Der Sprecher der Mehrheitsfraktion im Kongress, Kevin McCarthy, ist per Misstrauensvotum aus dem Amt gekegelt worden. Von einem Putsch ist nun überall die Rede, und die Medien überschlagen sich in schrillen Tönen mit Schuldzuweisungen an die Republikaner. Was ist dran?
Lawmaker, so lautet die Berufsbezeichnung, die sich die Abgeordneten des Kongresses in Washington gegeben haben. Gesetzesmacher. Das Gesetzemachen besteht zum größten Teil in den Entscheidungen, in welche Projekte jenes Geld fließt, das man durch Steuern im Land eingenommen hat oder als Schulden raushaut. Viele dieser Staatsausgaben werden nach Wiedervorlage (CR, Continues Resolution) beschlossen, weil sie dauerhaft anfallen. Zu den seit einigen Jahren wiederholt anstehenden Aufgaben der Abgeordneten gehört die Anhebung der Schuldengrenze, also der Aufweichung der Budgetbeschränkung für den Staat, der schon lange nicht mehr mit den Mitteln auskommt, die er seinen Bürgern als Steuern abnimmt. Mit anderen Worten: Seit langem ist am Ende des Geldes noch einiges vom Jahr übrig, und der Shutdown droht.
Alle Aufgaben auf föderaler Ebene würden auf „Halt“ gestellt, Beamte würden nicht bezahlt, Schulen, Verwaltungen, Veteranenversorgung, die Agenten in FBI, CIA, NSA und auch die Armee müssten ihre Arbeit einstellen und hätten Zwangsurlaub. Gerade tobt wieder der Kampf um die Anhebung des „Dispokredits“, der Shutdown wurde in letzter Sekunde abgewendet und ein Notfallhaushalt für die nächsten 45 Tage verabschiedet. Eine Gnadenfrist bis November, mehr nicht, denn die Zustimmung der republikanischen Mehrheit für die Anhebung der Schuldenobergrenze um weitere zwei Billionen Dollar ist nun aussichtlos, weil ein Misstrauensvotum den Sprecher der Mehrheitsfraktion, Kevin McCarthy, aus dem Amt gekegelt hat.
Von einem Putsch ist nun überall die Rede, und die Medien überschlagen sich in schrillen Tönen mit Schuldzuweisungen. Schuld an dem Dilemma habe eine kleine, radikale Gruppe von Republikanern um den Abgeordneten Matt Gaetz aus Florida. Der Spiegel spricht von Blamage und einer Blockade des Landes. Die WELT gar vom „Vorgeschmack auf die zerstörerische Kraft der rechten Republikaner“. Das impliziert natürlich, dass es auch linke Republikaner gibt, die wohl nicht ganz so schlimm seien. Der Vorfall der Abwahl eines Speakers ist in der Tat einzigartig in der Geschichte der USA, doch das war ja auch schon der Amtsantritt von McCarthy im Januar. Der war nämlich an innerparteiliche Bedingungen geknüpft und mit einer kurzen Reißleine versehen. Die Gruppe um Gaetz hatte sich ausbedungen, dass im Fall gebrochener Zusagen bereits eine Stimme des Misstrauens aus den eigenen Reihen genüge, um eine Abstimmung des Hauses über den Verbleib des Speakers zu erzwingen. McCarthy, mürbe von den insgesamt 15 Wahlgängen, gab schließlich nach und akzeptierte auch zwei weitere gestellten Bedingungen: keine Hinterzimmerabsprachen mit den Demokraten mehr sowie das Ende der sogenannten Omnibus-Spendings.
Das mit den Hinterzimmern ist nicht nur im Washingtoner Politikbetrieb gängige Praxis, sehr zum Ärger des interessierten Elektorats, das seine Interessen verkauft und verraten sieht – und zwar auf beiden Seiten! Bei den Omnibus-Spending-Bills handelt es sich um die Praxis der Regierung, in eng anberaumten Abstimmungen tausende Seiten mit einem Sammelsurium beabsichtigter Finanzierungen durchs Abgeordnetenhaus zu prügeln. Du willst die Truppen unterstützen? Dann unterschreib! Dir sind die Veteranen wichtig? Dann sag ja zum Gesamtpaket! Und damit auch zur Unterstützung von Genderstudien in Pakistan oder der Bezahlung der Pensionen ukrainischer Beamter.
