Rainer Klute, Gastautor / 17.05.2023 / 14:00 / Foto: Tomaschoff / 7 / Seite ausdrucken

Sinkender Strompreis? Was wirklich dahintersteckt

Wie immer im Frühjahr sinkt der Strompreis. In diesem Jahr wird dieser Umstand genutzt, um Frohmutsphrasen über die grüne Energiepolitik und den Atomausstieg zu produzieren. Hier deshalb sechs Fakten zum Thema, die jeder wissen sollte.

„Ein Monat Atomausstieg: Der Strom wurde sogar billiger", titelte vorgestern der Bayerische Rundfunk und suggerierte: Atomausstieg macht Strom billiger. In den sozialen Medien wurde das von denen begeistert gefeiert, die die Kernkraft schon immer ablehnten.

Doch wer nicht nur die Überschrift liest, ahnt: So einfach ist es nicht. Denn die Strompreise sinken im Frühjahr immer. Der Atomausstieg treibt zwar den Preis nach oben, doch wird dies durch stärkere, preissenkende Effekte überlagert. Kurz gesagt: Mit Kernkraft wäre der Strom noch billiger.

Das bestätigt auch BR-Autor Lorenz Storch im seinem Artikel. Er erklärt, dass und warum die Strompreise saisonal schwanken. Der Strompreis ergibt sich immer aus Angebot und Nachfrage. Im Frühjahr steigt das Angebot, während die Nachfrage zurückgeht. Darum sinken die Preise.

Fakt 1: Im Frühjahr sinkt der Strompreis immer

Im Frühjahr werden die Tage länger, die Solaranlagen liefern mehr billigen Strom als im Winter. Teure Gaskraftwerke werden weniger gebraucht. Gleichzeitig endet die Heizperiode. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Strom, etwa zum Betrieb von Wärmepumpen. Außerdem wird weniger Gas zum Heizen gebraucht. Das macht das Gas billiger. Gaskraftwerke können ihren Brennstoff günstiger einkaufen und ihren Strom entsprechend günstiger am Strommarkt anbieten. Im Nachbarland Frankreich schalten die Menschen ihre Stromheizungen aus. Die Schneeschmelze setzt ein, mehr Wasserkraft steht zur Verfügung. Und da Europa ein einheitliches Stromsystem hat, wirkt sich das alles auch in Deutschland aus.

In diesem Jahr ging der Stromverbrauch in Deutschland sogar noch deutlicher zurück, da nicht wenige Industriebetriebe wegen der hohen Energiekosten die Produktion drosselten oder ins Ausland verlagerten. Klar, das senkt Energieverbrauch und -preise, ist aber eigentlich eine sehr schlechte Nachricht für Deutschland.

Die Abschaltung der Kernkraftwerke am 15. April 2023 führte zu einer Verminderung des Stromangebots. Für sich allein genommen würde das höhere Preise bewirken. Aber die oben beschriebenen Effekte überwiegen, so dass es insgesamt zu einem Preisrückgang kam. Ob beabsichtigt oder nicht, es war ziemlich schlau von der Bundesregierung, die Kernkraftwerke bis zum Frühling laufen zu lassen. Mitten im Winter hätte das anders ausgesehen, erst recht in einem besonders kalten Winter.

Fakt 2: Mit Atomstrom läge der Strompreise noch tiefer

Nach dem Prinzip der Merit-Order ergibt sich der Strompreis über den Preis des teuersten Kraftwerks, das gerade noch laufen muss, um die notwendige Leistung bereitzustellen. Abbezahlte Kernkraftwerke sind mit Grenzkosten von nach Angaben des EWI Köln ca. 1,8 Cent pro Kilowattstunde (¢/kWh) erfahrungsgemäß mit die günstigsten Stromanbieter auf dem Markt.

Jedes Gigawatt, das durch Kernenergie erzeugt wird, reduziert den Bedarf an Leistung, die sonst durch teurere Kraftwerksarten erzeugt werden müsste. Mit mehr günstiger Kernenergie gäbe es also mehr konkurrenzfähige Teilnehmer im Markt, die teurere (Gas-) Kraftwerke verdrängen und die Strompreise weiter sinken lassen würde – und zwar beträchtlich. Um die Hälfte niedriger könnten die Großhandelspreise sein, liefen die letzten sechs Kernkraftwerke noch, ergibt eine Analyse.

Fakt 3: Deutschland ist abhängig von seinen Nachbarn

Außerdem ist da die Frage nach Unabhängigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stromerzeugung. Schafft es Deutschland, sich aus eigener Kraft mit bezahlbarem Strom zu versorgen? Smard.de, die Webseite der Bundesnetzagentur, hält den Verlauf der Importe und Exporte von Strom fest. Dieser Verlauf seit dem 15. April ist mehr als ernüchternd: Zeitweise wurden mehr als 13 Gigawatt an Leistung importiert. Die maximale Kapazität zum Import von Strom nach Deutschland liegt aber bei 24 Gigawatt (GW). So viel geben die Leitungen maximal her – wenn alle Nachbarn liefern können und das auch tun.

