Wolfram Weimer / 17.03.2017 / 06:29 / Foto: Pfctdayelise / 24 / Seite ausdrucken

Mark Rutte hat, was Merkel fehlt

In Holland mißlingt dem Rechtspopulisten Geert Wilders der politische Durchmarsch. Der liberal-konservative Premier findet ein bürgerliches Gegenrezept, in dem er die Migrationsprobleme offen adressiert – eine Blaupause für die CDU in Deutschland?

Er sieht aus wie ein Versicherungsvertreter und soll nichts weniger als Europa retten. Mark Rutte ist Premier der Niederlande und wirkte vor kurzem noch wie Angela Merkels Praktikant – ein braver Bürgerlicher, der dem aufbrandenden Rechtspopulismus nicht recht die Stirn bieten konnte. Halb Europa fürchtete, dass ausgerechnet im liberalen Holland die Rechtspopulisten mit Geert Wilders zur stärksten Partei aufsteigen und das politische System sprengen würden. Nach dem Brexit und der Trump-Wahl wäre Holland das nächste Fanal gewesen – der “Nexit” und damit das Ende der EU schien nurmehr eine Frage der Zeit.

Doch kurz vor der Wahl drehte Rutte die Stimmung. Anders als Angela Merkel in Deutschland versucht er es nicht mit leisen, pädagogischen Weichmachertönen und einer Tabuisierung der Rechtspopulisten. Rutte enteignet den neuen Gegner lieber frontal – rückt selber nach rechts, aber eben mit bürgerlichem Format. Er nimmt die von Wilders adressierten Themen lieber an als sie zu umgehen und hat mit der Türkei-Krise dazu die perfekte Bühne gefunden. Sein Konfrontationskurs gegen Erdogan macht ihn in Holland schlagartig zum nationalen Helden. Selbst die vier wichtigsten Oppositionsparteien stellen sich demonstrativ hinter seinen Kurs. In der dramatischsten diplomatischen Krise Hollands seit dem Weltkrieg erteilte Rutte dem türkischen Außenminister nach Provokationen aus Ankara kurzerhand Landeverbot. Die türkische Familienministerin wurde gar von der niederländischen Polizei spektakulär über die Grenze nach Deutschland eskortiert. Den Feinden der Demokratie sollte keine Bühne gebaut werden.

Seither herrscht zwischen Holland und der Türkei kalter Krieg. Doch die Standhaftigkeit Ruttes gegen den aggressiven Neo-Sultan könnte dem 50-jährigen Premierminister seine dritte Amtszeit sichern. Schlagartig ist der Versicherungsvertreter zum Verteidiger der Vaterlandes und der Demokratie mutiert. “Auch die Niederlande sind ein stolzes Land”, mahnte Rutte in Richtung Ankara. Da von dort fortgesetzt wüste Attacken auf die “Nazis” (Originalton Erdogan: “Das sind Nachfahren der Nazis, das sind Faschisten.”) kommen, wird Ruttes Widerstand nun immer populärer. Und er immer selbstbewusster: Ankara habe eine rote Linie überschritten, Erdogan sei “verrückt”, und erpressen lasse sich sein Staat nicht. Trotzdem werde man nun “alles dafür tun zu deeskalieren”. Nach Meinungsumfragen stellen sich 86 Prozent der Niederländer hinter Ruttes Kurs in der Türkei-Frage. Unter den Wählern seiner Partei sind es sogar 98 Prozent.

Rutte ist plötzlich der oberste Verteidiger des Abendlandes

Der Türkei-Konflikt lässt Rutte just im Feld seines wichtigsten Kontrahenten Wilders punkten. Plötzlich ist er der oberste Verteidiger des Abendlandes und nicht mehr der Rechtspopulist. In einer lebhaften Fernsehdebatte zwischen beiden am Montagabend gab sich Rutte darum angriffslustig und vertauschte die Rollen. Er warf dem Chef der einwanderungsfeindlichen Partei für die Freiheit (PVV) vor, mit “radikalisierten” und “extremen” Parolen auf Stimmenfang zu gehen. “Es ist etwas anderes, ob man auf dem Sofa sitzt und twittert oder ob man ein Land regiert”, provozierte Rutte in Anspielung auf Wilders’ häufigen Gebrauch des Kurzbotschaftendiensts. Sollte die Partei seines Gegners stärkste politische Kraft im Parlament werden, so stünden dem Land “unsichere Zeit bevor”, warnt er: “Geert Wilders ist Chaos.”

