Das größte innerstädtische Stadtentwicklungsprojekt Europas, Hamburgs neuer Stadtteil „Hafencity“, darf von jedem Interessierten jeweils am Dienstag mit einem kostenlosen „grünen Landgang“ besichtigt werden. Grüne Hafencity? Was hört mein Ohr?
Jedem, der sich mal knietief in depressiven Verstimmungen wälzen will, empfehle ich herzlichst einen Gang an einem regnerischen, stürmischen Tag (der November kommt ja bald...) durch den Stadtteil auf dem Grasbrook, wo Claus Störtebeker und seine lustige Bande hingerichtet wurde und wo heute auf 152 Hektar dermaleinst 14.000 Menschen wohnen und 45.000 Menschen arbeiten sollen. Bisher 4.000 Bewohner befinden sich in Wohneinheiten wie den „Magellanterrassen“ die unwillkürlich an die praktischen Schraubensortierkisten von Hornbach erinnern. Optisch sollen die architektonischen Meisterleistungen mit dem Ambiente des Elbwassers und des Hamburger Dauerregens verschwimmen. Und das tun sie, weiß Gott, und wie sie es tun.
Die neuen U-Bahnhöfe der Hafencity überraschen die Fahrgäste mit einer psychedelischen Lightshow, die Assoziationen an Lichteinfall unter dem Meeresspiegel anklingen lassen sollen. Wer jetzt noch nicht reif für den Gang ins Wasser ist, wird es nach dem Rundgang vielleicht bald sein.
Grünanlagen gibt es wenige bis gar keine; die gepflanzten Bäume, das muss man einräumen, müssen natürlich noch wachsen. Dafür gibt es zwischen den Glas- und Klinkerschluchten einen sogenannten „Pocketpark“ mit achterbahnartigen Hügeln und kantigen Sitzgelegenheiten, der mit Grün zum Wohlfühlen in etwa soviel zu tun hat, wie eine vertrocknete Schrippe mit einem Gourmetfrühstück. Die Hafencity ist darüber hinaus nichts für Arachnophobiker: Aufgrund des beklagenswerten Mangels an Bäumen und Büschen fehlen auch die in Hamburg sehr häufig anzutreffenden Singvogelscharen, so dass die Bewohner häufiger unter Brückenspinnen in den Gebäuden zu leiden haben. Da ist es wenig tröstlich, dass es im immerhin sehenswerten Unileverhaus aus Umweltgründen nicht aufbereitetes Wasser für die Klospülung gibt. Auch der neu angelegte Lohsepark hat wenig zum Aufenthalt Einladendes, und das liegt nicht nur am allgegenwärtigen Baustellenlärm.
Der junge Mann hat irre was gegen Kapitalismus
Der erste große Kinderspielplatz, das ist zu erfahren, war eine derartige Fehlkonstruktion, dass man sich genötigt sah, sich mit Grundschulkindern zusammen zu setzen und das Konzept noch einmal zu überdenken. Auf dem neuen Spielplatz tobt jetzt das Leben. Irgendwo müssen die Kinder von Kita und Stadtteilschule ja hin.
Der junge Mann, der die Führung leitet, hat irre was gegen Kapitalismus, damit man da ganz klar sieht: Nicht nur entschuldigt er sich im Unileverhaus wie verrückt für die allgegenwärtige Produktwerbung, auch in der Fußgängerzone, in deren Cafés einige Touristen im Nordostwind vor sich hin bibbern, ist es ihm unglaublich peinlich, dass dort eine Art Jahrmarktsbude des Porsche Konzerns herumsteht. Wir sollten mal nicht glauben, hier würden auf dem Wochenmarkt nur Porsches verkauft!
Meine Nachfrage, warum das denn überhaupt ein Problem sein sollte, bleibt unbeantwortet. Dafür ist er inkonsequenterweise begeistert vom Marco-Polo-Tower mit seinen Luxuseigentumswohnungen, von denen eine den Klitschko-Brüdern gehören soll. Auch wird gemunkelt, dass Madonna eine der Wohnungen erworben haben soll. Das verweise ich allerdings ins Reich der Fabel. Wer überall auf der Welt in herrlichsten Penthousewohnungen residieren kann, braucht keinen Blick auf den Hamburger Containerhafen.
Das Spielplatzbeispiel zeigt überdeutlich, woran es beim Konzept Hafencity kränkelt: Ein Stadtteil, der als Spielwiese für lebensferne Architekten konzipiert wird, mag auf dem Computer wundervoll aussehen, zielt aber in manchen Hinsicht an den Bedürfnissen der Bewohner vorbei. Dabei gibt es in Hamburg genug historische Beispiele gelungener Stadtplanung: Die Barmbeker Jarrestadt und die großen, oft durch Genossenschaften errichteten Backsteinsiedlungen in Winterhude, Dulsberg und Hamm. Das städtebauliche Konzept entstand während des großen Wohnraummangels nach dem I. Weltkrieg und war zeittypisch mehr als revolutionär.
Arbeiter, kleine Angestellte und Handwerker sollten über den gleichen Wohnkomfort verfügen wie die Oberschicht. Reichliche Grünanlagen als oberstes Gebot sorgten für frische Luft, Licht, Erholung und Kinderspiel. Jede Wohneinheit wurde aus dem gleichen Grund möglichst mit einem Balkon ausgestattet.
Die um die Jahrhundertwende entstandenen Jugendstilwohnungen, die in ihrer Enge ohnehin nur eine klägliche Imitation großbürgerlicher Wohnkultur ermöglichten, wichen alltagstauglichem und überaus funktionalem, vom Dessauer Bauhaus stark beeinflusstem Design. Keine Schnörkel und kein Stuck mehr, stattdessen klare Linien und Formen, ausgerichtet auf Helle, Arbeitsersparnis und Zweckmäßigkeit. Die eigene Küche, der Wasseranschluss, Gas- oder Zentralheizung, dazu eine Toilette und ein Badezimmer, das waren hygienische Quantensprünge in einer Stadt, in der es in den Slums in der Neustadt und im Hafenviertel noch oft genug Gemeinschaftstoiletten gab oder das Wasser mit dem Eimer aus dem nächsten Fleet geholt werden musste. Kein Wunder, das sich wiederholt Cholera- und Typhusepidemien in Hamburg rasant verbreiten konnten. Diese Stadtteile sind so nachhaltig geplant und durchdacht, dass sie noch heute überaus attraktiver und sogar bezahlbarer urbaner Wohnraum sind. Von dieser Art Nachhaltigkeit könnten die Designer der Hafencity noch viel lernen.