Wenn wir aber schon im Frühjahr mehr als die Hälfte davon brauchen, stellt sich die Frage: Wie wird das erst im Winter? Ohnehin sind 24 GW nur rund ein Drittel des deutschen Strombedarfs. Wenn, wie im letzten November und Dezember, Wind und Solar über Wochen hinweg fast nichts liefern, reicht selbst dieses theoretische Maximum nicht annähernd aus, um unseren Bedarf zu decken.

Hier offenbart sich das Kernproblem der deutschen Energiepolitik: Bei Windflauten und nur mäßigem Sonnenschein ist der deutsche Kraftwerkspark, beraubt um seine Kernkraftwerke, die einmal 30 Prozent der Stromerzeugung ausmachten, schlichtweg nicht mehr leistungsfähig genug.

Fakt 4: Deutschland treibt Europas Strompreise hoch

Wer sich über die Herkunft unseres Stromes ein Bild machen möchte, kann das jederzeit auf Electricitymaps oder Energy-Charts tun. Wieder ergibt sich ein klares Bild: Frankreich ist der Versorger Europas, während Deutschlands Stromerzeugung von Wind und Wetter abhängig ist.

Mit seinen Kraftwerken versorgt Frankreich nicht nur sich selbst mit CO₂-armem Strom, sondern liefert diesen auch in Nachbarländer, viel davon nach Deutschland. Nicht selten entspricht das der Leistung mehrerer Kernkraftwerke. Deutschland nutzt also nach wie vor große Mengen Atomstrom. Nur stehen die Kernkraftwerke nicht mehr im eigenen Land, sondern bei den Nachbarn – übrigens nicht nur in Frankreich.

Deutschlands Nachfrage nach Strom treibt auf dem europäischen Strommarkt die Preise nach oben. Dadurch leidet nicht nur Deutschland unter Strompreisen, die höher sind, als sie sein müssten, sondern auch Menschen und Unternehmen in allen anderen europäischen Ländern.

Fakt 5: Das Netz ist anfälliger geworden

Dann sind da noch die Redispatch-Maßnahmen. Das sind Maßnahmen, die die Netzbetreiber ergreifen müssen, um die Stromversorgung in Deutschland stabil zu halten. Damit die Netzfrequenz im stabilen Bereich im engen Umfeld von 50 Hertz bleibt, muss sich erzeugte und verbrauchte Leistung in jeder Sekunde die Waage halten.

Dazu werden schnell regelbare Kraftwerke kurzfristig hoch- oder heruntergefahren, oder auch – das ist heikler – Verbraucher vom Stromnetz getrennt. Da die Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windkraftanlagen vom Wetter abhängt und stark schwankt, werden ständig solche Eingriffe nötig – und es werden umso mehr, je höher der Anteil von Wind und Solar an der Stromerzeugung wird. Der Redispatch wird anspruchsvoller, die Kosten steigen seit Jahren an. 2022 beliefen sie sich auf 1,4 Milliarden Euro, die von den Stromverbrauchern getragen werden.

Fakt 6: Unser Strom ist schmutzig

Bis 2021 produzierte Kernkraft mit 64 Terawattstunden pro Jahr (TWh/a) noch ein Achtel des deutschen Stromangebots. Um den zuverlässigen Atomstrom zu ersetzen, wurden Kohlekraftwerke hochgefahren. Deshalb hat sich die CO₂-Bilanz des deutschen Kraftwerksparks verschlechtert. Noch schmutzigeren Strom haben in den ersten vier Wochen seit dem Atomausstieg nur Polen und Tschechien produziert.  

Fazit: Saisonale Schwankungen widerlegen nicht die grundlegendsten Marktgesetze. Deutschlands eigene Stromversorgung ist wetterabhängig, teuer und in den Top 3 der schmutzigsten Stromproduzenten Europas. Polen will Abhilfe schaffen und dazu Kernkraftwerke bauen. Wann ist Deutschland wieder so weit?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Nuklearia.de (Nuklearia ist ein gemeinnütziger, industrie- und parteiunabhängiger eingetragener Verein, der die Kernenergie als Chance begreift und darüber aufklären will).

 

Redaktioneller Nachtrag zu diesem Thema:

Am Tag des deutschen Atomausstiegs am 15.4.2023 nahm Finnland das neue Kernkraftwerk Olkiluoto 3 (OL3) in Betrieb. Der Spotpreis für Strom in Finnland sank seitdem zeitweise von 245 Euro pro Megawattstunde (MWh) im Dezember auf 60 Euro pro MWh im April, also etwa zwei Drittel. „Es gibt viele Veränderungen am Horizont, aber eines bleibt konstant: Stromerzeugung und -verbrauch müssen immer im Gleichgewicht sein“, sagt Jukka Russunen, der Chef des finnischen Netzbetreibers Fingrid.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Sam Lowry / 17.05.2023

“CO2-Bilanz”. Eine erfundene Propaganda. Sonst nichts. Das ich nicht lache, das liegt an der Allgemeinsitutaion… Ihr seid auch grausam mit Euren Märchen!

