Oppenheimer – das Dilemma des Genies

Der Film zeigt das Dilemma der genialen Wissenschaftler, die in bester Absicht etwas entwickeln, das dann in die Hände von Politikern gerät und skrupellos von ihnen missbraucht wird. Oppenheimer entwickelte die Atombombe gegen Hitler. 

Nolan erzählt die Geschichte aus der Sicht von Robert Oppenheimer: Sie ist betont subjektiv und ganz gekonnt verschachtelt. Wenn die Sichtweise der Person wechselt, nämlich auf die Sicht seines Widersachers, des Politikers Lewis Strauss, wechselt die Geschichte in eine Schwarz-Weiß Darstellung. Manche Episode wird sogar zweimal aus diesen zwei verschiedenen Perspektiven erzählt. 

Ich will hier nicht den Inhalt des Films wiedergeben. Dies würde dem Zuseher womöglich einen Teil des Genusses vermiesen. Ich beschränke mich auf die Struktur, das heißt auf etwas, was dem Zuseher einen schnelleren Zugang zu dem Werk ermöglicht.

Wir schreiben die Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs, die Großmächte befinden sich im Wettlauf um den Bau der Atombombe. Der geniale Quantenphysiker Robert Oppenheimer bekommt die Aufgabe, die geschlossene Stadt Los Alamos mitten in der Wüste von New-Mexico zu bauen. Hier sollen sich die weltbesten Physiker und Ingenieure versammeln, um Amerika zum Sieg zu verhelfen – die Atombombe noch vor den Nazis zu besitzen. Der Jude Oppenheimer wird zum Chef des Manhattan-Projekts. Eine Aufgabe, in die er sich mehr und mehr hineinsteigert. 

Wettlauf um den Bau der Atombombe

Die Geschichte wird im Film ausgehend von zwei verschiedenen Anhörungen erzählt: J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) muss sich Mitte der 1950er Jahre in einem intriganten Hinterzimmer-Verfahren gegen die Entziehung seiner Sicherheitsfreigabe und damit gegen den Verlust seiner Führungsfunktion zur Wehr setzen. Sein ganzes Leben wird ihm vorgeworfen, es wird regelrecht versucht, ihn zu zersetzen. Der Film erzählt vom Studium in Europa und dass Oppenheimer es war, der die theoretische Quantenmechanik in die USA brachte. Die privaten Liebeseskapaden eines jungen Wissenschaftlers werden gegen ihn und auch vor seiner Frau ausgebreitet. Ihm wird seine frühe Zustimmung zu ein paar kommunistischen Ideen vorgeworfen. 

In der anderen Anhörung soll der US-Senat den Politiker Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) öffentlich als Handelsminister im Kabinett von Präsident Dwight D. Eisenhower bestätigen. Doch zum Gegenstand der Befragung wird die Beziehung von Strauss und Oppenheimer. Strauss leitet nach dem Krieg die amerikanische Atomenergiebehörde. Dabei ergibt sich ein Konflikt mit Oppenheimer. Auch die Russen werden die Atombomben haben. Brauchen die USA nun eine noch mächtigere Waffe, die Wasserstoffbombe? Oppenheimer sieht das verheerende Vernichtungspotential der Wasserstoffbombe und ist gegen ein solches Wettrüsten. In einer Rede drückte er sein Bedauern darüber aus, dass die Bombe nicht gegen Hitlerdeutschland eingesetzt werden konnte, weil dieser Feind schon besiegt war. Jetzt musste er damit leben, dass viele tausend Japaner ihr Leben durch seine Erfindung lassen mussten. Es gibt im Film eine furchterregende Szene, in der ihm dies klar wird. 

Tiefe Charakterstudie

Albert Einstein erklärt ihm den Missbrauch durch die Politik so, dass sie ihn ausnutzen, wegwerfen, wenn sie ihn brauchen, wieder loben, und am Ende bekommt er auf einem Ehrenempfang einen Teller Kartoffelsalat mit Lachs. Es ist im Film wie im wahren Leben. Wir treffen auf Machtgier, Denunzianten, Mietmäuler, Feiglinge und – selten genug – auf ein paar mutige Charaktere.

Mit Oppenheimer begann der Kalte Krieg und das desaströse Wettrüsten, das er blauäugig hatte verhindern wollen. Der Vater der Atombombe gab den Politikern das Mittel, um die Welt zu zerstören, ohne dass die Welt darauf vorbereitet war.