Rutte demonstriert mit dieser Strategie, dass man Rechtspopulisten am besten offensiv attackiert und deren Themen frontal adressiert. Der “Spiegel” urteilt daher: “Rutte macht auf Wilders light. Der Premier hat abgekupfert vom Demagogen mit der Mozartfrisur.” Tatsächlich verbreitet Rutte einen offenen Brief über Zeitungsanzeigen, der aus den Schreibstuben der Rechtspopulisten stammen könnte. Dabei attackiert er integrationsunwillige Einwanderer. “Wir fühlen ein wachsendes Unbehagen, wenn Menschen unsere Freiheit missbrauchen”, schrieb Rutte, “Menschen, die sich nicht anpassen wollen, die über unsere Sitten herziehen und unsere Werte ablehnen.” Er verstehe “sehr gut, dass Menschen denken: Wenn du unser Land so fundamental abweist, ist es mir lieber, dass du weggehst. Das Gefühl habe ich nämlich auch. Sei normal oder geh weg.”

Andererseits bekennt er sich demonstrativ zu Europa und zur liberalen, offenen Gesellschaft. Er widersteht der Versuchung als “Wilders light” billig Punkte zu sammeln, sondern findet einen eigenen Kurs. Darum beteuert er in der Fernsehdebatte, dass er “niemals” mit Wilders’ Partei koalieren werde und verspottet dessen Ankündigung, den Koran zu verbieten. Rutte fragt Wilders, ob er vielleicht eine “Koran-Polizei” aufstellen wolle, deren Beamte dann von Tür zu Tür zögen, um Muslimen ihr heiliges Buch zu entreißen.

Rutte gelingt mit dieser Doppel-Strategie von Kante und Konzilianz ein Stimmungsumschwung kurz vor dem Wahlgang. Sah es im Winter noch so aus, als ob Wilders klar stärkste Partei werden würde, so wirkt Rutte nunmehr mit Momentum. Ein derartiges Kunststück ist dem Beinahe-Konzertpianisten, der schließlich doch Politiker wurde, schon zweimal gelungen: 2010, mitten in der Euro-Schuldenkrise, überzeugte er mit jugendlichem Elan der alten Unternehmerpartei VVD die Niederländer von einem harten Sparprogramm – und übernahm als erster Liberaler seit 1918 die Macht in Den Haag. Zwei Jahre später verkündete er 2012 mitten im Wirtschaftstief den Aufschwung. Plus 1000 Euro Steuerbonus pro Kopf. Und wieder folgten ihm die Holländer.

Während die Sozial- und Christdemokraten taumeln, gelingt Rutte der Aufstieg seiner liberalen Partei. Auch weil der versprochene Wirtschaftsaufschwung inzwischen tatsächlich gekommen ist und Hollands Staatsfinanzen saniert sind. Rutte hat dabei seinen Landsleuten einiges zugemutet: Erhöhung des Rentenalters, Kürzungen im Sozialbereich, hohe Selbstbeteiligungen für Krankenversicherte. Doch viele Holländer akzeptieren es wie eine notwendige Medizin. Im jetzigen Migrationskonflikt hilft ihm die Rolle des Mannes, der auch unbequeme Wahrheiten anspricht.

Rutte weiß genau, dass weder der Aufschwung noch seine Verlässlichkeit noch seine liberale Europagesinnung den Wahlsieg bringen. Der Kulturkampf entscheidet vielmehr die Wahlen. Anders als Angela Merkel in Deutschland kämpft er darum mit offenem Visier auf dem Themenfeld von misslungener Integration, Ausländerkriminalität und Terrorismus. Anders als Merkel mischt er in seine grundlegende Konzilianz auch scharfe, strenge Töne an Islamisten und Problem-Migranten. Über aggressive türkischstämmige Jugendliche, die einen Kameramann belästigt haben, schimpft der Sprössling aus einer wohlhabenden Den Haager Familie schon mal: “Geht zurück in die Türkei. Verpisst Euch.” Und anders als Merkel bietet er einem dreisten Erdogan direkter die Stirn. Es gehe darum, so Rutte, Europa doppelt zu retten – vor den Rechten und vor den Islamisten. Europa brauche vor den kommenden Wahlen darum ein Zeichen. Die Parlamentswahl in Holland sei das Viertelfinale im Kampf gegen die Populisten. Das Halbfinale folge bald in Frankreich. Und das Finale komme dann im Herbst in Deutschland. Er setzt dabei nicht mehr bloß auf Defensive.


