Nachdem Karl Lauterbach sich mit seinen Hitzeschutz-Warnungen im Italienurlaub unbeliebt gemacht hatte, verabschiedete er nach seiner Rückkehr sofort seinen angekündigten Hitzeschutzplan. Und zählt in alter Corona-Manier ab jetzt Hitzetote.
Nach der vielgescholtenen sommerlichen Phase ist das Wetter in Deutschland mittlerweile merklich abgekühlt, vor allem in den nördlicheren Teilen des Landes. In meiner Region Berlin-Brandenburg regnet es seit ungefähr zwei Wochen fast jeden Tag bei durchschnittlich 20 Grad Höchstwerten. Ein Blick auf meine Wetter-App zeigt eine ebenso verregnete Aussicht für die gesamte nächste Woche. Nachdem Gesundheitsminister Karl Lauterbach den Hitzeschutz als sein neues Lieblingsthema entdeckt hat, hatte er am 13. Juli aus seinem Italienurlaub Warnungen vor der Hitze-Apokalypse getwittert: „Heute in Bologna Italien eingetroffen, jetzt geht es in die Toskana. Die Hitzewelle ist spektakulär hier. Wenn es so weiter geht werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende.“ In einem weiteren Tweet empfahl er gar Kirchen als Hitzeschutzräume.
Als die Italiener von Lauterbachs düsteren Ansagen Wind bekamen, erntete er öffentliche Empörung. Während Tourismusministerin Daniela Santanchè diplomatisch darauf hinwies, dass sich Italien zwar des Klimawandels bewusst, sie aber trotzdem sicher sei, dass die Deutschen den Italienurlaub weiterhin schätzen werden, äußerte Maurizio Gasparri, Senator der Regierungspartei Forza Italia, ganz direkt: „Er sagt Blödsinn und sollte zurücktreten. Das Deutschland von Goethe hat so eine Person in öffentlichen Rollen nicht verdient.“ Und TV-Moderator Andrea Giambruno, Lebensgefährte von Regierungschefin Giorgia Meloni, forderte in seiner Sendung, dass Lauterbach zu Hause bleiben soll, wenn es ihm nicht passt. Interessant, dass in Italien so mancher schon nach einer einzigen Äußerung unseres Gesundheitsministers die Geduld verliert.
Nach der Abkühlung in Deutschland twitterte der Bayrische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern am 25. Juli: „Was nun? Der im Frühjahr vorausgesagte/vermutete Hitzesommer in Deutschland ist bisher ausgeblieben. Die letzten Tage vermehrt trüb/Regen, nachts für Juli relativ kühl. Also: systematisch an den Klimaherausforderungen arbeiten, aber keine Panik verbreiten!“ Lauterbach reagierte am selben Tag mit: „Unglaublich. Ein paar Tage ‚trübes Wetter‘ im Sommer und schon wird der Klimawandel relativiert. Bayern kann einem leid tun so regiert zu werden.“ Kaum zurück, verabschiedete er am 28. Juli seinen angekündigten Hitzeschutzplan. Auf der dazugehörigen Pressekonferenz betonte er, dass die Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst, den Hausarztpraxen, Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Kommunen und Ländern dabei zentral sei. Und kündigte allen Ernstes an, dass man damit noch in dieser Saison die Anzahl der Hitzetoten senken wolle. Wer sollte aber bei rund 20 Grad an Hitze kollabieren (abgesehen vom chronisch verzerrten Narrativ vermeintlicher „Hitzetoter“, siehe hier)?
Altbekannte Corona-Manier
Außerdem berichtete Lauterbach bei dieser Gelegenheit ganz offen, dass er mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth den öffentlichen Rundfunk angeschrieben habe, mit dem Ergebnis, dass der Hitzeschutz jetzt „viel stärker integriert in das Nachrichtengeschehen bei entsprechenden Hitzewellen“ sei. Der Deutsche Wetterdienst informiere das Gesundheitsministerium vorab über Hitzewellen, was Letzteres dann über seine Kanäle verbreite, von wo es dann seitens der öffentlichen Rundfunkanstalten aufgegriffen werde. Geplant seien außerdem Warnungen über die NINA-Warn-App in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium.
