Rainer Grell / 12.03.2017 / 14:15 / Foto: Deutsche Fotothek‎ / 4 / Seite ausdrucken

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Wirklich?

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Kaum ein Satz wird so oft zitiert, wie dieser – angebliche oder tatsächliche – Ausspruch Wladimir Iljitsch Uljanows genannt Lenin (1870-1924). Aber wie das bei Zitaten und Beispielen nun mal so ist: Mal passen sie und mal nicht.

Wikipedia interpretiert den Satz unter Berufung auf den Duden, Redewendungen (Wörterbuch der deutschen Idiomatik) so: „man soll sich nur auf das verlassen, was man nachgeprüft hat“. Klingt irgendwie überzeugend. Aber stimmt es deswegen auch?

Machen wir die Probe aufs Exempel. Sie haben in der Werkstatt einen Reifenwechsel durchführen lassen. Prüfen Sie anschließend nach, ob der Monteur alle Schrauben richtig angezogen hat? Immerhin: Ein nachlässig montiertes Rad könnte Sie das Leben kosten. Oder vertrauen Sie darauf, dass alles in Ordnung ist? Ich kenne niemanden, der eine solche Prüfung vornimmt. Oder: Sie sind ein Anhänger von Bio-Kost. Prüfen Sie nach, ob die Angaben auf der Packung stimmen oder vertrauen Sie darauf? Und wenn Sie nachprüfen: Wie machen Sie das? Oder: Sie müssen sich einer schwierigen Operation unterziehen. Ihr Hausarzt empfiehlt Ihnen den Chirurgen Prof. Dr. Schnipfler. Vertrauen Sie darauf oder prüfen Sie die Kompetenz von Schnipfler nach?

Merken Sie was? Richtig! Wir sind im täglichen Leben ständig darauf angewiesen zu vertrauen. Und zwar auch Menschen und Organisationen, die wir nicht kennen, ja von deren Existenz wir oft nicht die geringste Ahnung haben. Nehmen wir mal den Joghurt „ACTIVIA“. Dabei soll es jetzt nicht darum gehen, ob die Werbesprüche von der geregelten Verdauung und dem flachen Bauch stimmen oder nicht. Sie wollen lediglich wissen, wem Sie vertrauen, wenn Sie sich zum Kauf und Genuss entschließen. „Danone“ steht auf jeder Packung. „Die Danone GmbH mit Sitz in Haar bei München ist Teil der Danone Gruppe“, heißt es auf der Website dieser Firma. Aha, eine deutsche Firma, das weckt schon mal Vertrauen. Aber was heißt „Danone Gruppe“. Nun, darin stecken die spanische Firma „DANONE“, die französische Firma „Gervais“ und das holländische Unternehmen „Royal Numico“ (Milupa). Der Firmensitz ist Paris. Es handelt sich um ein internationales Unternehmen mit Niederlassungen in rund 120 Ländern, rund 100.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 22 Milliarden Euro (Wikipedia). Welcher dieser 100.000 Mitarbeiter mit Ihrem Joghurt in Berührung gekommen ist, wissen Sie ebenso wenig wie Sie seinen Gesundheitszustand im Zeitpunkt der Produktion kennen und ob er sich vorher auch gründlich die Hände gewaschen hat. So, jetzt wissen Sie, wem Sie vertrauen. Oder? Ob Sie tatsächlich mehr über diesen zweitgrößten Keks- und Milchproduzenten der Welt  wissen, wenn Sie zusätzlich noch die 368 Seiten des Registration Documents von Danone durchgelesen haben (auf Englisch) wage ich zu bezweifeln. 