Christopher Nolan (Filme: Batman, Interstellar, Inception, Dünkirchen…) ist der geistige Vater des Drehbuchs und Regisseur dieses filmischen Epos. Oppenheimer ist sein dichtester Film, und die Überlänge von drei Stunden ist meiner Meinung nach absolut gerechtfertigt, da es so viele Informationen zu verdauen und so viele Charaktere zu involvieren gibt. Oppenheimer ist eine tiefe Charakterstudie, was ihn zu einem der am besten ausgearbeiteten Filmgestalten in Nolans gesamtem Filmschaffen macht.

Hervorragender Hauptdarsteller

Obwohl die Struktur des Films auf dem Drehbuch-Papier überkomplex erscheinen mag, macht das Ganze für den interessierten Zuseher Sinn. Die Geschichte wäre womöglich ziemlich ungenießbar gewesen, wenn sie chronologisch erzählt worden wäre. Genauso sinnvoll erscheint die Verwendung von Schwarzweiß, um eine Perspektive außerhalb der Sicht von Robert Oppenheimer einzunehmen.

Es ist ein spannender, lehrreicher Film und von absolut allen Schauspielern sehr gut gespielt. Meine Favoriten sind Cillian Murphy, Matt Damon, Robert Downey Junior, Emily Blunt und Gary Oldman, der in einer einzigen Sequenz hervorragend spielt.

Am meisten hat mich bei diesem Film der Hauptdarsteller Cillian Murphy beeindruckt. Murphy dominiert die Leinwand in jeder Einstellung. Ich hatte oft das Gefühl, dass seine Augen „sprechen“, sie drücken tiefe Menschlichkeit aus, Melancholie und auch die ungewisse Angst vor den Ergebnissen, die seine Arbeit für die Menschheit zeitigen könnte. Cillian Murphy ist in dieser Rolle sowohl physisch als auch mental unglaublich. Er hatte nur sechs Monate Zeit, um sich auf die Hauptrolle Oppenheimer vorzubereiten, nach dem völlig unerwarteten Anruf von Christopher Nolan, diese zu übernehmen – ordentlich ein paar Kilo abnehmen, Zigarette und Pfeife rauchen lernen und vor allem, sich mit der Person zu beschäftigen, in deren Haut er schlüpfen sollte. Das ist ihm grandios gelungen. 

Matt Damon bleibt stets Matt Damon, auch wenn er einen US-General spielt. Er spielt ihn genau glaubwürdig und bleibt so als Schauspieler unverwechselbar.

Robert Downey Jr. spielt den machtbesessenen, leicht narzisstisch angehauchten Politiker Lewis Strauss. Erstaunlich, dass er uns seine prägende Rolle als Superheld Iron Man so leicht vergessen lässt. Ich hatte im Film das Gefühl, dass er schon sein ganzes Leben lang ein charakterloser und machtgieriger Politiker ist.

Feuerwerk epischer Bilder

Die weiblichen Charakterrollen finden in diesem Film eher im Hintergrund statt. Florence Pugh ist eine ausgezeichnete Schauspielerin, aber letztendlich zu wenig präsent, um ihrer Figur die Bedeutung zu verleihen, die sie innerhalb der Geschichte hat. Emily Blunt hätte leicht in das Klischee der eifersüchtigen Ehefrau verfallen können, die ihren Mann wegen einstiger Untreue hasst, gewinnt aber in der zweiten Hälfte des Films an Tiefe, indem sie in der Not zu ihm steht. Ihre Rolle wird durch eine makellose schauspielerische Leistung aufgewertet.

Um es rund zu machen: Hoytemas erstklassige Fotografie und der beeindruckende Soundtrack von Ludwig Goransson machen den Film zu einem ästhetischen Erlebnis.

Ich habe mir den Oppenheimer-Film in 70 mm angesehen. Wer den Film genießen möchte, sollte dies gut gestärkt und mit profunden Ortskenntnissen zur nächsten Toilette im Kino tun. Der Film ist über drei Stunden lang, eine Pause in der Mitte, wie es früher einmal im Kino üblich war, wäre sehr angenehm gewesen. Trotzdem wurden mir die drei Stunden nicht lang. Dafür sorgte ein Feuerwerk epischer Bilder, detailverliebter präziser Darstellung der 1940er Jahre, eine All-Star-Besetzung und die Filmmusik, die von klassischer Klangfülle bis bizarren Elektronikklängen alles bot. Irgendwo müssen ja die 100 Millionen Dollar Produktionskosten geblieben sein. Die Spezialeffekte und der Soundtrack sind pompös, sensiblen Gemütern ist zu Gehörschutzstöpseln zu raten. Für mich war der Film auch ein Nobelpreisträger-Schaulaufen der Idole meines Studiums: Albert Einstein, Niels Bohr, Werner Heisenberg, Ernest Lawrence…

Meine Empfehlung für geschichtlich interessierte Achse-Leser: im Kino ansehen, nicht zuhause streamen. Bilder und Ton packen den Zuseher unvergleichlich direkter in einem Kinosaal als vor dem heimischen Fernseher. Viel Spaß allerseits!

