Seit einiger Zeit arbeite ich nebenberuflich im härtesten Job, der in Deutschland zu vergeben ist, nämlich dem des Satirikers. Und das auch noch gratis. Meine bevorzugte Technik besteht darin, Politikern Sätze in den Mund zu legen, die das, was sie tatsächlich sagen, nur um eine Schraubenüberdrehung übertreffen. Zugegeben, die amerikanische Komikerin Sarah Silvermann tut das unendlich besser als ich. Aber sie lebt ja auch davon.
Vor kurzem schrieb ich auf Facebook, wie Angela Merkel neuerdings Senioren nennt: „Die nicht mehr lange hier leben“. Die Leser meiner wachsenden Facebook-Community hatten offensichtlich Spaß daran. Ein Gast allerdings nicht: Ruprecht Polenz, Ex-CDU-Generalsekretär und neuerdings Streifengänger im Internet.
„Beleg?“, blaffte er mich an.
Ich antwortete ihm, dass es sich bei meinem Post um Satire handelte, um uneigentliches Sprechen, ähnlich wie seinerzeit bei Ulbricht-Witzen, und schob noch die Frage nach, ob er tatsächlich mal CDU-General gewesen war, das komme mir angesichts seiner Begriffsstutzigkeit nämlich postfaktisch vor. Da klappte Polenz gewissermaßen einen virtuellen Ausweis auf: Er arbeite jetzt für eine Initiative gegen Falschmeldungen im Netz. Und er sei sicherlich nicht der Einzige, der meinen Merkel-Satz anders verstehe. Außerdem sei ich ihm als Satiriker nicht aufgefallen.
Sie mir als Generalsekretär auch nicht, war ich versucht zu schreiben, ließ es dann aber. Ich wollte zumindest in diesem Moment nicht zu sehr auf einen Mann einschlagen, der sich im Ruhestand als Belegsammler noch ein bisschen Aufmerksamkeit dazuverdienen muss.
So viele Leute, erklärte mir Polenz, legten Merkel neuerdings Sätze in den Mund, die sie nie gesagt habe. Ja, dachte ich, etwa den Rat an diejenigen, die schon länger hier sind, öfter in einem arabischen Land Urlaub zu machen. Oder den Islamismus mit Blockflötenspiel zu bekämpfen. Halt quatsch, das hatte sie ja tatsächlich gesagt. In Zeiten wie diesen wird man ja „ganz halal im Kopf“ (Archi Bechlenberg).
"Genosse Ulbricht, Sie stehen vor dem Spiegel"
Alles in allem zeigt Polenz’ Außendiensteinsatz aber, dass es uns in Wirklichkeit gold geht. Legte früher jemand Walter Ulbricht etwas in den Mund, etwa:
Ulbricht besucht mit großem Gefolge die DDR-Kunstausstellung und kommentiert die Bilder: aha, eine Genossenschaftsbäuerin. Gutes Bild, ja? Und hier, Arbeiter auf dem Bau. Gut, gut. Ah, und hier ein Bild einer kaukasischen Bergziege. Worauf einer aus der Delegation sagt: Genosse Ulbricht, Sie stehen vor dem Spiegel -
dann drohte dem Witzeerzähler womöglich Schlimmes. Der Stasi-Vernehmer hätte ihn zwar nie angebrüllt: „So etwas hat der Genosse Generalsekretär nie gesagt.“ Außerdem war das Wort postfaktisch damals noch nicht erfunden.
Aber vor der Folie der Vergangenheit sollten wir weniger über eine DDR 2.0 jammern. Das Schlimmste, was einem heute passieren kann, ist die Boykottaktion eines Werbehansels mit viel Tagesfreizeit. Und auf Facebook schaut halt der Krankenhausclown der CDU vorbei, ab und zu auch das Maas’sche Löschkommando.
Die Kampagne gegen das Postfaktische hat mich allerdings auf die Idee gebracht, eine kleine Auswahl verdrehter und frei erfundener Behauptungen von Politikern und Qualitätsmedienmitarbeitern zusammenzustellen. Kommt demnächst.
Das wird ein Spaß.
Mehr zum Autor: www.alexander-wendt.com