Dieser Beitrag erschien zuerst im The European hier

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Gesine Horstmeier / 17.03.2017

Rutte ist ein Wendehals ohne Rückgrat oder viel Prinzipien. Das Nein im Ukrainereferendum hat er missachtet. Die erwähnten 1000 € haben die niederländischen Steuerzahler 4 Jahre später noch nicht gesehen. Dank der Tatsache, dass er zusammen mit Merkel Erdogan bekniet hat für einen unverständlichen Flüchtlingsdeal, weil Grenzkontrollen, haben die zwei sich erpressbar gemacht. Rutte hätte gern gesehen, dass Erdogan erst nach den niederländischen Wahlen seine Propagandisten zum wahlkämpfen ins Land geschickt hätte. Anscheinend hat er Erdogan sogar um ein paar Tagen Aufschub gebeten. Seine hier gelobte harte Haltung und Engagement gegen die Massenimmigration, ist einzig und allein ein kurzes Aufbäumen der Wahlrethorik weil er den heißen Atem des Geert Wilders im Nacken spürt. Wer hier der Populist ist wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

Sepp Kneip / 17.03.2017

Rutte, der Retter Europas? Nein, das ist er nicht. Natürlich hat er mit dem Coup gegen Erdogan und die Türkei, also mit einer populistischen Aktion, die Wahl drehen können. Nun hat das aber nichts mit Europarettung zu tun. Die Anleihe bei Wilders beweist nur, dass auch Wilders auf einen guten Weg ist. Er konnte, gegenüber Rutte sogar zulegen. Wird Rutte aber die EU dazu zu bringen können, Reformen einzuleiten und nicht ein “Weiter so” zu zelebrieren. Nur dann hätte sein Wahlsieg etwas gebracht für Europa. Wilders als den chaotischen Rechtspopulisten hinzustellen und Rutte als den konzilianten Edelpopulisten ist insoweit schon etwas verquer, weil Rutte aus seiner Position als Regierungschef anders agieren konnte, als Wilders. Nun muss Rutte allerdings zeigen, was er als Chef einer möglichen Vierer-Koalition drauf hat. Ob man ihm auf Dauer abnimmt, dass er mit “rechten” Themen Politik macht. Wenn es gut ist für Holland und Europa, warum nicht?

Clemens Hofmeister / 17.03.2017

Zumindest sollte den Politmandarinen jetzt klar sein, was ihre Bevölkerung will.

Wolfgang Meister / 17.03.2017

Ohne Wilders hätte Rutte sich vermutlich nicht so klar positioniert. Falls den Worten nun Taten folgen, wäre dies ein wünschenswertes Vorbild für Deutschland. Auch die AFD wünscht sich wohl kaum einer an der Regierung, auch die nicht, die sie wählen würden. Aber sie könnte die CDU durchaus wieder auf Kurs bringen.

Volker Kleinophorst / 17.03.2017

Vielleicht doch nicht so ne gute Idee mit den Frauen in der Politik. Dass Frauen keine Eier haben, kann man Ihnen noch nicht einmal vorwerfen.

Judith Hirsch / 17.03.2017

Der Mann hat Eier!

Bärbel Schneider / 17.03.2017

Rutte hat bisher nur geredet, jetzt muss er liefern. Und zwar mehr, als Erdogans Anhänger nicht auftreten zu lassen und am Tag nach der Wahl schon auf moderat zu machen. Sonst werden die Niederländer merken, dass sie betrogen wurden, und das nächste Mal werden noch mehr Wilders wählen. Scharfe Töne allein genügen nicht. Wer hat noch mal versprochen, die Banlieues mit dem “eisernen Besen auszukehren”? Und was ist passiert? Eben. Die Wähler werden sich dem zuwenden, der die Probleme wirklich anpackt.

Richard Loewe / 17.03.2017

ist das ein ganz klein wenig einseitig? “Während die Sozial- und Christdemokraten taumeln, gelingt Rutte der Aufstieg seiner liberalen Partei”, schreibt der Autor. Wenn Rutte weiter so erfolgreich ist - minus 25% der Sitze -, dann gibt es die “aufsteigende” Partei bald nicht mehr.

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