Spätestens am vierten Advent pflegte mein Vater sel. seinen Lieblingsspruch zu klopfen: „Süßer die Kassen nie klingeln…“ So geißelte er die Schrecken des Konsumterrors; lange, bevor dieses Wort Karriere machte. Sein Lamento bündelte die Abscheu des Bildungsbürgers vor der Kommerzscheiße (ein ebenfalls erst viel später aufkommender Modebegriff) mit der Trauer über den Verlust vorweihnachtlicher Besinnlichkeit, die „das Fest“ nach treudeutscher Ansicht umwabern sollte wie der Geruch von Muttis selbstgebackenen Plätzchen. Dass Handel und Gewerbe sich erdreisteten, mit der heiligen Geburtstagsparty ihren Jahresend-Reibach machen zu wollen – Jesusmariaundjosef!
Mitten im Wirtschaftswunder war diese Haltung orginell. Heutzutage wirkt sie nur mehr blöde. Was mich alle Jahresenden wieder nervt, ist nicht so sehr das Werbe- und Verkaufsgedöns. Einen Bart, länger als der des dienstältesten Weihnachtsmanns, hat für mich vielmehr das Jammern über die „Pervertierung des Festes“ durch nimmersatte Profitgeier; die ewige, öde Jeremiade von Kirchenfunktionären, Familienpolitikern, linken Soziologen, Feuilletonisten und anderen Volksverbesserern. Auch für den gehobenen Citoyen, Typ „Zeit“-Leser mit Tendenz zum Drittbuch, scheint ausgemacht: Weihnachten ist voll der GAU. Ein Gedränge in den Kaufhäusern, furchtbar! Kein Parkplatz in der Stadt zu kriegen, schlimm! Diese Weihnachtsmärkte, nichts als Nepp und Glühweinbesäufnisse! Und die Lichterorgien, was die an CO2 erzeugen!
Letztlich reihen sich natürlich auch die Weihnachtsverächter ins Heer der Konsumtrottel ein. Sie müssen ja, leiderleider. Schon wegen der Kinder. Wie soll man sich denn wehren gegen den brutalen Schenkzwang? Arme, wehrlose Opfer der Konsumgesellschaft.
Einem aus, sagen wir, dem Sudan muss das wie Satire vorkommen. Das Volk der Deutschen, das es mit vergleichsweise bescheidener Arbeitsleistung zu einem Lebensstandard gebracht hat, um den es vom größten Teil der Welt beneidet wird; dieses Volk findet den Geschenkerummel zum Reihern. Ach ja? Was ist denn so furchtbar daran, dass vier oder sechs Wochen im Jahr der Konsumbär tobt, auf dass der Laden namens Volkswirtschaft mal richtig brumme? Letztlich doch wohl nicht zum Schaden des Volkes. Irgendwann muss es sein verdammtes Geld ja mal raus tun, will es nicht schnurstracks in die nächste Rezession marschieren. Zuviel Geiz ist ungeil.
Vorschlag: wer dem Lichterkerzenterror und der Shoppinghölle entkommen will, möge zum Beispiel nach Nordkorea düsen. Glühweindüfte werden ihn dort garantiert nicht belästigen. Erfrischend ungestresste Menschen flanieren dort an leeren Regalen entlang. Kein „White Christmas“-Gedudel, nirgends. Aber die Taschenlampe nicht vergessen! Bei den Kims fällt ziemlich oft der Strom aus.