Als Geschäftsmann oder Urlauber sind Sie häufig mit dem Flugzeug unterwegs. Gewiss, Fliegen ist sicher heutzutage, aber gleichwohl nicht vollständig risikolos. Sie kontrollieren deshalb vor jedem Flug das betreffende Flugzeug, prüfen die Wartungslisten, den Reifendruck und ob genügend Kerosin im Tank ist. Außerdem ziehen Sie Erkundigungen über Pilot und Co-Pilot ein. Wie viele Flugstunden, finanzielle Sorgen, die sie ablenken könnten, Ehe- oder Gesundheitsprobleme usw. Natürlich macht das kein Mensch, der noch seine fünf Sinne beisammen hat, obwohl das bei dem 28-jährige Co-Piloten Andreas Lubitz von Germanwings am 24. März 2015 150 Menschen das Leben gerettet hätte. Aber selbst wenn Sie es täten: Sie müssten immer noch vertrauen, dass die Listen stimmen, das Luftdruckgerät funktioniert und die Angaben der Befragten der Wahrheit entsprechen.

Nur dort kontrollieren, wo es möglich ist

Also nur noch Vertrauen, gar keine Kontrolle mehr? Das hieße, das Kind mit dem Bade ausschütten. Kontrollen sind sinnvoll und notwendig, aber nur dort, wo eine echte Überprüfung tatsächlich möglich ist. Das wird bei Privatleuten seltener der Fall sein als bei Experten und es wird noch seltener vorkommen, dass man ganz ohne Referenzen auskommt, denen man vertrauen muss. So muss man sich darauf verlassen, dass die Aussage eines Wissenschaftlers richtig ist oder wirklich von dem „renommierten“ Professor und anerkannten Experten stammt. Dass das verwendete Messgerät (zum Beispiel der Geigerzähler) ordnungsgemäß funktioniert und die eingesetzte Methode, die man ja in der Regel nicht selbst entwickelt hat, eine korrekte Überprüfung gewährleistet. Mit anderen Worten: Ganz ohne Vertrauen geht es nicht.

Im Alltag ist Vertrauen derart selbstverständlich, dass wir uns darüber keine Gedanken mehr machen. Wenn ich Vorfahrt habe, vertraue ich darauf, dass die anderen diese auch beachten. Der Bundesgerichtshof hat für den Straßenverkehr sogar explizit den „Vertrauensgrundsatz“ entwickelt, wonach jeder Verkehrsteilnehmer, der sich ordnungsgemäß verhält, darauf vertrauen kann, dass die anderen das auch tun. In unserer extrem arbeitsteiligen Welt wäre ein Tag ohne Vertrauen absolut unmöglich. Ich vertraue nicht nur darauf, dass der Grüne Veltliner im Regal tatsächlich von F. X. Pichler aus der Wachau stammt und nicht etwa Frostschutzmittel (Diethylenglykol) enthält. Ich vertraue auch darauf, dass das Verfallsdatum auf jeder Packung korrekt ist und der Waldpilz-Suppe von Knorr keine Giftpilze beigemischt wurden.

Man mag von der Deutschen Bank halten, was man will. Aber als sie in den neunziger Jahren mit dem Satz warb „Vertrauen ist der Anfang von allem“, hatte sie ganz einfach Recht – wenn man ihr selbst deshalb auch nicht unbedingt vertrauen muss.

Ach ja, und dann sind da ja auch noch unsere Politiker, die ständig damit beschäftigt sind, Vertrauen aufzubauen oder verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Wie man das macht, sagt uns zum Beispiel die SPD. Wenn Sie bei Google „verlorenes vertrauen zurückgewinnen politik“ eingeben, erscheint diese Meldung

Das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen | Sozialdemokratische ...

www3.spd.de/118670/20140407_pk_gabriel_steinmeier_schulz.html 6

07.04.2014 - Europawahl: Schluss mit der Hinterzimmerpolitik ... „Um das Vertrauen zurück zu gewinnen, müssen wir die verlorene Gerechtigkeit wieder ...“

Wenn Sie diese Adresse anklicken, erhalten Sie folgende aufschlussreiche Meldung: „502 Bad Gateway“ Natürlich lassen Sie sich durch so was nicht entmutigen, sondern gehen eine Zeile tiefer in den Cache und erhalten folgende Antwort:

„Dies ist der Cache von Google von http://www3.spd.de/118670/20140407_pk_­gabriel_­steinmeier_schulz.html. Es handelt sich dabei um ein Abbild der Seite, wie diese am 28. Febr. 2017 12:48:56 GMT angezeigt wurde.

