Silvia Meixner / 16.01.2013 / 18:17 / 0 / Seite ausdrucken

Silvis Culture Club (27): Deutsch, deutscher, deutschsprachig!

Ich bin deutschsprachig. Irgendwie. Glaube ich. Obwohl ich eine Freundin habe, die behauptet, dass in meiner Heimatstadt Wien der Balkan beginnt. Ich habe das zu ihrem großen Erstaunen nie als Beleidigung empfunden, denn ich fand den Balkan schon als Kind aufregend, allein der Umstand, dass die Erwachsenen dort, quasi davor, am Eingang, einen Eisernen Vorhang montiert hatten, schreckten mich ab, mit sieben Jahren meinen Barbiekoffer zu packen und mich in Richtung Balkan aufzumachen. Wenn Deutsche Ösis in die Schranken weisen wollen, kommen sie entweder mit der Geschichte oder mit dem Balkan, manchmal auch mit beidem gleichzeitig. Danach kann man als Österreicher eigentlich nur noch auf einen Kaffee gehen. Allein.

Beim Lesen der Nachrichten überkam mich heute leises Staunen. Staunen jener Art, das wundersam anklopft, dann vom Alltag übertönt wird und in einer stillen Minute in Kopfschütteln umschlägt. Michael Haneke und Christoph Waltz sind, glaubt man den deutschen Nachrichten, nicht wirklich Österreicher, sondern „deutschsprachig“. Weil dass zwei Ösis zwei Golden Globes gewinnen, an einem Abend, das geht doch wirklich nicht. Seit heute ahne ich, dass zwischen „österreichisch“ und „deutschsprachig“ ein Riesenunterschied sein muss. Nicht in der Mongolei oder in Australien, aber in Deutschland schon.

Die Botschaft: In Wahrheit sind die beiden Golden Globe-Gewinner deutsch, genauer: bundesdeutsch. Weil deutschsprachig. Das leuchtet doch wirklich ein. Bei der Dankesrede von Michael Haneke (geboren in München, Mutter Burgschauspielerin) habe ich mir auch stumm gewünscht, er wäre von jenseits der Grenze (der österreichischen!). Sein Englisch geht gar nicht, seine Filme sind grandios. Bei Christoph Waltz würde ich, wenn ich ihn in seiner Muttersprache reden höre, niemals auf die Idee kommen, dass er aus Wanne-Eickel oder Nord-Bremen kommen könnte. Er klingt ziemlich Wienerisch (er ist dort geboren, die Großeltern mütterlicherseits: Burgschauspieler), aber ich kann mich natürlich auch irren. Wir vom Balkan, wir irren uns häufig, die Geschichte belegt das, das wird Ihnen jeder Deutsche bestätigen.

Die beiden deutschsprachigen Erfolgsmänner sind, so lese ich auf Wikipedia, auch noch miteinander verwandt, über sieben Ecken, sie haben den selben Stiefvater. Mon dieu, diese Künstler. Eines Tages sollten die beiden einfach mal ihr Leben verfilmen. Deutschsprachig, mit österreichischen Untertiteln und einer Balkan-Radioversion.  Gerade musste ich auch noch lesen, dass Herr Guttenberg (war da mal wer oder was?) einen Boykott beschlossen hat. Auch das noch. „Ex-Verteidigungsminister Guttenberg kündigt Boykott deutscher Medien an“, stand da. Da habe ich mich wirklich erschrocken hinsetzen müssen. Ein Boykott deutschsprachiger Medien, das wäre ja noch gegangen, aber deutsche Medien zu ignorieren, wo soll das hinführen? Dürfen sich diese Leute alles erlauben? Zieht Guttenberg nach Österreich oder auf den Balkan, um den deutschen Journalisten zu entkommen? Spricht er nur noch mit der Hainan Times oder schwedischen Fachmedien? Lässt er sich in St. Moritz nieder, weil man dort lieb zu ihm ist?

Das klingt bizarr, zumal die deutschen, aber auch die deutschsprachigen Journalisten derzeit ja nicht gerade vor Guttenbergs Haus Schlange stehen. Ich kenne keinen Journalisten, der nach dem dritten Bier prahlt: „Und übermorgen treffe ich Guttenberg, muss aber unter uns bleiben.“ Über den Mann ist eigentlich alles hinlänglich bekannt. Der Boykott klingt eher nach einem verzweifelten Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit. Nimm einem Politiker seine Macht weg und er wird leiden wie ein Hund. Und wie ein verzweifelter Rüde den Journalisten die Hände lecken, mit treuem Blick, der Liebe fordert. Die Schweizer haben sich erbarmt und den Ex-Verteidigungsminister zum Interview getroffen. In „Der Sonntag“ verrät er exklusiv: „Es hat mir ungemein gut getan, Zeit zur Reflexion zu haben.“ Wahnsinn! Dass in der Schweiz das Leben nach dieser Enthüllung weitergeht, kann ich nur der traditionellen Umsicht der von mir sehr geschätzten Schweizer zuschreiben. Vorschlag zur Güte: Der ehemalige Minister bleibt noch ein wenig in der US-Denkfabrik und denkt noch ein bisschen nach. Nach, hierhin und dorthin und vielleicht sogar ein bisschen weiter. Nein, eigentlich haben wir keine Fragen an ihn. Doch, eine: Ob er einen Hund hat?

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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