Michael Miersch / 01.03.2007 / 23:00 / 0 / Seite ausdrucken

Umfallende Reissäcke, die unheimliche Bedrohung

Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT vom 02.03.2007:

Nicht nur Menschen machen Karriere, sondern auch Themen. Bedauerlicherweise nicht immer die richtigen. Beim Mittagessen sprachen wir kürzlich über den Aufsatz eines Kommunikationsforschers, der analysiert wird wie eine „Einheitsfront der Skandalgläubigen“ entsteht. Am Ende glaubten die Menschen nicht das, was erwiesen ist, „sondern das, was sie vorher überall massenhaft gelesen, gehört und gesehen haben.“ Da wir gerade in einem China-Restaurant saßen, haben wir uns ein kleines Drehbuch ausgedacht, gleichsam als medienkundliche Lebenshilfe:

Montag, Radio-Fantasie, Regionalnachrichten. Der Moderator: „In Frankfurt wurde in einem Lagerhaus ein Sack Reis entdeckt, der umgekippt ist. Experten befürchten, der Reis unbekannter Herkunft könnte unkontrolliert in die Umwelt gelangt sein. Wir schalten jetzt zu unserem Reporter vor Ort um: Oliver, wie ist die Lage?“

Reporter: „Die Lage ist unübersichtlich. Die Menschen scheinen noch nicht realisiert zu haben, was hier vor sich geht.“

Moderator: „Gibt es schon einen Hinweis auf die Verantwortlichen?“ Reporter: „Ehemalige Mitarbeiter berichten von fahrlässigem Verhalten des Lagerhausbetreibers, dessen Namen von den Behörden geheim gehalten wird.“

Moderator: „Oliver, könnte es nicht hunderte oder gar tausende ähnliche Fälle geben? Wie hoch ist die Dunkelziffer?“ Reporter: „Erschreckend! Aber bisher haben wir es ja nur mit einem bekannten Fall…“

Moderator: „Sorry, Oliver, wir müssen Schluss machen, ich habe Klaus, unseren Gesundheitsexperten in der Leitung, der vor dem Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz in Berlin wartet. Klaus, gibt es schon ein offizielles Statement?“

Gesundheitsexperte: “Nein, hier wird bislang jede Auskunft verweigert. Ich erkenne aber hektische Betriebsamkeit. Es herrscht große Nervosität.“

Moderator: „Lässt sich denn schon sagen, welche Personen am meisten gefährdet sind?“ Gesundheitsexperte: „Es häufen sich Fälle von Menschen, die über ein leichtes Kratzen im Hals klagen. Kinder, ältere Menschen und Kranke sollten im Zweifel einen Arzt aufsuchen.“

Zwei Tage später. Fernsehnachrichten, Der Moderator: „Deutschland im Ausnahmezustand. Immer mehr Menschen klagen über ein leichtes Kratzen im Hals. Die Reiskrise breitet sich unaufhaltsam aus. Aus aller Welt treffen Meldungen von umgekippten Reissäcken ein, das Epizentrum befindet sich womöglich in China. Und jetzt zu unserem Korrespondenten ins besonders betroffene Frankfurt: Peter, was geht dort zur Stunde vor sich?“

Korrespondent: „Hier vor der Reis-Lagerhalle spielen sich unbeschreibliche Szenen ab. Der Verkehr ist aufgrund der vielen Übertragungswagen zusammen gebrochen. Technisches Hilfswerk und Feuerwehr versorgen uns mit warmer Suppe. Die Menschen tragen Atemmasken, die Schulen wurden geschlossen.“

Moderator: „Danke Peter, und passen Sie auf sich auf! Jetzt begrüße ich den deutschen Umweltminister im Studio, der sofort seinen Urlaub abgebrochen hat. Herr Minister, reagiert die Politik nicht wieder einmal zu spät?“

Minister: „Reis kennt keine Grenzen. Kein Land kann das Problem alleine lösen, hier bedarf es der UN. Ich werde das Thema ganz oben auf die Agenda setzen und hoffe die USA stehen nicht wieder abseits. Außerdem müssen wir China mit ins Boot holen, wir haben da Vorbildfunktion.“

Moderator: „Nun gibt es vereinzelte Stimmen, die behaupten, das leichte Kratzen im Hals könne natürliche Ursachen haben.“ Minister: „Wir sind dem Vorsorgeprinzip verpflichtet und dürfen nicht warten bis es zu spät ist!“

Moderator:„ Wir kommen jetzt zum Nachrichtenüberblick.“ Sprecher: „Köln: TÜV fordert jährliche Überprüfungen von Reissäcken. Hamburg: Klimaforscher sehen in Reiskrise Zeichen der globalen Erwärmung. Berlin: Bauernverband fordert Umstieg auf heimische Kartoffeln. München: Erzbischof propagiert Reisfasten.“

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