Die aktuelle Seite sieht mittlerweile eventuell anders aus. Weitere Informationen

Ob Sie „Weitere Informationen“ anklicken wollen, überlasse ich Ihnen. Für ganz Hartnäckige noch folgender Hinweis:

„Meldet ein Server den Error 502 Bad Gateway, dann habt Ihr ein Problem. Lösen muss das der Serverbetreiber. Aber mit einem Trick kommt Ihr trotzdem an die benötigten Daten.“

Sorry, aber diesen Trick müssen Sie nun wirklich selber rausfinden. Vertrauen gibt es nicht zum Nulltarif.

Foto: Deutsche Fotothek‎ CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Karin Adler / 12.03.2017

Dass er gut reden kann, wissen wir von Schulz. Das sich nichts ändert, wenn er nach einer gewonnenen Wahl seinen Einfluss geltend machen könnte, war zu vermuten. Die leeren Versprechungen aus dieser Pressekonferenz beweisen es. Hoffentlich lesen das möglichst viele Menschen, die ernsthaft überlegen, im September ihre Stimme dieser Partei zu geben.

Bertram Scharpf / 12.03.2017

Sehr gut beobachtet. Ich formuliere denselben Gedanken schon seit Jahren. Jetzt können Sie sich daran machen, den Islam zu untersuchen nach Überwachungselementen. Von da an ist es nicht mehr weit zur Herkunft des Begriffes „Heidenangst“.

Peter Zentner / 12.03.2017

Kurz: Einem Danone-Yoghurt oder einer Knorr-Pilzsuppe zu vertrauen, einem Lufthansapiloten oder einem DB-Lokomotivführer, fällt mir leichter, als dem wetterwendischen, täglich aufgemotzten Geschwurbel unserer politischen Beglücker Glauben zu schenken. Die Food-Konzerne haben endlose Shitstorms, Umsatzeinbrüche und juristische Folgen zu gewärtigen, wenn sie Fehler begehen. Die Politiker dürfen straflos lügen und unhaltbare Versprechungen verkünden; falls sie wirklich zu tief ins Fettnäpfchen treten, bleibt ihnen stets ein wirtschaftlich folgenloser Rücktritt — neben ihren (eh wind- und wasserdichten) Pensionsprivilegien meist mit der Option eines noch fürstlicher dotierten Jobs in der Wirtschaft, im Lobbysumpf oder im Beraterdschungel.

Ulla Smielowski / 12.03.2017

Natürlich ist Vertrauen gut… Bei Bio-Lebensmitteln kann ich nachsehen welche Zutaten aufgeführt sind. Mir sind 8g Salz für eine schwarze Schokolade von 80 g, mit wenig Kakao-Anteil einfach zuviel.  2€ habe ich dafür gezahlt (Rapun….) Ist ein Händler, Rechtsanwalt, Dienstleister nicht so gut, wie er es verspricht oder vorgibt, gehe ich dort nicht mehr hin. So hat alles immer zwei Seiten. Außerdem kann ich ja viel im Internet recherchieren, z.B. über Aktiengesellschaften, die mich unbedingt als Mieterin für eine Wohnung haben wollen (VONOVIA oder Deutsche Wohn AG) und viel über deren Praktiken erfahren: da sind dann die Nebenkosten fast so hoch wie die Miete. Wenn ich dann noch in den zugeschickten Mietvertrag sehe, wird mir vieles klarer.  Ich denke mal, Leute deren Praktiken darauf beruhen nur andere auszunehmen und auszubeuten, haben ein schlechtes Geschäftsmodell und auf die Dauer keinen Erfolg: Deutsche Telecom ist so ein Modell…

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