Ingo Schöler / 17.05.2023

Habt Ihr nicht ‘nen anderen Zeichner. Nicht mal die Unterschriften sind witzig, von den Zeichnungen ganz zu schweigen.

Rolf Mainz / 17.05.2023

Und wie würde das erst, wenn mehr und mehr E-Autos Strom beanspruchen werden? Aber, klar, es gibt ja noch das 49-Euro-Ticket: das Leben in vollen Zügen geniessen, und in allerbester Gesellschaft.

Dr. Joachim Lucas / 17.05.2023

Dass diese Leute die Atomkraftwerke im Frühling abgeschaltet haben, zeigt, dass sie genau wissen um den Zusammenhang von Atomstrom und Versorgungssicherheit. Das ist aber auch alles an Intelligenz, die sie aufgebracht haben. Das dicke Ende wird kommen, nur den genauen Zeitpunkt kennt keiner. Am besten Januar während einer Kälteperiode von -10 Grad. Das wäre am lehrreichsten. Ich werde dann aber garantiert keinen Grünen an meinen Kamin lassen. Sollen hüpfen.

Helmut Driesel / 17.05.2023

  Die durch Gaskraftwerke zwischen 10. und 15 Mai eingespeiste Leistung ist in den Jahren 2020 - 23 fast immer zwischen 5,6GW und 9,6GW geblieben. Der durchschnittliche Strompreis hat sich in der selben Zeit bis 2022 auf 150E/MWh erhöht und ist dieses Jahr wieder auf 90E/MWh gefallen. Trotz des kühleren Wetters. Laut Daten von Agora-Energiewende. Es ist zu vermuten, dass der Ausfall der Kernkraft von den Versorgern und Betreibern schon langfristig simuliert wurde. Es ist zwar richtig, dass die eingespeiste Kernenergie faktisch im Netz fehlt und importiert werden muss. Aber bei Endverbraucherpreisen von 40 Cent/KWh oder mehr ist der oben angesprochene Unterschied zwischen 2 und 9 Cent/KWh im Erzeugerpreis nicht von Bedeutung. Die Argumentation über den Preis ist somit irrelevant. Es wird vielmehr so sein, dass bei steigender Einspeisung von “grünem” Strom der Börsenpreis öfter gegen Null geht und somit den Durchschnitt runter drückt. Was nicht verhindert, dass der sogenannte Lückenstrom immer teurer wird, je weniger Kraftwerke ihn liefern können. Auch über 1000E/MWh hinaus. Aber das kann den Durchschnitt in größeren Zeitabschnitten nicht anheben. Etwas anderes ist von Belang: Die Frage, ob und wie genügend viele Investoren auf die Idee kommen, eine Anlage zu betreiben oder auch nur zu finanzieren. Denn wie ich vor längerer Zeit erläutert habe, sinkt ja die Rentabilität sowohl von Windrädern als auch von Solaranlagen mit deren Menge. Sie müssen immer dann abgeschaltet werden, wenn zu viel Strom im Markt ist, der nicht verkauft werden kann. Das erfordert Zuschüsse des Staates, und das muss den Investoren sicher genug sein. Das heißt auch, es sind eigentlich die Investoren und Kreditgeber, die ein Interesse an hohen Strompreisen haben. Verschärfend kommt dazu, dass eine hohe Inflation bewirkt, dass auch andere Vermögensanlagen eine hohe Rendite abwerfen, also Mietshäuser etwa. Zu schweigen davon, dass Investitionen noch immer nach Belieben ins Ausland gehen dürfen.

Rüdiger Riedel / 17.05.2023

Strom aus Kohlekraftwerken (Braun- und Steinkohlekraftwerke) ist nicht “schmutzig”. Das ist ein Kampfbegriff der Linksgrünradikalen und hat mMn nichts auf der “Achse” zu suchen. Und Kohlendioxid ist das Lebensgas Nummer 1.

S.Schleizer / 17.05.2023

2021 lagen die Redispatch-Kosten übrigens bei 600 Millionen Euro, 2013 noch bei etwas über 100 Millionen. Jetzt eben bei 1.4 Milliarden (gut 17€ schon für jeden Kopf in Deutschland pro Jahr). Und es wird noch viel viel mehr! Mit jedem einzelnen Windrad, mit jedem verbauten Sonnenpanel. Aber fragen sie doch einmal jemanden in ihrem Umfeld - 9 von 10 werden noch nicht einmal das Wort dafür kennen.

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