David Harnasch / 31.07.2007 / 13:45 / 0 / Seite ausdrucken

Mohn am Boden des Sommerlochs

Kollege Broder machte aufmerksam auf Dirk Niebels Vorschlag, in Afghanistan Schlafmohn zu kaufen. (Um ihn dann Bäckereien in strukturschwachen Gebieten gratis zu überlassen? Die Pharmaindustrie, an die Niebel als Abnehmer dachte, wird jedenfalls kein Interesse an dem dort völlig unkontrolliert angebauten Kraut haben.)
“Niebel sagte, die Händler und nicht die afghanischen Bauern machten die wesentlichen Gewinne beim Rauschgifthandel.” Stimmt schon, die Marge, die zwischen dem afghanischem Feld und dem Hamburger Straßenstrich anfällt, verbleibt kaum beim Bauern. Aber: Als Generalsekretär einer vorgeblich liberalen Partei sollte man von Niebel schon ein gewisses Grundverständnis marktwirtschaftlicher Zusammenhänge verlangen können. Was passiert wohl, wenn ein Nachfrager für über 90% des Weltangebots eines Rohstoffes neu in den Markt eintritt? Zumal es hier nicht um den Rohstoff für ein entbehrliches Luxusgutes geht, nach dem die Nachfrage mit steigendem Preis nachlässt. Der Preis würde explodieren. Derzeit erzielt ein afghanischer Bauer mit Opium einen etwa fünffach höheren Ertrag als mit Getreide.
“Deshalb sei ein solches Vorgehen durchaus finanzierbar. Mit dem Aufkauf sollten die staatlichen afghanischen Institutionen betraut werden. Für eine Übergangszeit sei aber auch denkbar, dass sich etwa Deutschland an der Finanzierung beteilige. Das sei «sicher billiger als der jetzige militärische Einsatz», sagte Niebel.” Nein.
“Last year, an estimated four hundred thousand acres of opium poppies were planted in Afghanistan, a fifty-nine-per-cent increase over the previous year. Afghanistan now supplies more than ninety-two per cent of the world’s opium, the raw ingredient of heroin. More than half the country’s annual G.D.P., some $3.1 billion, is believed to come from the drug trade, and narcotics officials believe that part of the money is funding the Taliban insurgency.”, schreibt Jon Lee Anderson in einem sehr lesenswerten Artikel im New Yorker. Es geht also um sehr viel Geld und es geht darum, die Taliban nicht mit deutschen Steuern aufzurüsten. (Was im übrigen auch im Zusammenhang mit Geiselnahmen abzulehnen ist.)
Im o.g. Artikel schildert Anderson, wie amerikanische Söldner Militärdienstleister der DynCorp zusammen mit afghanischen “Polizisten” Mohnfelder zu zerstören versuchen. Es ist ein sysiphaler, furchtbar gefährlicher völlig sinnloser Einsatz. Nicht nur nutzlos - sondern kontraproduktiv: “It has also proven virtually impossible to conduct in districts where the Taliban are relatively strong, thereby inevitably penalizing farmers in pro-government districts.” “The Americans had always been cagey about the number of acres of poppies they hoped to eradicate in Uruzgan, claiming that it “wasn’t about numbers” but about making their presence felt. They had intended to spend at least ten days in the fields, and thus far had managed only one—in which, by their rough calculations, they had destroyed less than two hundred acres. (By contrast, earlier this year, in a monthlong operation in Helmand, they had destroyed an estimated seventy-five hundred acres—out of an estimated hundred and seventy-five thousand planted with poppies.)”
Dirk Niebel hat nur insofern recht, als das militärische polizeiliche Maßnahmen gegen Mohnanbau, -Verarbeitung und Drogenhandel niemals funktionierten und auch niemals funktionieren können. Eine Alternative beschrieb ich auf diesen Seiten und im Novo-Magazin unter dem Titel “Legalize it”.
PS: Zum Artikel gibt es eine sehenswerte Fotostrecke beim New Yorker.

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