Gastautor / 02.05.2013 / 22:18 / 0 / Seite ausdrucken

Keine Türen

Susanne Schädlich

Halle an der Saale. Sowjetische Besatzungszone. Anfang der Fünfziger Jahre. Hier wohnt Janus Rippe zusammen mit seiner Mutter und seinen Großeltern Luise und Carl in einem bürgerlichen Haus. Janus Vater Robert, ein Arzt, gilt als verschollen. Das Kind, es wurde im letzten Fronturlaub gezeugt und wird im vorletzten Kriegsjahr geboren, kennt seinen Vater nicht. Eine typische Nachkriegsfamilienkonstellation, eine vom Krieg verwundete Familie.

Mit „Doppelhimmel“ hat Ulrich Bergmann,  selber aus Halle stammend, seinen ersten Roman vorgelegt, der biografische Züge erkennen lässt. Feinfühlig und unsentimental erzählt er darin den Kosmos einer Familie in der Zeit nach 1945. Das besondere daran: er erzählt die Geschichte zum größten Teil aus Sicht des Jungen Janus, der, neugierig, aber vor allem unversehrt, die zerrüttete Welt der Großen erfährt, ohne sie als zerrüttet zu empfinden. Er ist wie ein Schwamm. Nimmt wahr, setzt sich aus, hört hin, lässt sich ein, deutelt nicht.

Es ist ein scheinbares Miteinander, denn im Grunde lebt jeder für sich allein, die Erwachsenen mit ihrer Vergangenheit und den Erinnerungen, das Kind in seiner Phantasie, und doch leben sie alle unter einem Dach.

Da ist Usch, Janus Mutter, jung und lebensfroh. Janus’ eigenwilliger Großvater, der sich dem Aufbau eines neuen Deutschland verschrieben hat, sich noch Illusionen hingebend liberaldemokratische Artikel verfasst und weltfremd über alte Zeiten und große Themen philosophiert wie Gott, das Leben und den Tod. Die Großmutter Louise, zupackend, der Fels in der Brandung,  den Umständen entsprechend realistisch. Und eben Janus, der den Namen des römischen Gottes des Anfangs und des Endes, der Ein- und Ausgänge, der Türen und Tore trägt. Mittler zwischen Menschheit und Göttern. Als könnte er irgendwann die Brücke schlagen zwischen dem Jetzt und Später. Janus unter zwei Himmeln, auch politisch, Deutschland ist geteilt.

Doch Janus ist ein Kind, gerät als solches in das Getriebe des Weltgeschehens und der Erwachsenenwelt mit all ihrer Schuld und Geschichte. Konkret wird sie, als Janus’ Vater 1953/54 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt. Usch hatte ihn für tot erklären lassen,  hat wieder geheiratet und ein zweites Kind.

„Janus ist neun, er hat Usch und Mama Luise und Carl. Und er hat einen Vater. Der war tot. Aber jetzt lebte er wieder.“  Bergmanns Stil ist eindringlich, knappe Sätze evozieren Bilder und Emotionen, kunstvoll variiert der Autor die Erzählperspektiven. Störend allein, wenn er sich als Ich-Erzähler einbringt und aus der Gegenwart reflektiert.

Immer wieder mischen sich Gedanken und Erinnerungen in die Geschichte von Janus, am eindrucksvollsten die Schilderung der Kriegs- und Gefangenerlebnisse des Vaters. Illusionen, Träume, Hoffnungen, sie haben im Himmel, egal welchem,  keinen Platz. „Die Hoffnung ist Wundpflaster und Selbstbetrug zugleich“, so hatte sich Robert sein Dasein schon im sibirischen Schweigelager zurechtgelegt.

Nach seiner Heimkehr beschließt er, in die Bundesrepublik zu gehen. Seine Eltern, die in der DDR längst als ‚reaktionär’ gelten und im Visier der Staatssicherheit sind, holt er nach. Janus kommt ebenfalls zum Vater, Usch übergibt ihn höchstpersönlich, sozusagen als Schuldpfand. „Gib Robert wenigstens seinen Sohn! Kein Tag ohne diese Gedanken ... an Russland, an das Lager… Ich war allein, ich war eine junge Frau. Ich wollte wieder leben, ich verlor mich an den Frieden, der Stacheldraht schnürt mir die Luft ab, der Stacheldraht in Russland, und der Stacheldraht hier“, so resümiert Usch.

So ziehen sich Trennung und Teilung durch das Leben des Knaben. Nichts ist zu haben, ohne etwas anderes dafür hergeben zu müssen. Doch er ist sonderbar entrückt. Unweigerlich hineingezogen in die Geschichte der Eltern und Großeltern, „Ich bin geteilt“ sagt Janus, als er 1967 in Ost-Berlin seiner Mutter begegnet, will er sich ihr gleichzeitig entziehen.

Doch ein Ende gibt es nicht, auch keine Türen und Tore. Er steht dazwischen. Zwischen Vater und Mutter, Ost und West, sich und der Welt, kann kaum etwas dagegen setzen.

Ulrich Bergmann
Doppelhimmel
182 Seiten
Free Pen Verlag Bonn, 2012

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