 

Manfred Haferburg wurde 1948 in Querfurt geboren. Er studierte an der TU Dresden Kernenergetik und machte eine Blitzkarriere im damalig größten AKW der DDR in Greifswald. Wegen des frechen Absingens von Biermannliedern sowie einiger unbedachter Äußerungen beim Karneval wurde er zum feindlich-negativen Element der DDR ernannt und verbrachte folgerichtig einige Zeit unter der Obhut der Stasi in Hohenschönhausen. Nach der Wende kümmerte er sich für eine internationale Organisation um die Sicherheitskultur von Atomkraftwerken weltweit und hat so viele AKWs von innen gesehen wie kaum ein anderer. Im KUUUK-Verlag veröffentlichte er seinen auf Tatsachen beruhenden Roman „Wohn-Haft“ mit einem Vorwort von Wolf Biermann.

 

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Talman Rahmenschneider / 15.08.2023

Es geht nicht darum, wer der Stärkere ist, @ Herr Bernhardt, sondern darum, dass dem, der zuerst zuschlägt, ebfs. die Haut vom Gesicht fällt. Jeweils eine genügt.

Klaus Keller / 15.08.2023

Korrektur. Der von mir zitierte Physiker, der das Projekt verlies, tat dies schon 1944. Es gefiel ihm u.a. nicht das es eigentlich darum ging die Russen klein zu halten, wie Gen. Groves in einem Gespräch nach dem Abendessen sagte.  Russland war 1944 bekanntlich als Alliierter der USA in heftigste Kämpfe gegen Deutschland verwickelt. In der Arte Doku über Joseph Rotblat bei 21:45.

Karl-Heinz Vonderstein / 15.08.2023

Ich habe den Film noch nicht gesehen, kenne nur Trailer daraus. Habe aber den Eindruck, es dreht sich fast nur um Robert Oppenheimer, obwohl so viele Wissenschaftler beteiligt waren am Manhattan Projekt. Klar, er war der wissenschaftliche Leiter und war Atomphysiker, wie die anderen auch. Aber was war darüber hinaus sein Beitrag zur Atombombe? Er wird bis heute “Vater der Atombombe” genannt. Sein Vater war übrigens ein deutscher Jude, der lange vor dem Dritten Reich nach Amerika auswanderte.

Klaus Keller / 15.08.2023

Nachtrag: Physiker Joseph Rotblat stieg aus und wurde zu einer zentralen Figur der Pugwash-Konferenz in Kanada, die sich zum Ziel setzte, die Gefahr, die von Atomwaffen ausgeht, einzudämmen. Dafür wurde er 1995 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Eine Doku bei Arte erzählt die Geschichte der Atombombe und porträtiert einen klugen Mann mit Gewissen.

W. Renner / 15.08.2023

Die Atombombe gegen Hitler und Hitler und Hirohito zu entwickeln, vermag ich nun nicht als politischen Missbrauch zu erkennen. Zumal letztgenannte auch daran arbeiteten. Ein konventioneller Sieg über Japan hätte wesentlich mehr Opfer gefordert.

Peter Bernhardt / 15.08.2023

Mehr als zehn Jahre lang stand das Modell von “Little Boy” im Bradbury Science Museum des Los Alamos National Laboratory, wo die Bombe im Rahmen des “Manhattan Project” entwickelt wurde.  “Veränderungen in der Welt” hätten den Schritt notwendig gemacht, erklärte Museumsdirektor John Roades. Der Nachbau wurde deshalb aus der Ausstellung entfernt SPIEGEL20.07.2005, ............................................................................................................. Der wahre Grund ist das vielen GI´s das Bomben-Leitwerk von “Little Boy” verwirrte und zu ständig lästigen,  unverschämten Fragen führte!

Peter Bernhardt / 15.08.2023

@Tilman Riemenschneider “Der Ursprung war der Spanische Bürgerkrieg und der miserable Zustand der arbeitenden Bevölkerung”. Die Forderung, die Illusionen über einen miserablen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf!

Franz Klar / 15.08.2023

Apropos 70mm-Filmkanone ... wie analog ist das denn , bitte ?

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