Der Landesfischereiverband Schleswig-Holstein fordert, die Jagd auf Seehunde wieder aufzunehmen. Ein Tabubruch mit höchstem Empörungspotenzial, der jedoch im Lärm der Vorhautdebatte untergegangen ist. Hallo, liebe Schauspielerinnen, Sängerinnen und Moderatorinnen: Die wollen Robben totschießen! Ihr müsst Gesicht zeigen!
Die Fischer begründen ihren Vorstoß mit der Gefräßigkeit der Meeressäuger. Bei über 30 000 Seehunden im Wattenmeer würden zu wenig Kabeljau, Scholle und andere Speisefische für die Menschen übrigbleiben.
Als wir dies lasen, mussten wir an Kanada denken, wo die alljährliche Robbenjagd ebenfalls mit dem großen Appetit der Tiere auf Fisch begründet wird. Dafür werden die Kanadier hierzulande als Unmenschen dargestellt, und inzwischen auch mit Wirtschaftssanktionen bestraft: Die EU verhängte 2009 ein Einfuhr- und Transitverbot für Robbenprodukte. Der damalige Umwelt-Kommissar Stavros Dimas sagte, dies sei die klare Antwort auf „die Sorgen vieler europäischer Bürger über die grausamen Methoden der Robbenjagd.“
Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck antwortete den Fischern sogleich, „die Jagd auf Seehunde wäre politisch falsch.“ Aber was würde geschehen, wenn sich die Seehunde immer weiter vermehren und irgendwann die Sorgen der Nordseefischer politisches Gehör fänden? Können die Europäer die Kanadier für etwas bestrafen, was sie selbst tun? Ein Argument, dass wir dann zu hören kriegen wird sein: Bei uns werden die Seehunde waidgerecht geschossen und dort erschlagen. Doch das stimmt nur bedingt. Auch in Kanada werden die meisten Robben mit dem Jagdgewehr erlegt. Was im Übrigen weniger sicher und schnell tötet als der Hieb mit der Spitzhacke aus nächster Nähe.
Also liebe Kanadier, schaut auf unser Land. Ein Land, das immer am besten wusste, wie ihr mit euren Robben umgehen sollt, die Japaner mit Walen, die Südafrikaner mit Elefanten, die Australier mit Kängurus und überhaupt alle Menschen mit den netten Wildtieren, die wir aus Zoo und Fernsehen kennen. Verständnis könnt ihr von unseren grünen Lehrmeistern nicht erwarten. Ihre ökologische Weisheit reicht über Ozeane und Kontinente hinweg.
Die als Tierquäler verteufelten Kanadier leisten sich übrigens über fünf Millionen Robben in ihren Gewässern. Und 37 000 Bären in ihren Wäldern. Zur Erinnerung: 2006 wurde der erste Bär, der seit 170 Jahren deutschen Boden betrat, umgehend erschossen.
Erschienen in DIE WELT am 27.07.2012
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