In seiner altbekannten Corona-Manier fabulierte Lauterbach auch über die Hitzetoten. Das Robert-Koch-Institut werte wöchentlich die „Übersterblichkeit durch Hitzetote aus“. Das Ziel sei, die Hitzesterbefälle in diesem Jahr im Vergleich zu 2022 zu halbieren und unter 4.000 Toten zu halten (im letzten Jahr habe es 8.000 „Hitzetote“ gegeben). Lauterbach sprach in diesem Zusammenhang tatsächlich von einer ersten Welle des Hitzeschutzprogramms. Doch die Zahlen der Hitzetoten, die das RKI nun wöchentlich bekannt gibt, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Mogelpackung. Zunächst handelt es sich lediglich um Schätzungen, und andererseits kann nicht unterschieden werden, ob die betreffenden (betagten) Menschen „an oder mit Hitze“ starben. Das alles geht aus dem Kleingedruckten auf der Seite des RKI hervor, wird aber natürlich von Karl Lauterbach verschwiegen.
Besonders stolz ist unser Gesundheitsminister auf die grafische Aufarbeitung der sechs wichtigsten Hitzeschutztipps in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Triumphierend hielt er das Ergebnis in Form eines Plakates bei der Pressekonferenz in die Höhe, es trägt den charmanten Titel „Hitze kann tödlich sein“. Hier können Sie das Poster selber in Augenschein nehmen sowie kostenlos bestellen und sich fragen, ob Sie sich diese Hitze-Survival-Skills nicht übers Bett hängen sollten: „Ausreichend Wasser trinken, Wohnung kühl halten, im Schatten bleiben, Anstrengung vermeiden, leicht essen, auf sich und andere achten.“ Unter anderem werden Patienten in Krankenhäusern und Bewohner von Pflegeeinrichtungen künftig damit erfreut. In diesem Zusammenhang sagte Lauterbach ganz deutlich, dass „ähnlich der Covid-Maßnahmen“ nun die Hitzeschutz-Maßnahmen in die Pflegeeinrichtungen gebracht werden. Und er stellte in Aussicht, dass bei „katastrophaler Hitze“ an einem Tag mehrere hundert Menschen sterben würden.
Unser Gesundheitsminister hat sich also ein neues Betätigungsfeld erschlossen und ungläubig kann man verfolgen, mit welchem Eifer die Politik Kraft, Zeit und Geld in dieses neue Steckenpferd investiert (Achgut berichtete). Gestern veröffentlichten verschiedene Medien eine ausführliche dpa-Meldung, die die „Hitzeaktionspläne“ verschiedener Kommunen des Landes Niedersachsen durchdeklinierte. Diese kam natürlich nicht ohne den Hinweis aus, dass der Sommer im Nordwesten eine Pause einlege, aber Pläne gegen künftige Hitzewellen existierten.
Und ähnlich wie Lauterbach und ihre Kollegen in anderen Bundesländern, adaptieren die niedersächsischen Politiker das Hitze-Narrativ von vulnerablen Gruppen wie Pflegebedürftigen, Älteren und Obdachlosen oder der Notwendigkeit, öffentliche Trinkwasserbrunnen aufzustellen und kühle Orte auszuweisen (tatsächlich werden in diesem Zusammenhang Kirchen ins Spiel gebracht). Ulrich Mahner vom Niedersächsischen Städtetag gab zu bedenken, dass es sich um eine relativ neue und komplexe Aufgabe für die Verwaltungen handele und auch nicht jede Kommune dafür personelle und finanzielle Mittel habe. Ein Sonderförderungsprogramm des Landes Niedersachsen könne sicher helfen. Aber an welcher Stelle will man dafür Löcher einreißen? Und mit welchen Mitteln sie dann stopfen? Statt in Bildung, Pflege und Gesundheitswesen zu investieren, finanziert die Politik lieber Lauterbachs Hitzeschutz-Poster.
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.