingt, sich über den Hinterausgang davonzuschleichen. Deutschland erscheint in diesem Text als obergäriges, politisch pubertierendes und bisweilen erstaunlich hysterisches Land. Jemand, der aus Erfahrung weiß, dass Rede- und Versammlungsfreiheit nicht selbstverständlich sind, blickt eben anders auf den so genannten Kampf gegen Rechts. Das Gegenteil von Demokratie, findet er am Ende der Schilderung, müsse eben nicht zwangsläufig Diktatur sein. Die Freiheit erodiert schon, wenn Polizisten sich weigern, eine Versammlung zu beschützen.
Mit Wertungen hält er sich fast überall zurück, weshalb die Sätze, in denen er doch Schlüsse zieht, um so besser im Gedächtnis bleiben. In jedem der kurz gehaltenen und zwischen Erzählung und Essay mäandernden Texte lernt der Leser dazu, ohne belehrt zu werden. Das ist das Ideal der Weltoffenheit – und, wie Quentin Quenchers Biografie, untypisch für Deutschland. Das Land wäre vermutlich erwachsener, gäbe es mehr Bürger wie ihn.
Quentin Quencher „Deutschland in der Pubertät. Reflexionen des Entwicklungszustandes eines Landes“ Verlag BoD Norderstedt 279 Seiten 22 Euro (E-Book 7,99 Euro)
Von Alexander Wendt erschien zuletzt „Du Miststück. Meine Depression und ich“ (S.Fischer)