Ich weiß nicht, was Briten machen, wenn sie in Tegel landen, vermutlich versinken sie vor Scham umgehend in den Boden und sehen Berlin dann eben nicht oder nur von unten. Macht nichts. Sie versäumen in der Hauptstadt der schlechten Manieren auch nur wenig. Touristen, die Berlin vorsätzlich anfliegen, sind eigentlich selbst schuld. Es ist immer wieder erschütternd zuzusehen, wie die Taxifahrer nicht in der Lage sind, zügig vorzufahren. Das funktioniert beispielsweis in Bombay, einer Stadt, der man gern chaotische Zustände bescheinigt, vorzüglich. Und auch in anderen Metropolen dieser Welt scheinen die Taxifahrer in der Nähe von Flughäfen bestrebt, Geld zu verdienen, was sie unter anderem dadurch beweisen, dass sie da sind, wenn man sie braucht. Viele sind auch höflich, gar freundlich; dazu kommen wir noch.
Noch erschütternder als die Vorfahrt-Kunststücke zu beobachten ist nur noch, den Reisenden dabei zuzusehen, wie sie jegliche guten Manieren umgehend vergessen, sobald sie schnell nach Hause oder ins Hotel wollen. Naturgemäß wollen das alle Reisenden immer. Es bilden sich also lange Schlangen, in denen das Recht des Unverschämteren gilt. Schon im Kindergarten lernen wir, dass man sich hinten anstellt. Nicht in TXL! Rechne ich den gehbehinderten älteren Herren weg, dem ich es spontan vergeben habe, dass er sich hurtig vorgedrängt hat (gemerkt hat er es, weil er die Schlange erblickt, skeptisch geschaut hat und dann kurzerhand das erste Taxi in Beschlag nahm, das sich einreihte), haben sich an einem kalten Winterabend rund 20 Leute mehr oder weniger dreist vorgedrängt. Einem habe ich freundlich „Das Ende der Schlange ist dort hinten!“ zugerufen, einen anderen durch den lautlos ausgesprochenen Befehl „Vergiss es“ (er hat mich sofort verstanden!) immerhin dazu bringen können, dass er sich drei Leute hinter uns, scheinbar zufällig, eingereiht hat. Das war dann nicht mehr mein Problem, die Leute haben sich jedenfalls nicht gewehrt und manchmal glaube ich, viele Menschen sehnen sich danach, übers Ohr gehauen oder übervorteilt zu werden, weil sie dann jammern und unglücklich sein können.
Schon nach 25 Minuten hatten wir ein Taxi, es sollte uns aber kein Glück bringen. Ich bat den Taxifahrer, meine bevorzugte Strecke, weil schnell und günstig und nicht über die Autobahn (kostet drei bis vier Euro mehr) zu nehmen. Er drehte sich um und herrschte uns an: „Auf keinen Fall. Wir fahren so…“ Dann folgte seine Route, gemischt mit Wörtern, die wir nicht verstanden haben. Ich bin es mittlerweile in Berlin Leid, immer einen auf Völkerverständigung zu machen, nur nichts gegen Ausländer zu sagen (ich bin auch Ausländerin, also darf ich kritisch sein, basta) und Multikulti toll zu finden. Multikulti ist toll – so lange sich alle zu benehmen wissen und die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens beherzigen, die weltweit fast überall auf einem Grundkonsens beruhen, der friedlich und wenn man Glück hat, freundlich, ist.
Ich bat den Taxifahrer also noch einmal, so zu fahren, wie ich das wollte. Er brüllte mich an: „Haben Sie nicht verstanden, wir fahren über die Autobahn!“ Ich ahnte, dass er jener Sorte Mann angehört, die Widerworte von Frauen weder gewohnt sind noch dulden. Ich kann in solchen Situationen, gemäß meiner westeuropäischen Sozialisation, sehr hartnäckig werden und bat ihn, immer noch freundlich, meine vorgeschlagene Strecke zu nehmen, unter anderem deshalb, weil ich als Fahrgast das Recht darauf hätte. Er forderte uns auf, auszusteigen. 200 Meter hinter dem Flughafen, in dunkler Nacht!Ich weigerte mich, er schlug vor, 18 Euro Fixpreis zu machen, dafür dürfe er die Strecke wählen. Ich wollte keinen Taxi-Basar veranstalten, sondern nur schnell ans Ziel. Der Mann wurde immer lauter, mir war der Festpreis egal, denn ich wollte immer noch nicht über die Autobahn. „Durch die Stadt ist Stau“, herrschte er mich an. Am Freitag, um 21.30 Uhr? Wer soll das glauben? Er fuhr schließlich unsere Route sehr zügig, ohne auch nur Anzeichen von Staus, 1:0 für uns und ich flüsterte meiner Wiener Freundin zu: „Tut mir Leid. Aber andererseits: Besser kannst Du Berlin gar nicht kennenlernen, so sind sie halt, die Berliner Taxifahrer.“
Darauf erwiderte meine Freundin trocken: „Das ist doch gar kein Berliner.“
Ich betete spontan und zum ersten Mal in meinem Leben zu Allah, dass der Droschkenkutscher das nicht gehört haben möge.
Allah erhörte mich. Schon nach kurzer Zeit hielten wir am Nollendorfplatz, um bei meinem Lieblingsfalafel-Laden (http://www.boussifalafel.de) am Winterfeldtmarkt einzukehren und den Gast mit Berlin zu versöhnen. Dabei half, dass Österreicher Berlin grundsätzlich grandios finden. Beim Abschied von unserem Taxifahrer verlange ich eine Quittung, er gab mir, vermutlich hielt er sich für sehr schlau, eine ohne Unternehmensstempel, was die Vermutung nahe legt, dass er möglicherweise nicht ganz legal unterwegs war. Ich bin geübt im Berliner Taxifahren. Ich warne hiermit alle vor dem Taxi mit dem Kennzeichen B-B2031. Mit einer Ausnahme: Wenn Sie auf dominante Fahrer aus dem nichteuropäischen Kulturraum stehen und sich gern anbrüllen lassen, sind Sie in diesem Wagen richtig.
Beim Aussteigen sagte ich freundlich zum Chauffeur: „An Ihrem Benehmen müssen Sie aber noch ein bisschen arbeiten.“ Ich vermute, dass er mich nicht verstanden hat, weder sprachlich noch inhaltlich, denn er guckte ratlos. Gegrüßt hat er zum Abschied nicht, aber das haben wir auch gar nicht erwartet. Den Rest des Weges bestritten wir nach einem herrlichen Essen in einer Droschke, in der ein gar zauberhafter Berliner Taxifahrer saß, dem wir unser Erlebnis erzählten. Er tröstete uns, machte mit seiner Freundlichkeit wieder alles gut und riet uns, den Fahrer bei der Innung anzuzeigen. Wird gemacht, Inschallah.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de