Ja und nein. Als Wissenschaftler sehe ich durchaus einen guten Ansatz dieses Ostermarsches. Aber eben, leider, auch schon wie gehabt und aus anderen Bereichen bekannt, weichgespült. Die Autorin hat das schön beschrieben. Man will etwas sagen, etwas das uns allen auf der Seele brennt, etwas das gerechtfertigt ist. Aber bitte, wolle-weich. Politisch korrekt. Bloss niemandem zu nahe treten. Eine halbe Demonstration wie in der DDR: halb kritisch und halb kriecherisch. Besonders gestolpert bin ich über “Wissenschaft für alle”. Als Wissenschaftler arbeite ich unmöglich für alle. Als Wissenschaftler arbeite ich zunächst für die Wissenschaft, den Fortschritt akademischer Erkenntnis, auf der Basis bekannter Daten und Fakten. Wenn die gewonnenen Erkenntnisse für alle eine Verbesserung bringen, um so besser. Wenn es sich um Zwischen- oder Endergebnisse handelt ohne derzeitigen praktischen Anwendungsbezug, ist das eben so. Und noch ein Punkt: Vor einigen Wochen wurde im Bundestag über Kunst diskutiert. Da hiess es von einer Seite, Kunst müsse von Können kommen; während die andere Seite sich deutlich auf den Standpunkt stellte, Kunst müsse nicht nur für alle sein, sondern auch von allen sein. Weshalb es Quoten bei den Generatoren von Kunst geben müsse. Für mich überraschend gab es breiten Applaus im Hohen Haus dafür. Der Schritt von einer “Wissenschaft für alle* zu einer “Wissenschaft auch von allen” ist dann nur noch ein kleiner.
“Bei dem „enormen Druck“, der unvergleichbar mit dem einer Aldi-Kassiererin oder eines Postboten ist, kann man die Aufregung aber verstehen.” Vielleicht sollten diese Wissenschaftler sich mal paar Monate an einen Aldi-Kasse sitzen oder als Postbote bei Wind und Wetter Post austragen, die sie noch zuvor im Verteilungscenter ab dem frühen Morgen sortiert haben. Hinter beiden Berufen seht heute ein enormer Druck. Ob Wissenschaftler ;Arzt ( wenn er vorwiegend Kassenpatienten hat), Klein-Unternehmer etc.pp. in allen Berufen herrscht heute ein enormer Druck. Und eine Aldi Kassiererin oder ein Postbote empfindet diesen Druck genau so schlimm wie ein Wissen schaftler. Solche Vergleiche sind inakzeptabel. Eine Freundin von mir hatte drei kleine Kinder und war alleinerziehend, weil es dem Herrn Papa zu viel wurde. Sie hat früh ein Kind in die Krippe gebracht, die anderen in den Kindergarten und abends wieder abgeholt und das ohne Auto. Sie stand jahrelang unter einem enormen Druck und das Geld hat vorne und hinten nicht gereicht. Trotzdem ( oder vielleicht gerade deshalb ) haben zwei der Kinder ihr Studium erfolgreich absoviert, das dritte macht nächstes Jahr Abi. Und beide haben auch anschließend eine Arbeit bekommen. Meine Enkel mußten sich auch alle durchboxen und stehen alle heute erfolgreich mit ihren jeweiligen Berufen da. Gerade hat mich mein ältester Enkel angerufen, der in seiner Firma, wie andere auch ,regelmäßig eine firmeninterne Akademie besuchen muß. Auf meine Frage , wie es ihm geht, antwortete er:“Ohne Fleiß und Schweiß kein Preis.” Se la vie !!
Wissenschaftler sind in D. zumeist Beamte. Hat man je gehört, dass diese sich übernehmen? Wer keine Konkurrenz fürchten muss, kommt selten zu Höchstleistungen. Wieso demonstrieren die, hat das der DBB von ihnen verlangt ?
Wir Menschen von der Straße würden uns eine freie, selbstbewusste Wissenschaft, die sich eine größtmögliche Unabhängigkeit vom Staat bewahrt, wünschen. Vor allem soll sie ideologiefrei sein, sich nicht von der Politik missbrauchen lassen. Sie soll nach Wahrheiten forschen und nicht vorgefertigte und vorgegebene Wahrheiten zu bestätigen versuchen. Sie soll nicht Fakten wissenschaftlich belegen wollen, die mit dem vorherrschenden Zeitgeist im Einklang liegen, sondern sie soll sich einzig der Wahrheitsfindung verpflichtet fühlen. Ich weiß, das ist ein Wunschtraum. Und es ist naiv. Ein Wissenschaftler muss sein Auskommen finden. Deshalb : solidarisieren wir uns mit der Wissenschaft und machen ihnen Mut. Mut zur Wahrheit. Mut zu freier Forschung. Mit zum Widerspruch. Mut zum freien Denken. Wer nie etwas riskiert, kann nicht der Wahrheit Geliebter sein. Sie würde ihn verschmähen, weil ihm nicht genug an ihr liegt.
Das Problem der Wissenschaft scheint mir vorrangig die Frage, was denn Wissenschaft sei. Mindestens bei manchen Geistes- Sozial- und Genderwissenschaften habe ich Zweifel, dass es welche sind. Gerade diese sind aber die lautesten im Chor der politisch Engagierten. Wir brauchen eine Diskussion über den Wissenschaftsbegriff.
Wie lehrt man heute eigentlich in den Schulen den Kindern, dass CO2 ein lebenswichtiges Gas ist, das zur Photosynthese unabdingbar ist und gleichzeitig muss man den Kids beibringen dass es ein ganz schlimmes “Klimagas” ist, dass man unbedingt bekämpfen muss? Das muss Wissenschaft in Höchstform sein.
Ich bin Naturwissenschaftler. In Deutschland diplomiert, im ueberseeischen Ausland doktoriert, dann Ende 2014 wieder zurueck nach Deutschland. Ich wollte in meiner Heimat leben und arbeiten. Inzwischen will ich nur noch ersteres, vorzugsweise in einem kleinen Weiler, so weit weg wie nur moeglich von dem ganzen Wahnsinn. In der Rhoen, vielleicht…habe ich da noch meine “Ruhe”? (Keine Angst, ist ‘ne rhetorische Frage…so einen Ort gibt es in D-Land nicht.)
Super Text Frau Stein! Klasse!
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