Alles oder Nichts
Wer also beispielsweise Mittel für den Wiederaufbau des auf Hawaii vom Feuer verwüsteten Lāhainā bereitstellen will, soll gleichzeitig Mittel für den Krieg in der Ukraine bewilligen. Wer das nicht oder doch zumindest nicht vermischt haben will, den kann man später in den Medien bezichtigen, er wolle die Einwohner von Maui im Elend lassen. Das grenzt geradezu an Erpressung. Ebendiese Praxis zu beenden und wieder zu ehrlichen Abstimmungen zur Sache überzugehen, war das erklärte Ziel der Gruppe um Matt Gaetz.
Man könne ja über jede Verwendung von Steuergeldern und auch über Schulden abstimmen, jedoch über jeden Verwendungszweck und Topic separat, so Gaetz. Es ist eigentlich unfassbar, aber für das Streben nach mehr Transparenz bei der Abstimmung, mehr Mitspracherecht der Abgeordneten und damit auch für mehr Haushaltsdisziplin auf Seiten der Regierung wird er nun als gefährlicher rechter Extremist dargestellt. Die Weigerung, die Erhöhung der Schuldenobergrenze schon wieder einfach durchzuwinken, führte zunächst zum Kompromiss und zur Verlängerung des aktuellen Haushalts um 45 Tage.
Jedoch hatte die Regierung Biden einigen Grund zur Annahme, Sprecher McCarthy werde nun rasch zusätzlich die Ausweitung der Hilfe an die Ukraine auf den Weg bringen, worin Gaetz wohl nicht zu unrecht einen Hinterzimmerdeal vermutete und die oben erwähnte Reißleine zog. McCarthy verlor die Vertrauensfrage deutlich, was wegen der nun anstehenden Suche nach einem Nachfolger für das Sprecheramt das Parlament lahmlegt. Die Uhr tickt jedoch. In 45 Tagen endet der Kompromiss, und gibt es bis dahin keinen neuen, legalen Haushalt, muss die US-Bundesregierung ihre Arbeit einstellen.
Die Mär vom Profiteur: Donald Trump
Wie immer, wenn einer Regierung das Geld anderer Leute ausgeht, steht die Schuldfrage im Raum, und die deutsche Presse ist sich einig, dass Matt Gaetz zu weit gegangen sei. Das Parlament brauche schließlich einen Speaker, um handlungsfähig zu sein. Und noch etwas steht für das Kommentariat fest. Es gäbe bei Gaetz‘ Spiel mit dem Chaos viele Opfer, aber nur einen Profiteur: kein Anderer als Donald Trump! Zu dumm nur, dass es ausgerechnet Trump war, der McCarthy unterstützte und schon im Januar sehr ungehalten war, weil Gaetz durch sein Beharren auf Bedingungen die Ernennung des Sprechers so lange verzögert hatte.
Doch was nützt den Republikanern die Mehrheit im Repräsentantenhaus, wenn diese am Ende doch nur die Schuldenmacherei der Regierung von Joe Biden durchwinken und sich bei jeder Budget-Frage am Nasenring mit der Aufschrift „Wer nicht zustimmt, gefährdet die Demokratie“ durch die Manege führen lassen? Denn eines ist hier offensichtlich: Immer, wenn Republikaner für die Vorschläge der Demokraten stimmen, geht das völlig in Ordnung. Ja, man erwartet das von ihnen. Niemand käme auf die Idee, dass so was auch in die andere Richtung funktionieren könnte, gerade wenn die Zeiten mal wieder „Spitz auf Knopf“ stehen.
Wie viele Stimmen der Demokraten hat Kevin McCarthy wohl gerade beim Misstrauensvotum erhalten, nachdem er erfolgreich den Shutdown der Regierung Biden verhindert und ihr die geforderten Mittel für die Ukraine in Aussicht gestellt hatte? Es waren genau null. Sämtliche Abgeordneten der Dems, die nun die verlorene Handlungsunfähigkeit des Parlaments beklagen, stimmten gemeinsam mit Matt Gaetz und einer Handvoll weiterer Abgeordnete der Republikaner für die Absetzung des Speakers. Sollte es im November also tatsächlich zum Shutdown der US-Regierung kommen, können die Demokraten mit Fug und Recht sagen, sie hätten selbst dafür gesorgt. Matt Gaetz kann immerhin für sich in Anspruch nehmen, sich exakt so verhalten zu haben, wie er es im November 2022 seinen Wählern und im Januar 2023 seinen Kollegen versprochen hatte. Welche Ausreden werden die Demokraten haben?
Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog unbesorgt.de.